Mirko Drotschmann erklärt als YouTuber „MrWissen2go“ Politik für junge Wähler, indem er komplexe Inhalte neutral aufbereitet. Wir haben mit ihm über die Bundestagswahl gesprochen
„MrWissen2go“ zur Wahl„Die Tiktokisierung des Bundestags halte ich für schwierig“
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Mirko Drotschmann erklärt als YouTuber „MrWissen2go“
Copyright: Youtube/Drotschmann
2,3 Millionen Menschen stimmen bei der Bundestagswahl zum ersten Mal ab. Welche Parteien erreichen die jungen Wähler in den sozialen Medien am besten? Wo haben Scholz, Merz, Weidel und Habeck Fehler gemacht? Daniel Benedict fragt Mirko Drotschmann, der als Youtuber „MrWissen2go“ Politik für Millionen junge Wähler erklärt.
Herr Drotschmann, wie wirkt ein 90-minütiges Kanzlerduell auf ein Publikum, das langweilige Inhalte bei Tiktok in Sekundenbruchteilen wegwischt?
Man könnte denken, dass so ein Gespräch die Aufmerksamkeitsspanne überschreitet und nicht geguckt wird. Ich glaube aber, dass sich auch jüngere Menschen intensiv informieren wollen und die Akteure gern ausführlich sprechen hören. Je zugespitzter, desto besser. 45 Minuten hätten aber auch gereicht. Für Jüngere wären interaktive Elemente hilfreich. Viele sitzen mit dem Handy vor dem Fernseher und diskutieren parallel in sozialen Netzwerken. Das sollte man einbeziehen.
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Auf Ihrem Youtube-Kanal „MrWissen2go“ kriegen Sie diese direkte Reaktion. Welche Politikberichterstattung wünschen sich Ihre Nutzer?
Den Kanal habe ich 2012 gestartet. Ein Jahr später war Bundestagswahl und ich habe die Wahlprogramme vorgestellt. Kaum jemand liest diese dicken Wälzer wirklich komplett – da wollte ich Abhilfe schaffen, und mache das nach wie vor bei Wahlen sehr gerne. In klassischen Redaktionen gelten Erklärstücke als banal. Aber das wird gesucht: knappe, neutral aufbereitete Informationen. Eins meiner Videos behandelt die Frage: Wie funktioniert die Wahl? Jeder zweite Chefredakteur würde das wahrscheinlich als überflüssig ablehnen. Es wird aber permanent abgerufen, weil es offenbar ein Bedürfnis gibt, auch ganz grundsätzliche Dinge nähergebracht zu bekommen.
Im Youtube-Umfeld wirken Ihre Videos fast bieder: keine Tricks, keine Gags, keine Emotion. Wieso funktioniert das?
Die Frage stellen auch Lehrer. Die hören in der Ausbildung, dass Frontalunterricht falsch ist. Und ich mache genau das. Manchmal will man nicht unterhalten werden, sondern gut informiert. Das braucht einen klaren Aufbau. Ich will so unaufgeregt wie möglich sein. Es wäre ein Fehler, wenn sich wegen einer Geste oder eines Effekts ungewollte Wertungen einschleichen. Ich bin zum Beispiel ein Fan der „Informationen am Morgen“ im Deutschlandfunk. Das Programm dort ist seit Ewigkeiten gleich gestaltet: sachlich, nüchtern, unaufgeregt. Selbst wenn die Welt untergehen würde, wäre das vermutlich nicht anders. Diese Herangehensweise bewundere ich und versuche, sie auf Youtube zu übertragen.
Welche Politiker haben eine gute Social-Media-Ansprache, die auch die Jungen mitnimmt? Wer muss nachbessern?
Alle Parteien haben gemerkt, dass sie ihre Inhalte nicht gleichförmig in alle Plattformen gießen können. Lange hat die AfD alle vor sich her getrieben. Auf den Social-Media-Plattformen hatte sie mal so viel Reichweite wie alle anderen zusammen. Das ändert sich gerade. Bei Tiktok hat zum Beispiel die Linke aufgeholt, besonders deren Spitzenkandidatin Heidi Reichinnek. Wenn die Linke ihre Umfragewerte im Vergleich zum Herbst teilweise verdoppelt hat, verdankt Reichinnek das vermutlich auch ihrem Social-Media-Team.
Es gibt aber auch Häme, wenn Claudia Roth mit der Grünen Jugend im Formationstanz den politischen Gegner attackiert.
Tiktok hat eine eigene, nicht unkomplizierte Sprache. Von manchen Trends habe auch ich noch nie gehört. Wir haben Mitarbeiter, die Anfang 20 sind und den Tonfall beherrschen. Ich gehe davon aus, dass die Parteien das genauso machen. Das Video der Grünen greift einen Tiktok-Trend auf – und ich denke auch, dass das ordentlich schiefgegangen ist. Man merkt, wenn jemand nicht authentisch ist. Olaf Scholz hat eine ähnliche Bauchlandung hingelegt, als er auf Tiktok seine Tasche durch die Gegend getragen hat. Aber selbst solche Misserfolge bringen Aufmerksamkeit.
Verändern die digitalen Abspielflächen die Debatte im Bundestag? Werden Ordnungsrufe nur provoziert, weil sie sich auf Tiktok gut verkaufen lassen?
Absolut. Die AfD hat zum Beispiel früh damit begonnen, ihre Reden auch auf die sozialen Medien auszurichten und gezielt über die Reden Clips generiert. Andere Parteien ziehen langsam nach. Diese „Tiktokisierung“ des Bundestags halte ich aber für eine schwierige Entwicklung. Es geht dann fast nur noch um Zuspitzung, Polarisierung, Emotionalisierung statt um die Sache.
Ursprünglich verfolgte das Internet die Utopie gelebter Basisdemokratie. Leistet Social Media auch etwas Gutes?
Das Internet kann Politik und Gesellschaft zusammenzubringen. Sie können Ihrem Abgeordneten eine Nachricht auf Instagram schicken – und er antwortet. Die Hürde ist viel niedriger als beim Brief. Das ist eine große Chance, Vertrauen zurückzugewinnen. Online kann man mitbestimmen, mitreden, sich positionieren. Das steigert das Interesse für Politik. Mit den Wahlprogrammen habe ich zum Teil mehr als eine Million Abrufe; das gab es bei der letzten Bundestagswahl nicht. Ich erlebe eine starke Politisierung der Gesellschaft. Die oft damit einhergehende Polarisierung ist die Schattenseite.
Sehen Sie bei den jungen Wählern eine Nachfrage nach Themen, die die Politik nicht ausreichend bedient?
Viele junge Menschen interessiert das Bildungssystem: Warum wird unsere Schule nicht saniert? Warum lernen wir mit alter Technik? Dazu kommt zu wenig. In Schulen höre ich außerdem immer wieder die Frage: Kommt der Dritte Weltkrieg? Für solche fundamentalen Sorgen fehlen Schülern Ansprechpartner in der Politik. Und das Wählen ab 16 auf Bundesebene ist meiner Meinung nach auch überfällig. Das stand im Koalitionsvertrag. Jetzt kommt es nicht, und das enttäuscht viele junge Menschen.
Mirko Drotschmann ist auch in der dreiteiligen „Terra X“-Reihe „Was die Welt besser macht“ zur Geschichte der Demokratie zu sehen. Das Format läuft ab 30. März sonntags um 19.30 Uhr im ZDF. In der Mediathek sind alle Folgen schon ab 26. März verfügbar.