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BelgienKaum jemand will Anschluss an Deutschland

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Von einem „veränderten Staatsaufbau“ Belgiens geht DG-Ministerpräsident Karl-Heinz Lambertz aus. Ein Auseinanderbrechen des Staates hält er dagegen für unwahrscheinlicher. (Archivfoto: Hilgers)

Belgien steckt wieder ein Mal in einer tiefen Krise - politisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich. Steht der belgische Staat vor dem Aus? Da sich Belgien, vornehmlich die DG (72.000 Einwohner), und Deutschland eine rund 130 Kilometer lange Grenze teilen und eine eng miteinander verflochtene Geschichte sowie viele familiäre Beziehungen aufweisen, haben wir uns bei den Nachbarn umgehört, wie sie zum drohenden Zerfall ihres Landes stehen.

Vorweg: Die Bürger in der DG begegnen der Krise mit Gelassenheit und fast stoischer Ruhe. „Nichts besonderes“, lautet die Meinung vieler. Dennoch macht man sich in Eupen, dem Regierungssitz der DG, Sorgen um den Fortbestand des Staates. „Sollte bei dieser sechsten Etappe der Staatsreform - Verlagerung der Schwerpunkte vom Föderalstaat zu den Teilstaaten - kein Kompromiss ... erzielt werden, sollte also das eintreffen, was niemand bei uns und auch niemand an vielen anderen Orten unseres Landes wünscht, sollte Belgien wirklich auseinanderbrechen, gibt es für die DG mehrere Alternativen. Dann müssen die Bürger & in einer Volksabstimmung letztendlich entscheiden, welchen Weg die Gemeinschaft einschlägt“, verkündete Lambertz in seiner Regierungserklärung vom 21. September. Die Alternativen: Die DG teilt das Schicksal der Wallonie mit Brüssel und sucht die Vereinigung mit Frankreich, schließt sich Luxemburg oder Deutschland an oder wird souveräner Kleinstaat.

Alle Befragten plädierten für den Erhalt des Staates und der DG als gleichberechtigtem Teilstaat. Sollte Belgien auseinander fallen, sollte in einer Volksabstimmung über das Schicksal des Staates und der DG entschieden werden. Einen Anschluss an Deutschland verneinten die Befragten, obwohl Ressentiments gegen Deutschland und die Deutschen nicht geäußert wurden. Allerdings wurde eingeräumt, dass die nördlichen Gemeinden (Eupen, Kelmis und Raeren) stark nach Aachen orientiert seien und möglicherweise einen Anschluss an Deutschland bevorzugten.

Anne Bongartz (18 Jahre, Gymnasiastin aus Büllingen): „Ich teile den Wunsch der meisten Bürger. Sollte Belgien auseinander fallen, werde ich für einen Kleinstaat DG mit uneingeschränkter Souveränität plädieren, einem Grad der Unabhängigkeit, den die DG zurzeit nicht besitzt“.

Horst Drosson (73, Gastwirt aus Wirtzfeld): „Wie der weit überwiegende Teil der Bevölkerung bin ich für den Erhalt des Staates und der DG in der angestrebten Weiterentwicklung. Ansonsten könnte ich mir die DG gut als unabhängigen Kleinstaat vorstellen. Aus wirtschaftlichen und steuerlichen Gründen würde ich einen Anschluss an Luxemburg akzeptieren - obwohl Fußballfreunde sich als Anhänger von Borussia Mönchengladbach und dem 1. FC Köln und nicht von Lüttich oder Anderlecht (Brüssel) bekennen.“

Louis Richter (51, Versicherungskaufmann, Burg Reuland): „Die Politik sollte sich endlich auf ihre Aufgabe besinnen und Eigeninteressen zurückstellen. Priorität genießt für mich der Fortbestand bei gleichzeitiger Weiterentwicklung Belgiens. Sollte dies nicht erreicht werden, würde ich für einen eigenständigen Kleinstaat mit vollständiger Souveränität votieren. Das wäre die friedlichste Lösung.“ Er kann sich aber auch andere Konstellationen vorstellen. Aus sozialen und arbeitspolitischen Gründen spreche einiges für eine Anbindung an Luxemburg, wirtschaftspolitisch und aus Konsumenten-Sicht jedoch für Deutschland.

Josef Ritter (82, Rentner aus Bütgenbach): Obwohl er als kleiner Junge unter dem Krieg gelitten und daher schlechte Erinnerungen an Deutschland hat, hegt er heute keine Ressentiments gegen das Nachbarland. Die letzten 18 Berufsjahre arbeitete er als Elektriker in Hellenthal. „Ich würde aus wirtschaftlichen und sozialen Aspekten dabei für einen Anschluss an Luxemburg stimmen, weil ich dort mehr Rente erhalten würde“, urteilt Ritter ganz pragmatisch.