Engel können in jedem Menschen sein
Der Presssprecher des evangelischen Kirchenkreises Bonn, Pfarrer Joachim Gerhardt (36) hat ein Buch über Engel geschrieben. Dieter Brockschnieder befragte den Seelsorger dazu.
Frage: Wer in Bonns größte Buchhandlung geht, findet dort eine große Esoterik-Abteilung und darin Regale voller Bücher über Engel. Warum haben Sie jetzt eines hinzugefügt, Pfarrer Gerhardt?
Gerhardt: Ganz einfach: Das Gütersloher Verlagshaus hat mich gefragt.
Frage: Es verwundert, dass gerade ein evangelischer Geistlicher solch ein Buch geschrieben hat . . .
Gerhardt: In der Tat sind in der evangelischen Kirche lange Zeit die Engel vergessen worden. Aber Engel sind ur-biblische Gestalten. Es gibt sie in der Bibel von Alpha bis Omega, vom Paradies bis zur Apokalypse in der Offenbarung des Johannes. Die evangelische Kirche hat sich schwer getan, sich mit Engeln zu beschäftigen, weil wir mit Heiligenverehrung nichts anfangen können und die Gefahr bestand, das Zentrum unseres Glaubens, nämlich den Glauben an Gott und Jesus Christus in den Hintergrund zu rücken, wenn man sich mit Engeln beschäftigt.
Frage: Ist das so?
Gerhardt: Nein. Engel können eine große Hilfe sein, den Glauben zu finden, auch seinen Glauben in Worte zu fassen.
Frage: Dürfen Engel auch in der eher nüchtern und klar ausgerichteten evangelischen Kirche Fürsprecher bei Gott sein?
Gerhardt: Engel haben verschiedene Funktionen. Nehmen wir nur die in der Bibel vorkommenen Engel, dann gibt es Engel als Fürsprecher, es gibt Schutzengel, es gibt Engel, die einen mahnen, genau hinzuschauen, sein Leben bewusst zu planen. Und dann gibt es Engel, die gar nicht der allgemeinen Vorstellung entsprechen. Etwa den Racheengel, den Engel, der Gottes Zorn verkündet, der Gottes Strafgericht ausführt. Die Bibel ist voller schillernder Engelsgestalten.
Frage: Wie erklären Sie sich den Boom an Engelbüchern?
Gerhardt: Sie entsprechen der Sehnsucht der Menschen nach Spiritualität. Das ist in allen christlichen Kirchen festzustellen, übrigens nicht nur da.
Frage: Wie sind Sie beim Schreiben des Buches vorgegangen?
Gerhardt: Ich habe versucht, die Engel nicht aus mir selbst oder aus der Welt zu schöpfen und zu fragen, welche Engel gibt es . . .
Frage: . . . . zum Beispiel die Gelben Engel des ADAC . . .
Gerhardt: . . . genau, sondern ich habe aus biblischen Quellen geschöpft und habe die 40 spannendsten Engelsgeschichten aus der Bibel zusammengestellt und dazu 40 Meditationen geschrieben
Frage: Warum gerade 40?
Gerhardt: Ich bin beim Sammeln auf 40 Engel gekommen. Es gibt noch mehr, aber die 40 sind typisch.
Frage: Gibt es einen Lieblingsengel unter den 40?
Gerhardt: Ja, der passt jetzt zur österlichen Zeit: Es ist der Engel, der Jesus im Garten Gethsemane erschien. Lukas hat die Szene beschrieben: Jesus war allein und betete: ,Vater, willst du, so nimm diesen Kelch von mir; doch nicht mein, sondern dein Wille geschehe!' Es erschien ihm aber ein Engel vom Himmel und stärkte ihn.
Frage: Wie interpretieren Sie das?
Gerhardt: Die Kreuzwege des Lebens müssen die Menschen allein gehen. Sie machen diese Erfahrungen am Krankenbett, am Totenbett, in ausweglosen Situationen. Da sind sie sehr allein. Genau das hat Jesus auch erlebt - und dann tritt ein Engel zu ihm. Das ist nicht der klassische Rette-Engel, der Jesus aus dem Garten Gethsemane herausholt - und alles wird gut. Nichts wird gut, aber er gibt ihm die Kraft, diese Gefühle von Ohnmacht und Angst auszuhalten und diese so ausweglos erscheinende Situation anzunehmen.
Frage: Dieser Engel macht keine großen Worte?
Gerhardt: Engel sind einfach da, wenn sie gebraucht werden. Sie sind eben anders als die Engel, die wir aus dem Kitsch kennen: Sie fordern einen auf, in einer auf Leistung getrimmten Welt gegen den Strom zu schwimmen. Sie kommen aber auch, um zu verkünden, dass Gott Anspruch auf mein Leben hat. Diese Engel will der Mensch allerdings nicht wahr haben.
Frage: Man stellt sich Engel meistens als Wesen mit Flügeln vor. Können Engel auch abstürzen?
Gerhardt: Biblische Engel haben oft keine Flügel. In einer Kirche in Finnland hängt ein Bild von einem Engel, der schwer verletzt ist. Er hockt zusammengesunken auf Holzstäben, die von zwei Menschen getragen werden. Ein Flügel ist gebrochen. Das Bild zeigt uns: Auch Engel sind schwach.
Frage: Ist Ihnen selbst schon einmal ein Engel begegnet?
Gerhardt: Jedem von uns begegnen täglich Engel, im anderen Menschen, im Nachbarn im Hausflur, in der Straßenbahn, am Arbeitsplatz. Menschen können untereinander Engel sein - ohne. dass man sie gleich erkennt.
Joachim Gerhardt: Engel der Bibel begleiten uns - Meditationen für den Alltag Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2004, 12,95 Euro.