Gespräch mit Regisseur Wim Wenders über seinen neuen Film „Perfect Days“ und die Chancen auf einen Oscar im vierten Anlauf.
Wim Wenders über den Film „Perfect Days“„Die Toiletten sind noch aussagekräftiger. Hier geht's ans Eingemachte“
Wim Wenders' neuer Film spielt buchstäblich auf der Toilette. „Perfect Days“ erzählt von einem Tokioter Kloputzer, dem in der denkbar banalsten Beschäftigung der Sinn des Daseins aufscheint. Mit Daniel Benedict spricht der 78-jährige Regisseur über den Verlust des Gemeinsinns, Alkohol, Koks und die Kunst.
„Perfect Days“ handelt von einem Kloputzer. Schauplatz sind Japans öffentliche Toiletten. Sagen Klosetts etwas über ein Land aus?
Wenn ich neue Orte kennengelernt habe, bin ich nie gezielt auf Toiletten gegangen. Mein Indikator waren immer die Friedhöfe. Die sehen in jedem Land anders aus, haben eine andere Kultur, andere Grabsteine, werden anders bewirtschaftet und genutzt. Auf dem Friedhof sieht man, wie die Menschen in diesem Land ticken. In Japan zum Beispiel wird auf Friedhöfen auch gefeiert. Inzwischen glaube ich aber: Die Toiletten sind noch aussagekräftiger. Hier geht's ans Eingemachte.
Was ist in Japan denn anders?
In Japan ist alles anders. Die japanische Kultur hat einen größeren Gemeinschaftssinn. Was Menschen gemeinsam nutzen, hat einen höheren Wert. Bei uns wird es eher missachtet. In Berlin landen die E-Scooter, die man ja gemeinsam nutzt, oft in der Gosse, im Gebüsch oder gleich im Kanal. Die Leute fahren gern damit – egal, wie doof sie darauf aussehen und wie wenig sie von Verkehrsregeln halten –, aber sobald sie absteigen, ist das Ding wertlos. Japaner achten viel mehr den potenziellen Wert für andere. Das merkt man an den Rollern, an den Toiletten, sogar an den Masken.
An den Masken?
Lange vor der Pandemie haben Japaner in der Öffentlichkeit regelmäßig Masken getragen. Als ich vor 30 Jahren mal lange Zeit in Tokio war, hat mich ein amerikanischer Freund da besucht und sich gewundert: „Haben die alle Angst, sich anzustecken?“ Nein, haben sie nicht, hab ich ihm erklärt, die sind krank und wollen einfach andere nicht infizieren. Für meinen Freund war das undenkbar. Er konnte sich nicht vorstellen, dass man eine solche Unbequemlichkeit wie eine Maske auf sich nimmt, nur um andere zu schützen!
Wenn der Set eine reale Toilette ist – muss man für die Crew dann trotzdem Dixi-Klos aufstellen? Oder haben Sie den Drehort pragmatisch als das genutzt, was er ist?
Wir haben die Toiletten natürlich auch selber benutzt. Für Dixi-Klos hätten wir keine Kapazitäten gehabt. Wir haben den Film mit kleinem Team gedreht, wie eine Doku, die Kamera immer auf der Schulter, nie mit Stativ. Es waren nur 16 Drehtage, und an jedem davon haben wir bis zu 50 Einstellungen gedreht.
Das klingt nach der spontanen Arbeitsweise Ihrer Anfänge. Damals hieß es: „Papas Kino ist tot.“ Stimmt das eigentlich? Zu den größten Hits gehörte zuletzt die „Fack ju Göhte“-Reihe – klassische Paukerfilme. Sogar Uschi Glas macht wieder mit.
Papas Kino war vielleicht nur scheintot. (lacht) Es wurde wohl immer mitgeschleppt und durch die Institutionen mitgefördert. Gleichzeitig war in Deutschland auch das Arthouse-Kino immer eine Mischform: aus Neuem und aus dem, was eben gut läuft. Deutschland fördert, was funktioniert. Anderswo ist es aber auch nicht anders. Die Franzosen machen ihr Geld mit Komödien, die kommerziell sind wie früher.
Neues Kino definiert sich über Reduktion. Nouvelle Vague, Neorealismus, Neuer Deutscher Film: Erneuerungsbewegungen haben fast immer auf bescheidene Mittel gesetzt. Verändert wurde die Filmgeschichte immer von „kleinen Filmen“, die sich beschränken mussten. Filme, die alles Geld der Welt haben, sind nie innovativ und bringen das Kino als Filmkunst nicht voran.
Kino wird heute auch aus der Perspektive der Arbeitsplatzsicherheit wahrgenommen. Nach der MeToo-Debatte wurde bei Til Schweiger zuletzt die Frage von Wutausbrüchen diskutiert. Wo stehen Sie in der Debatte?
Ich halte nichts von Meinungen aufgrund von Hörensagen. Ich kann zu dem Thema nur aus eigener Erfahrung etwas beitragen: Drehen macht viel mehr Spaß, wenn Frauen paritätisch mitmachen. In den 70er-Jahren bestanden Film-Teams oft fast ausschließlich aus Männern, und das brachte einfach nicht das Beste aus allen heraus. Im Gegenteil, da kam schnell ein stumpfer Trott heraus. Frauen in wichtigen Positionen und ein ausgeglichenes Team, das tut einem Film gut, da ist ein lebendigerer Geist drin. Jetzt gibt es ja Gott sei Dank auch Frauen in Gewerken, die Männerdomänen waren: Kamerafrauen, Tonmeisterinnen, Beleuchterinnen, Bühnenarbeiterinnen ...
