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Zwischen den Fronten auf Zypern„Kein Konflikt bleibt eingefroren“

Lesezeit 8 Minuten
Nikosia: Grüne Fässer begrenzen in einer Straße von Nikosia die ·grünen Linie·. Die ·grüne Linie· ist die entmilitarisierte von den Vereinten Nationen (UN) überwachte Pufferzone zwischen dem türkisch besetzten Nordzypern und der Republik Zypern.

Nikosia: Grüne Fässer begrenzen in einer Straße von Nikosia die ·grünen Linie·. Die ·grüne Linie· ist die entmilitarisierte von den Vereinten Nationen (UN) überwachte Pufferzone zwischen dem türkisch besetzten Nordzypern und der Republik Zypern.

Seit 60 Jahren sind UN-Truppen auf der Insel stationiert – und die Spannungen zwischen dem griechischen und dem türkischen Teil der Bevölkerung nahmen zuletzt wieder zu. Gibt es noch Hoffnung auf eine friedliche Überwindung der Teilung?

An einer Schranke im Niemandsland hält unser Geländewagen; einer der beiden slowakischen Blauhelme springt hinaus und zieht sie hoch. Dann holt er eine blaue Flagge hervor und hisst sie an einer Fahnenstange hinten rechts am Wagen – die Flagge der Vereinten Nationen. Dienstvorschrift sei das, erklärt er: „Wir demonstrieren damit die Hoheit der Vereinten Nationen in der Pufferzone.“

Seit einem halben Jahrhundert wird Zypern von dieser Zone in zwei Teile geschnitten: die von Zyperngriechen bevölkerte Republik Zypern im Süden und den türkischen Teil im Norden. Wir fahren nun in das Sperrgebiet ein – auf Patrouille mit den UN-Friedenstruppen in der Pufferzone von Zypern.

Unsere Schotterpiste schlängelt sich zwischen niedrigem Gestrüpp und Olivenbäumen über Anhöhen und durch Senken. „Wir fahren jetzt mitten durch die Pufferzone“, sagt einer der Blauhelme. Die beiden Soldaten tragen Tarnuniformen, Bärte, Sonnenbrillen und die blauen Käppis der UN-Friedenstruppen. Einer sitzt am Steuer, der andere hat das Funkgerät in der Hand; im Autoradio dudelt leise Musik. Entspannt, aber aufmerksam betrachten die Soldaten auf ihrer Fahrt die Militärposten, die links und rechts des Weges auftauchen – auf der rechten Seite sind es türkische Militärposten, auf der linken Seite griechische. Nur ein paar hundert Meter auseinander sind sie hier im Südosten der Insel; mit einem Feldstecher müssten sie von ihren Hochsitzen aus die Knöpfe an den Uniformen ihrer Gegenüber zählen können.

Zwei Nato-Armeen stehen sich gegenüber

Vor den Militärposten wehen jeweils zwei Fahnen: Links der Schotterpiste flattern die weiß-orange-grüne Flagge der Republik Zypern und die blau-weiße Fahne von Griechenland, rechts vom Weg die weiß-rote Flagge von Nordzypern und die rot-weiße Fahne der Türkei: Hier stehen sich nicht nur ein paar zyprische Rekruten gegenüber, sondern zwei Nato-Armeen. Die griechisch-zyprische Nationalgarde wird von einem General aus Griechenland kommandiert, die zyperntürkische Armee von einem Offizier aus der Türkei. 27000 türkische Soldaten stehen im Norden, 13000 griechische und zyperngriechische Soldaten im Süden, dazu 3500 britische Soldaten auf ihren eigenen Stützpunkten. Mit kaum mehr als einer Million Einwohner ist die Mittelmeerinsel nach UN-Angaben pro Kopf gerechnet einer der militarisiertesten Flecken der Welt.

Unbewaffnet sind nur die UN-Soldaten, die in der Pufferzone zwischen den Fronten patrouillieren. Entsprechend vorsichtig verhält sich unsere Patrouille, als sie auf einer Anhöhe im Niemandsland anhält und aussteigt. Fotografieren ist strikt verboten, warnen die Soldaten. Durch ihre Ferngläser sind auf einer Anhöhe in Nordzypern zwei Panzer zu erkennen – ziemlich alte Panzer, wie sich bei näherer Betrachtung zeigt: zwei griechische Panzer, die im August 1974 dort stehen blieben, als ein Waffenstillstand den zyprischen Bürgerkrieg und das Vorrücken der türkischen Armee beendete. Seit diesem Augenblick vor 50 Jahren darf nichts mehr an der Front in Zypern verändert werden – kein Stein, keinen Zentimeter. Das haben die UN-Soldaten mit ihren Patrouillen zu überwachen.

