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Familie haben, eine Familie sein

Lesezeit 4 Minuten

Das Ehepaar Schröder hat ein russisches Mädchen adoptiert.

„Ich wollte bloß mal das Kinderzimmer im Kanzleramt ausmessen.“ Es ist Sommer 1998, der Bundestagswahlkampf wird heiß. Kandidat Gerhard Schröder ist nach Berlin gekommen und besucht die Baustelle des Kanzleramtes. Ein Pulk von Journalisten ist dabei. Da entschlüpft ihm der Satz, der eigentlich nur eine Spitze gegen Kohl sein sollte. Aber schon brodelt die Gerüchteküche so heftig, dass ein SPD-Sprecher „wegen der vielen Nachfragen“ eilig dementieren muss. „Doris Schröder-Köpf ist nicht schwanger.“

Sechs Jahre später hat sich daran zwar nichts geändert. Dennoch hat die Familie Zuwachs bekommen. Gerhard Schröder und seine Frau Doris Schröder-Köpf haben ein dreijähriges Mädchen aus einem Kinderheim in St.Petersburg adoptiert. Victoria lebt bereits seit einigen Wochen mit Adoptiveltern und der dreizehnjährigen Klara, die Schröder-Frau Doris in die Ehe gebracht hatte, in Hannover. Jetzt erst ist die Nachricht in der Welt. Der Kanzler und die Kinder - das ist ein heikles Thema. Seine ersten beiden Ehen blieben kinderlos. Seine dritte Gattin, „Hillu“ brachte die Mädchen Wiebke und Franca in die Partnerschaft ein.

Seit 1997 ist der Kanzler mit Doris verheiratet. Auch diese Ehe blieb ohne eigene Kinder. Klara ist die Tochter des Fernseh-Journalisten Sven Kuntze. Kuntze hält regelmäßigen Kontakt zu Klara. Aber für die Erziehung sind die Schröders zuständig. „Im Grunde ist Klara ja seine Tochter“, sagte er einmal. „Der Gerd ist ein sehr warmherziger Mensch, und ich bin froh, dass er mit Doris das Kind erzieht.“ Ein nettes Detail verriet Kuntze bei der Gelegenheit auch: „Der Kanzler ist der Gerd, und zu mir sagt sie Papa, manchmal auch Sven.“ Schröder soll, einmal auf das Thema angesprochen, nur gesagt haben: „Mein Gott, da bin ich aus dem Rennen.“

Aber Schröder hat nicht nur keine leiblichen Kinder. Er hat auch seinen leiblichen Vater nicht gekannt. Vielleicht kommt da eine Geschichte zu einem Ende. Schröders Vater fiel Ende 1944 als Wehrmachtssoldat in Rumänien. Vor drei Jahren konnte das Grab ermittelt werden. Erst bei diesen Nachforschungen fand Schröder heraus, dass Vater Fritz einen Bruder mit wiederum drei Töchtern hatte. 2001 traf sich Schröder erstmals mit seinen Cousinen. Vergangene Woche stand er am Grab des Vaters.

Eine Familie haben, eine Familie sein. Mag sein, dass dieses Leitmotiv ein Antrieb bei der Adoption war. Es ist nur eine Spekulation. Niemand wird sie bestätigen. Schröder nicht, seine Sprecher erst recht nicht. „Über Privatangelegenheiten des Kanzlers werden wir uns nicht äußern“, hieß es gestern im Presseamt. Die Schröders legen Wert auf ungestörte Intimsphäre. Und doch ist da etwas Irritierendes im Umgang des Paares mit ihrer Privatheit. Immer wieder gewähren die Schröders kontrollierten Einblick, und mitunter entsteht der Eindruck, das geschehe kühl kalkuliert. Das gilt vor allem für die Auftritte der Kanzlergattin. 2001 treibt die Union die Regierung mit der Forderung nach einem Familiengeld von 1000 Mark in die Enge. Doris schreibt einen Namensartikel im „Tagesspiegel“, mit dem sie die Debatte auf ein anderes Gleis schiebt und für Ganztagsschulen eintritt. Bald darauf weiß die Nation aus erster - mütterlicher - Hand, wie viel Taschengeld Tochter Klara bekommt (5 Euro wöchentlich mit zehn Jahren), wann sie ins Bett muss (nach der Tagesschau, auch mit zehn), was sie am liebsten im Fernsehen anschaut („Wetten dass...?“) und dass Papa Gerd gerne mit ihr in den Zoo geht. Es gibt Grenzen dieser Offenheit. Immer dann, wenn sie die Berichte nicht selbst inszeniert sind, reagieren die Schröders scharf. Gerichtlich geht das Paar gegen Berichte vor, wonach Schröder in Affärenverdacht gerückt wird. In der Tat drängte sich der Verdacht auf, gegen den Kanzler werde eine Kampagne gefahren. Das erscheint nun wie eine verblasste Erinnerung. „Längst ist sein Zuhause, seine Familie seine wichtigste Kraftquelle“, säuselte die Bild-Zeitung gestern. Die kleine Victoria werde „viel Liebe erfahren“.

Warum kommt die Nachricht gerade jetzt? Es gibt eine harmlose Erklärung: Irgendwann lässt es sich nicht mehr verheimlichen. Es gibt eine böse Variante. Heute geht der Kanzler vor die Presse. Ein wichtiger Auftritt in schwerer Zeit. So viel ist sicher: Nun wird es bei den Fragen nicht mehr nur um viel Hartz, sondern auch um viel Herz gehen.