Wie ändert das die Stimmung?
Um es mal ganz krass zu sagen: Männer unter sich haben meist keine tolle Arbeitsmoral. Da wird zu viel geschwiegen oder zu viele dumme Witze gemacht. Wenn Frauen dazukommen, ändert sich die Einstellung schlagartig. In gut gemischten Teams sind alle anders drauf, wacher und beweglicher. Wenn die Elektriker kein Interesse am Film haben, spiegelt sich das später auf der Leinwand wider. Deshalb sind mir die Bedingungen am Set immer wahnsinnig wichtig – von der Zusammensetzung der Teams bis hin zum Alkohol.
Bis zum Alkohol?
An Filmsets spielt Alkohol oft eine Rolle, und Schauspieler sind dabei eine besonders gefährdete Berufsgruppe. Sie riskieren auch am meisten und sind oft hoch exponiert. Es gibt Leute, die von morgens bis abends dicht sind, auch Regisseure. Und das hat Folgen. Mein großes Vorbild, mein Freund Nicholas Ray, der Regisseur von „Denn sie wissen nicht, was sie tun“, hatte ein Alkoholproblem. Hollywood hat ihn geächtet, weil er gekifft und getrunken hat. Er wurde mein Held, weil er die letzten 20 Jahre seines Lebens trocken war. Er wusste aus eigener Erfahrung, wie sehr der Alkohol der größte Feind seiner Kreativität war.
Wie ist es mit Kokain?
Koks ist Gift für jeden Film, weil es die Realitätsfähigkeit noch mehr einschränkt als Alkohol, vor allem auch die Selbsteinschätzung. Wenn nur einer kokst, wird der Film nichts, vor allem nicht, wenn es der Regisseur ist. Ich kenne nur einen einzigen schönen Film, bei dem die Leute gekokst haben: „The Last Waltz“. Alkohol und Koks tragen auf jeden Fall nichts Gutes zum Arbeitsklima bei.
Trinken Sie nicht?
Ich habe ein paar Filme komplett nüchtern gemacht, aber bei den meisten trinke ich nach Drehschluss gerne einen Wein. Bei „Perfect Days“ war es dann oft Sake, aber natürlich auch erst nach Drehschluss. Mit dem Trinken während der Drehzeit ist es mit französischen oder italienischen Teams ein Riesenproblem. Wenn da kein Wein oder Bier zum Mittagessen serviert wird, gibt es offene Rebellion. Aber ich muss sagen, die können dann trotzdem nach dem Lunchbreak richtig durchziehen und kriegen mehr hin als beim nüchternen Dreh am Morgen.
„Perfect Days“ kam auf die Shortlist für den Auslandsoscar – für Japan. Wäre es am Ende denn trotzdem ein deutscher Erfolg?
Beim Auslandsoscar geht die Statue an den Produzenten. In diesem Fall sind wir zu dritt: Zwei Japaner und ich. Wir haben für „Perfect Days“ schon einen Preis in Deutschland bekommen, den der Gilde deutscher Filmkunsttheater. Und da habe ich tatsächlich als deutscher Regisseur den Preis für den besten ausländischen Film bekommen. (lacht) Das war ein Novum für mich. Bis zum Oscar ist es aber noch ein weiter Weg.
Der Oscar ist eine fragwürdige Institution – schon deshalb, weil ein Alfred Hitchcock ihn nie bekommen hat. Wäre es trotzdem die Krönung Ihres Werks?
Immerhin wurde Hitchcock sechsmal nominiert, auch wenn er jedes Mal leer ausging. Er hat's mit seiner stoischen Fassung getragen. Es gibt eine ganze Reihe großer Regisseure, die auch nie mit dem Oscar ausgezeichnet wurden: Stroheim, Sternberg, Preminger, Hawks, Ray. Fritz Lang wurde noch nicht mal nominiert. Ich bin bislang dreimal nominiert worden, jeweils für einen Dokumentarfilm, und stehe somit noch recht weit unten auf der Leiter.
Natürlich wär's eine feine Sache, aber Krönung würde ich nicht sagen. Höchstens Sahnehäubchen.
Wahre und erfundene Geschichten
Geboren wird Wim Wenders (Foto) am 14. August 1945 in Düsseldorf. Mit Regisseuren wie Werner Herzog, Volker Schlöndorff und Rainer Werner Fassbinder gehört er zur Bewegung des Neuen Deutschen Films.
Zu Wenders' Spielfilmen zählen Klassiker wie „Paris, Texas“ (1984) und „Der Himmel über Berlin“ (1987). Im dokumentarischen Werk porträtiert er wiederholt Künstler. Seine Filme über die Musiker vom „Buena Vista Social Club“ (1999), die Choreografin Pina Bausch ( 2011) und den Fotografen Salgado („Das Salz der Erde“, 2014) werden für den Oscar nominiert.
Sein neuester Film „Perfect Days“ läuft derzeit im Kino. (dab)