Eine Geschichtsverfälschung?
BERLIN. Es ist nur ein Satz - aber er hat es in sich. „Welche Ideen und Ideale der RAF haben ihren Wert durch die Zeit behalten und können nicht als naiv abgetan werden?", fragte ein Mitarbeiter des Berliner Ausstellungshauses Kunst-Werke, als er sich mit dem Konzept einer Ausstellung über die Terroristen der „Rote Armee Fraktion“ beschäftigte.
Der Mann hätte besser noch einmal nachgedacht. Stattdessen schrieb er den Satz ins Ausstellungskonzept und provozierte damit einen Sturm der Empörung, der die geplante Ausstellung „Mythos RAF" scheitern lassen könnte. „Ein ungeheuerlicher Skandal", wetterte CDU-Politiker Friedrich Merz. „Es gibt nichts, was an der RAF positiv sein könnte", sekundierte der SPD-Innenpolitiker Dieter Wiefelspütz. FDP-Chef Guido Westerwelle will sich dafür einsetzen, „dass für eine solche einseitige Auseinandersetzung mit dem deutschen Terrorismus kein Steuergeld eingesetzt wird." Doch nach eigenen Angaben haben die Ausstellungsmacher das Geld bereits.
Auch Innenminister Otto Schily (SPD) unterstützt die Kritik, dagegen plädiert der Grünen-Abgeordnete Hans-Christian Ströbele - wie Schily früher RAF-Anwalt - für die Ausstellung.
Dabei war der Satz von den „Ideen und Idealen" lange vor Beginn der Auseinandersetzung gestrichen worden. „Das Zitat stammt aus einem früheren Entwurf. Er ist längst überholt", wehrt sich Beate Barner, Geschäftsführerin der Berliner Kunst-Werke. Barner betont, dass die Ausstellung nichts mit Glorifizierung der Terroristen zu tun habe. Im Gegenteil: Die vom Berliner Hauptstadt-Kulturfonds mit 100 000 Euro bezuschusste Schau wolle Schluss machen mit der „popkulturellen und ahistorischen" Verarbeitung des Phänomens in Filmen und Fernsehbeiträgen. Andreas Baader wird in der Ausstellung nicht mehr der „Desperado mit den langen Koteletten“ sein, wie er jüngst in einem Fernsehfilm dargestellt worden ist. Und Gudrun Ensslin bleibt nicht jene blasse Heroine mit dem verlorenen Blick, als die sie im gleichen Film auftrat.
Doch für erklärende Worte scheint es zu spät. Nun beschwerten sich auch Angehörige mehrerer Opfer des RAF-Terrors - unter ihnen Hergard Rohwedder, Witwe des erschossenen Treuhandanstalts-Vorstands: „In dem Konzept der Ausstellung sehe ich Ansätze zu einer nachträglichen Geschichtsverfälschung, die für mich unerträglich ist." Beate Barner wandte sich darauf in einem persönlichen Brief an die Hinterbliebenen: „Wir bitten darin um ein persönliches Gespräch, um alle offenen Fragen und Bedenken zu klären".
Doch bisherige Förderer des Projekts sind vorsichtig geworden. Jan Philipp Reemtsma vom Hamburger Institut für Sozialforschung, der als Mäzen genannt worden war, zog sich zurück und verbot den Berliner Kunst-Werken, mit seinem Namen zu werben. Auf Distanz ging auch Kulturstaatsministerin Christa Weiss. Sie warnte davor, Gefühle der Angehörigen zu missachten. KOMMENTAR