In Medjugorje soll die Muttergottes täglich Sehern erscheinen soll. Die „öffentliche Verehrung“ ist erlaubt, eine Erklärung zum übernatürlichen Charakter gibt es jedoch nicht.
Erscheint dort Maria?Warum Papst Franziskus plötzlich Wallfahrten nach Medjugorje erlaubt
Es ist einer der beliebtesten Pilgerorte der katholischen Kirche weltweit, und doch konnte sich der Vatikan ewig nicht entscheiden, was von den Ereignissen dort eigentlich zu halten ist. Im kleinen Ort Medjugorje in Bosnien-Herzegowina soll selbsternannten Sehern bis heute jeden Tag die Muttergottes erscheinen, um ihnen wichtige Botschaften mitzuteilen. Kann das stimmen? Selbst viele kirchlichen Autoritäten sind skeptisch.
Doch nach langwierigen Zeugenbefragungen und theologischen Gutachten hat die oberste Glaubensbehörde des Heiligen Stuhles, das Dikasterium für die Glaubenslehre, im September vergangenen Jahres tatsächlich die „öffentliche Verehrung“ der Marienerscheinungen genehmigt. Was dahinter steckt, was das für katholische Gläubige in aller Welt bedeutet und wie es nun weitergeht – eine Analyse in sechs Punkten:
1. Was ist los in Medjugorje?
Was auch immer es ist, was dort genau geschieht, es begann im Sommer 1981: Damals traten im Dorf Medjugorje im heutigen Bosnien-Herzegowina sechs Teenager auf, zwei Jungs und vier Mädchen, und berichteten, ihnen sei beim heimlichen Rauchen auf einem nahen Berg die Jungfrau Maria erschienen. Die Erscheinungen seien auch noch nicht vorbei, sondern kehrten ständig wieder, jeden Tag aufs Neue.
Die Geschichte erregte rasch internationales Aufsehen und zog schon bald die ersten Pilger an – heute kommen Jahr für Jahr rund 2,5 Millionen Gläubige. Das Besondere dabei: Besucher können die angeblichen Seher dabei beobachten, wie die ihre Visionen haben. Es gibt auch Videos davon. Ingesamt soll die Jungfrau Maria mittlerweile schon rund 42.000 Mal erschienen sein, mal einzelnen Sehern, mal mehreren oder allen gleichzeitig.
2. Wie sieht die Erscheinung aus?
Maria, so beschrieben es die Teenager bereits Anfang der 1980er-Jahre, trage ein graues Kleid, das schwarze Haar werde gebändigt von einem weißen, schmucklosen Schleier, und über dem Haupt leuchte ein Sternenkranz. Die Gestalt, die sie die „Gospa“ nannten – Kroatisch für Gottesmutter –, sei umgeben von Licht und lache hin und wieder.
Man könne sie berühren und sogar küssen. In späteren Interviews ergänzten die Seher, die Gestalt sei optisch „zwischen 18 und 20 Jahre“ alt, etwa 1,65 Meter groß und „eher schlank“. Sie stehe „auf einem weißlichen Wölkchen“.
3. Was sagt die Gospa – die Gottesmutter?
Anfangs sagte sie fast nichts, und das machte den örtlichen Gemeindepfarrer stutzig. Er befragte die Seher wenige Tage nach Beginn der angeblichen Erscheinungen und ließ dabei ein Tonband laufen. „Warum erschien sie euch, wenn sie keine Botschaft überbrachte?“, wollte er wissen. „Auf mich wirkt das wie Gekasper. Sie kam vergeblich, und sie hat nichts zu sagen.“
Letzteres hat sich allerdings längst geändert: Mittlerweile spricht die Gospa, wenn man den Angaben der Seher glaubt, bei jedem Auftritt. Am 25. September 2024 zum Beispiel sagte sie: „Meine lieben Kinder, vergesst nicht, dass der wahre Frieden nur durch das Gebet kommt, von Gott, der euer Friede ist.“ Das ist typisch für die Botschaften von Medjugorje, in denen es viel um den Frieden und um allgemeine Erbauung geht.
