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Blutige Attacke: Keiler greift „Bärenmann“ an

Lesezeit 4 Minuten

Der erste Eindruck passt: Andreas Kieling ist braungebrannt, er hat eine etwas verwegene Frisur und steckt von Kopf bis Fuß in so genannter Outdoor-Kleidung, als könnte er jeden Augenblick sein Bündel schnüren und der Zivilisation wieder entschwinden. Seit 16 Jahren ist der 1959 in Gotha geborene Andreas Kieling Tierfilmer.

Für seine Dokumentationen nimmt er sich so viel Zeit, dass sich die Tiere - darunter wilde Grizzlys und Alaska-Elche - scheinbar völlig an seine Gegenwart gewöhnen und ihm so Gelegenheit geben, die Tiere aus kürzester Distanz zu filmen.

So war Kieling der erste Tierfilmer der Welt, dem es gelang, einen tauchenden Grizzly unter Wasser zu filmen. Monatelang hatte der „Bärenflüsterer“ davor damit verbracht, das wilde Tier an sich zu gewöhnen. Heute zählt Kieling zu den renommiertesten Tierfilmern weltweit.

Auch sein Haus erzählt von den vielen Abenteuern, die er schon hinter sich hat: Da sind die Masken aus verschiedenen Ländern, die Kieling sammelt, oder die Fotoaufnahmen von Bären mit oder ohne Kieling, die im Wohnzimmer über der Couch hängen. Gleichwohl betont der Abenteurer: „Hier bin ich ein stinknormaler Eifeler.“ Einer allerdings, der morgens schon mal in die Untiefen der Bürokratie tauchen muss, wenn es um die Verlängerung seines Visums für Indonesien geht.

Dorthin wird Kieling seine nächste Reise führen: Für acht Wochen verschwindet er dann wieder, gerade mal vier Wochen war er zu Hause in dem kleinen Örtchen Hümmel, bei seiner Frau Birgit und den beiden Söhnen. „Für uns ist das immer ein Spagat“, sagt er. Die Kunst seines Lebens bestehe darin, „möglichst schnell umzuschalten“.

Binnen 24 Stunden aus der absoluten Wildnis und Einsamkeit in die Heimat: „Das ist auch eine große Faszination meines Berufes“, sagt Kieling. Früher haben ihm die rasanten Wechsel auch Probleme bereitet. „Ich kam dann hier in die Eifel zurück und fand alles furchtbar klein und eng.“ Heute genieße er genau das. „Ich habe jetzt eher Angst, dass mir das bunte Leben hier zu viel wird.“ In der kurzen Zeit zu Hause, dem Hof, der Familie und auch den Freunden gerecht zu werden, sei schwierig. „Ich habe hier ja auch nicht immer Urlaub“, betont er.

Im Gegenteil: Neue Drehbücher müssen geschrieben, Filme geschnitten und vertont werden. Häufig ist Kieling dann in Hamburg oder Mainz - etwa bei Johannes B. Kerner - bei den Sendeanstalten zu finden, um neue Projekte zu besprechen. Unterstützt wird er besonders von seiner Frau, „die mir wenn nötig alles vom Leib hält und selbst das Büro mit organisiert“.

Dass ihn viele Menschen um sein Abenteuer-Leben beneiden, kann Kieling einerseits verstehen. Aber: „Es wird schnell vergessen, dass diese Touren kein Privatvergnügen sind.“ Drei Zentner Kameraausrüstung und der Druck, als Auftragsproduzent auch gutes Material abliefern zu müssen, wiegen schwer. Während Kieling oft monatelang unterwegs ist, entgeht ihm zu Hause vieles. Den gefährlichsten Moment hat Kieling allerdings in der Eifel erlebt: Während der Paarungszeit der Wildschweine griff ihn ein Keiler an, fast wäre Kieling verblutet. In die Eifel hatte es Kieling zunächst beruflich verschlagen: Als gelernter Förster trat er in Hümmel im April 1982 eine Stelle an. Und blieb. Fotografieren und Filmen waren schon damals Hobbys von ihm.

Es folgten Aufenthalte in China, Indien und Pakistan - zu eng wurde es Andreas Kieling in der Eifel schon bald. „Freiheit und das Verlangen danach“, sagt Kieling, seien in ihm tief verwurzelt. 1976 ist er aus der ehemaligen DDR geflohen. „Das war der entscheidendste und intimste Moment meines Lebens.“ 1991 beschloss er mit seiner Frau Birgit, „mit der Filmerei auch mal Geld zu verdienen“. Die beiden Kielings und ein New Yorker Banker machten sich gemeinsam mit einem Hund auf den Weg, den 3000 Kilometer langen Yukon River in Kanada paddelnd zu durchstreifen. Die Filme, die während dieser Reise entstanden, überzeugten und seitdem ist Kieling ein gefragter Mann. Mehrere Auszeichnungen hat er bekommen, an die 30 Filme gemacht für „Geo“ und „Stern“ fotografiert.

In der Wildnis ist Kieling auf sich gestellt und dann hat er kaum eigene Bedürfnisse, und das, obwohl er sich selbst als „Genussmenschen“ bezeichnet: „Ich passe mich dann ganz an“, sagt er. Das fängt beim Essen an. „Ich kann mich wochenlang von Nudeln ernähren.“

Auch Kieling muss gegen Ende jeder Reise den Gürtel enger schnallen, drei bis vier Kilogramm nimmt er immer ab. Als „bekennender Warmduscher“, wie der zähe Mann selbst sagt, freut er sich dann auch auf eine heiße Dusche. „Aber wenn ich unterwegs bin, macht mir das eiskalte Gebirgswasser überhaupt nichts aus.“ Mit Urlaub haben die Touren des Abenteurers wenig gemein. Wenn die ganze Familie Urlaub macht, sind die Kielings „richtige Spießer“, wie der Familienvater selbst sagt. „In diesem Jahr fahren wir zum 14. Mal nach Schleswig Holstein an einen See.“ Tauchen, angeln, Fußball spielen - auch in der Nähe warten dann viele Abenteuer auf den Wahl-Eifeler mit Fernweh.