Unsere Aufgabe ist es nicht, in die Nachrichten zu kommen, sondern Nachrichten zu verhindern.
Aleem Siddique, UN-Mission Unficyp

Die Blauhelme sind schon länger auf der Insel. „Einstimmig verabschiedet“, verkündete am 4. März 1964 der damalige UN-Generalsekretär U Thant das Abstimmungsergebnis im Sicherheitsrat zur Resolution 186, mit der die Friedenstruppen nach Zypern entsandt wurden. Vorangegangen waren blutige Unruhen zwischen griechischen und türkischen Zyprern, die kurz nach Unabhängigkeit der Insel von der britischen Kolonialmacht im Jahr 1960 ausbrachen. Heute sind die UN-Truppen auf Zypern, kurz Unficyp genannt, eine der ältesten UN-Friedensmissionen der Welt.

Wahren Frieden könnten nur die Politiker auf der Insel schließen, sagt Unficyp-Sprecher Aleem Siddique im UN-Hauptquartier in Nikosia. „Unsere Aufgabe ist es bis dahin, Konflikte und Kämpfe zwischen den beiden Seiten zu verhindern.“ Seit 60 Jahren ist Unficyp damit beschäftigt; mehr als 150000 Soldaten aus 43 Ländern der Welt haben hier schon gedient. Derzeit stehen 800 UN-Soldaten auf der Insel, vorwiegend Argentinier, Briten und Slowaken.

Niemandsland zwischen den Fronten

Auf seinem Weg durch die Pufferzone hält unser Geländewagen an Kontrollpunkten, die von weißen Tonnen mit den schwarzen Buchstaben UN markiert sind. Die Soldaten schlagen zwei Kladden auf, die sie dabeihaben – eine blaue Kladde für die griechische Seite und eine rote für die türkische Seite. Abgeheftet sind darin akribisch genaue Illustrationen und Schilderungen von jedem einzelnen Militärposten auf der Patrouillenstrecke, bis hin zur Zahl der Sandsäcke und Ziegelsteine. Sie bilden den sogenannten Status quo ab, dessen Einhaltung die Soldaten zu überwachen haben, also den exakten Zustand bei der Waffenruhe von 1974. Jede Veränderung muss die Patrouille per Funk an ihre Vorgesetzten melden.

Tag und Nacht patrouillieren die UN-Truppen die Pufferzone. Das Niemandsland zwischen den beiden Fronten ist 180 Kilometer lang; an der engsten Stelle in Nikosia ist die Pufferzone drei Meter breit; an der breitesten Stelle liegen sieben Kilometer zwischen den Fronten. Auf unserer Fahrt zeigt ein Soldat auf eine Konstruktion auf der türkischen Seite. „Da, das ist eine Verletzung des Status quo.“ Alltag sei das auf beiden Seiten, sagen die Soldaten. „Wenn die Türken etwas tun, dann machen die Griechen auch etwas, und umgekehrt. Die ganze Zeit geht das so, beide Seiten verstoßen ständig gegen die Regeln.“

Dutzende Verstöße gegen den Status quo verzeichnen die UN jede Woche, bestätigt Unficyp-Sprecher Aleem Siddique – vom unbefugten Überschreiten der Waffenstillstandslinie bis hin zum Bau ungenehmigter Schießstände, wie es neuerdings auf beiden Seiten zu beobachten sei. Manchmal gebe es auch Streit zwischen Bauern, deren Felder an die Waffenstillstandslinie heranreichen, erzählt Siddique. „Dann dringen Truppen beider Seiten in die Pufferzone ein, um ihre Bauern zu verteidigen; wenn wir nicht dazwischen gingen, dann könnte das sehr schnell und bedrohlich eskalieren.“

Diese Eskalation zu verhindern ist Aufgabe der UN-Verbindungsoffiziere auf Zypern. Werden ihnen von den Patrouillen solche Verstöße gemeldet, nehmen sie Kontakt zu den Befehlshabern der gegnerischen Truppen auf, um eine Lösung auszuhandeln. „Das ist harte Arbeit, die von unseren Patrouillen und Offizieren hinter den Kulissen geleistet wird“, sagt Siddique. „Unsere Aufgabe ist es nicht, in die Nachrichten zu kommen, sondern Nachrichten zu verhindern. Wenn man außerhalb von Zypern nichts von uns hört, dann heißt das, dass wir unseren Job machen und den Deckel auf diesem Konflikt halten.“