Interessanterweise kann es aber auch vorkommen, dass die Gospa der katholischen Glaubenslehre widerspricht. So sagte sie am 24. Juli 1982 über das menschliche Sterben: „Der aus der Erde genommene Leib verwest nach dem Tode. Er wird nie wieder lebendig.“ Die Kirche dagegen lehrt die leibliche Auferstehung. Am 2. November 2017 wiederum soll die Gospa mitgeteilt haben: „Mein Sohn, einer und dreifaltig, liebt euch.“ Eine Formulierung, die nach strenger katholischer Sichtweise eine Irrlehre ist: Nicht der Sohn ist danach dreifaltig, sondern der Sohn ist eine der drei Personen des dreifaltigen Gottes.
Der Vatikan spricht in seiner aktuellen Medjugorje-Entscheidung von einem „unpräzisen mystischen und theologisch definitiv inkorrekten Sprachgebrauch“, den er allerdings nur den Sehern anlastet, nicht der Gottesmutter selbst.
4. Was hat der Vatikan entschieden?
Das römische Glaubensdikasterium hat Mitte September das kirchliche „Nihil obstat“ zu Medjugorje verkündet: Der lateinische Ausdruck lässt sich als „es spricht nichts dagegen“ übersetzen und ist eine Art kirchliche Unbedenklichkeitserklärung. Laut dem entsprechenden Dokument mit dem Titel „Die Königin des Friedens“ ist damit nun „die öffentliche Verehrung“ erlaubt, womit offenbar ganz allgemein der fromme Besuch des Wallfahrtsortes gemeint ist. Rom legt allerdings Wert darauf, dass die Entscheidung „keine Erklärung des übernatürlichen Charakters des fraglichen Phänomens“ darstelle. Die Gläubigen seien auch „nicht verpflichtet, daran zu glauben“.
Dieses doppelte Signal ist als Versuch zu verstehen, sich endlich aus einem kirchenpolitischen Dilemma zu befreien: Der Vatikan will keine Gospa zertifizieren, die mitunter Häresien verbreitet, muss zugleich aber vermeiden, den Millionen von Medjugorje-Anhängern vor den Kopf zu stoßen.
5. Hält der Papst die Erscheinungen für echt?
Das ist natürlich nicht ausgeschlossen, wäre aber eine Überraschung. Bereits wenige Monate nach seiner Wahl, im November 2013, hatte Franziskus in einer Predigt zu Legenden über regelmäßige Marienbotschaften allgemein gesagt: „Die Madonna ist eine Mutter. Sie liebt uns alle. Sie ist keine Postbeamtin, die jeden Tag Nachrichten schickt. Solche Berichte entfernen uns vom Evangelium.“
Auch die neue Verlautbarung seines Glaubensdikasteriums, deren Veröffentlichung Papst Franziskus persönlich angeordnet hat, klingt eher reserviert. Es ist stets nur von „angeblichen“ Sehern die Rede, von „angeblichen“ Erscheinungen und von „vermeintlichen“ Botschaften.
Zur Begründung für sein „Nihil obstat“ werden diese „angeblichen“ Erscheinungen auch gar nicht herangezogen, sondern der Vatikan bezieht sich ausschließlich auf das Drumherum: Dass so viele Menschen Medjugorje aufsuchen und dort Trost finden, dass dort dort viele Männer eine Priesterberufung verspüren oder christliche Paare sich dort zur Ehe entscheiden, erkennt der Vatikan an als „schöne und positive Früchte“. An diesen Früchten weiter teilzuhaben, dagegen spricht eben nichts, so ist das „Nihil obstat“ zu verstehen.
6. Was ändert sich jetzt mit der Genehmigung?
Egal, wie differenziert das Papier des Glaubensdikasteriums formuliert sein mag: Medjugorje steigt damit gefühlt zum von Rom anerkannten Marienwallfahrtsort auf. Das dürfte den Zulauf weiter stärken. Bewunderer des Phänomens, zu denen auch weltweit einflussreiche Kirchenmänner wie der Wiener Kardinal Christoph Schönborn gehören, können sich damit bestätigt fühlen.
Allerdings könnte sich die Frequenz der Botschaften verändern. Laut Vatikan-Dokument wird ein Bevollmächtigter des Heiligen Stuhles ab sofort „die zukünftigen Botschaften – oder die vergangenen Botschaften, die noch nicht veröffentlicht wurden – einer Prüfung unterziehen und ihre eventuelle Veröffentlichung unter Berücksichtigung der obigen Klarstellungen genehmigen müssen“. Rom behält sich also vor, Einschätzungen der Gottesmutter erst einmal abzunehmen: Sicher ist sicher.