Trotzdem kocht der Topf manchmal über, so wie im vergangenen Sommer, als die türkische Seite eine Straße bauen wollte, die teilweise durch die Pufferzone führen sollte. Die Friedenstruppen intervenierten, die Lage eskalierte. Zyperntürkische Einsatzkräfte schoben die UN-Geländewagen mit Baumaschinen weg, sie schlugen die Blauhelme und traten sie. Die Türkei, die EU und UN-Generalsekretär Antonio Guterres schalteten sich ein.

Die Schlägerei im Niemandsland und andere Zwischenfälle in der Pufferzone beschäftigten jetzt sogar den UN-Sicherheitsrat. „Wir verzeichnen derzeit mehr Spannungen und vermehrte Verstöße in der Pufferzone von beiden Seiten“, sagte der Chef der UN-Friedensmission auf Zypern, Colin Stewart, nach einem Treffen mit dem Sicherheitsrat im Januar in New York. „Die Lage eskaliert seit Monaten, das schafft mehr Spannung und Probleme für alle.“

Was, wenn Spannungen sich ausweiten?

Spannungen und Probleme auf Zypern würden nicht auf die Insel begrenzt bleiben, fürchten Experten. Das beginne schon bei Griechenland und der Türkei, die zusammen mit Großbritannien völkerrechtlich als Garantiemächte für die Insel firmieren, warnt die Zypern-Expertin Alexandra Novosseloff vom Centre Thucydide in Paris. „Kein Konflikt bleibt ewig eingefroren. Palästina wurde lange als eingefrorener Konflikt betrachtet, die Ukraine auch – das kann auch auf Zypern passieren“, sagt die Politologin. „Und was auf Zypern geschieht, das wird Folgen für die Region und die Welt haben.“

Zypern liegt strategisch am Kreuzweg von Entwicklungen, die Europa nahegehen, betont Novosseloff. An klaren Tagen sind von Zypern aus die Küsten von Syrien und Libanon zu sehen, Israel und Gaza sind nicht viel weiter. Von Stützpunkten auf Zypern aus bombardiert die britische Luftwaffe die Huthis im Jemen; die Türkei unterhält hier einen Drohnen-Stützpunkt; und auch Russland hat Interessen auf der Insel. Der Konflikt auf Zypern habe eine sehr kurze Zündschnur, sagt Novosseloff, die rasch zu Türkei, Griechenland, Israel, EU und Nato führen würde.

„Ohne die UN-Friedenstruppen würde das Risiko von Missverständnissen zwischen den gegnerischen Streitkräften drastisch steigen, mit schweren Folgen für die Sicherheitslage, daran gibt es keinen Zweifel“, meint auch Unficyp-Sprecher Siddique. Der UN-Sicherheitsrat sieht das genauso. Einstimmig verlängerten seine 15 Mitglieder im Januar das Mandat der Friedensmission auf Zypern um ein weiteres Jahr. Ewig könne das nicht so weitergehen, räumte Unficyp-Chef Stewart ein. „Wir sind nun 60 Jahre in Zypern. Das ist ein trauriger Jahrestag und sollte uns als Erinnerung dienen, dass dieses Problem schon viel zu lange andauert.“

Letzter Anlauf für eine Friedenslösung?

Die Vereinten Nationen wollen noch einen Anlauf zu einer Friedenslösung für Zypern unternehmen. Sieben Jahre nach dem Scheitern der letzten Verhandlungen in der Schweiz ernannte UN-Sekretär Guterres zu Jahresbeginn eine Persönliche Gesandte für Zypern, die noch einmal die Aussichten für eine Einigung sondieren soll. Die kolumbianische Diplomatin Maria Angela Holguin Cuellar hat sechs Monate Zeit, die Chancen für neue Verhandlungen auszuloten. Die UN zeigen sich optimistisch, doch die slowakischen Blauhelme im Geländewagen zucken mit den Schultern. „Wer auf Zypern gedient hat, der weiß, dass jedes Problem auf der Welt gelöst werden kann“, sagt einer der beiden: „Nur nicht das Zypern-Problem.“