54 Prozent der Deutschen sind mit der Arbeit von Boris Pistorius zufrieden, bei der Truppe ist er beliebt. Selbst die Opposition ist wohlwollend - was macht er besser als alle anderen?
Mann an der Spitze des VerteidigungsministeriumsWarum Boris Pistorius der beliebteste Politiker Deutschlands ist
Die Erleichterung in weiten Teilen der Öffentlichkeit und vor allem der Bundeswehr war geradezu greifbar: Endlich wieder ein Mann an der Spitze des Verteidigungsministeriums. Endlich jemand, der selbst „gedient“ hat. Endlich jemand, dem man zutrauen konnte, ein Gespür für die Truppe zu entwickeln.
Nachdem die zwei Vorgängerinnen Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) und Christine Lambrecht (SPD) vom Amt überfordert krachend scheiterten, waren die Erwartungen in Politik und Gesellschaft im Januar dieses Jahres hoch. Würde es Boris Pistorius schaffen, das ramponierte Ansehen seines Ministeriums und der Bundeswehr aufzupolieren?
Wohl für kaum jemanden im politischen Geschäft dürfte das Jahr so schnell vergangen sein wie für Pistorius. Angesichts des russischen Krieges gegen die Ukraine unmittelbar vor der Haustür hat der 63-jährige SPD-Politiker das Amt in einer Bedrohungs- und Gefährdungslage übernommen, die Deutschland seit dem Ende des Kalten Krieges nicht mehr gesehen hat.
"Sie können nur gut führen, wenn Sie sich auch beraten lassen"
Schnellstmöglich musste sich der ehemalige Osnabrücker Oberbürgermeister und niedersächsische Innenminister einarbeiten. Mit der Debatte um die Lieferung deutscher Panzer und Flugabwehrsysteme an die Ukraine waren alle Augen auf den bisherigen Landespolitiker gerichtet, der seit dem 19. Januar plötzlich mit den Weihen eines Bundesministers ausgestattet war.
Den Anspruch an sich selbst hat er umgehend formuliert: „Sie können nur gut führen, wenn Sie sich auch beraten lassen und zuhören. Aber gleichzeitig entscheidungsfreudig und mutig sind“, sagte er dem Magazin „Spiegel“ kurz nach Amtsantritt. Und bekräftigte im Bundestag bei der Debatte zum Bericht der Wehrbeauftragten: „Wir müssen besser werden mit Blick auf die Herausforderungen, vor denen wir stehen.“
Eine erste Bilanz nach 100 Tagen im Amt klang sogar in der Opposition wohlwollend. So gestand CDU-Verteidigungsexperte Johannes Wadephul im Deutschlandfunk ein, sich in der Annahme getäuscht zu haben, Pistorius sei als Verteidigungsminister nur eine B-Lösung gewesen; er mache sich ganz gut im Job. Ähnlich äußerten sich Militärexperten im akademischen Raum.
Tatsächlich hat sich Boris Pistorius im Laufe des Jahres zum beliebtesten Politiker im Land entwickelt. Im jüngsten Deutschland-Trend der ARD äußerten sich mehr als die Hälfte der Befragten, nämlich 54 Prozent, zufrieden oder sehr zufrieden mit dem sozialdemokratischen Bundesverteidigungsminister. So manch einer traut ihm gar den Kanzlerjob zu – und das nicht ohne Grund.
Pistorius hat vom ersten Tag an bewiesen, wie sehr ihm daran liegt, der Lachnummer Bundeswehr bei den Bürgern wieder Respekt zu verschaffen, und keinen Zweifel daran gelassen, seinen Laden umzukrempeln. Er hat den Generalinspekteur ausgetauscht, einen Planungs- und Führungsstab eingerichtet und Regeln erlassen, um die Beschaffung von Ausrüstung für die Bundeswehr zu beschleunigen; auch die Spitze des Beschaffungsamtes hat er neu besetzt. Ein „Weiter wie bisher“ durfte es nicht geben.
Aufgrund der aktuellen Sicherheitslage muss sich Pistorius fürs Geldausgeben nicht rechtfertigen
Verwaltungswesen und Beschaffung für die Truppe effektiver aufzustellen kann gar nicht schnell genug gehen. Straffere Strukturen, wie sie Pistorius zuletzt in seinem Ministerium in die Wege geleitet hat, waren überfällig. Als früherer OB und Landesminister hat er viel Erfahrung im Umgang mit Verwaltungen in den neuen Job eingebracht. Das wird ihm die Zeit der Einarbeitung vermutlich erleichtert haben.
In verteidigungspolitischen Richtlinien für die Bundeswehr hat Pistorius – nicht unumstritten in der Wortwahl – deren „Kriegstüchtigkeit zur Handlungsmaxime“ erklärt. Und im Baltikum lässt er eine neue Brigade stationieren, um die Ostflanke der Nato mit Blick auf die veränderte Bedrohungslage durch Russland zu verstärken. Es ist also einiges in Bewegung gekommen bei Heer, Marine und Luftwaffe in diesem Jahr.
Die Ukraine will Pistorius im Kampf gegen den russischen Angriffskrieg weiter unterstützen. Man werde nicht nachlassen und beliefere Kiew mit neuen Systemen zur Luftverteidigung sowie mit gepanzerten Fahrzeugen und Munition.
Dabei hat der Verteidigungsminister das Glück, zur Modernisierung der Armee auf das Finanzpolster des Sondervermögens in Höhe von 100 Milliarden Euro zurückgreifen zu können. Und auch für die nächsten Jahre will die Ampel-Regierung in Berlin bei der Sicherheit nicht knausern. Verteidigungsausgaben in Höhe von zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes würden nun „dauerhaft“ gewährleistet, bekräftigte Kanzler Olaf Scholz – und stärkte seinem Minister so den Rücken. Schließlich steht Deutschland bei der Nato im Wort. Aufgrund der aktuellen Sicherheitslage muss sich Pistorius fürs Geldausgeben nicht so rechtfertigen wie andere Kabinettskollegen.
Pistorius weiß, mit welcher Art von Sätzen man Wirkung erzielen kann
Nicht nur inhaltlich hat der SPD-Mann die Bewährungsprobe im ersten Jahr seiner Amtszeit bestanden. Auch menschlich läuft es. Von Beginn an hat Pistorius die Nähe zu den Soldaten gesucht. In der Truppe treffe er den richtigen Ton, sagen Beobachter. Bildlich setzt sich Pistorius geschickt in Szene, wenn er etwa in Uniform und Camouflage auftritt. Der Niedersachse wirkt dann nicht ungelenk und fehl am Platz, sondern so, als sei er in seinem Element – was man von seiner Vorgängerin wahrlich nicht behaupten konnte.
Er habe sich an seine eigene Wehrdienstzeit vor 40 Jahren erinnert gefühlt, hatte er schon beim Besuch eines Panzergrenadier-Bataillons in Sachsen-Anhalt an seinem siebten Arbeitstag wissen lassen: „Ich bin froh, bei der Truppe zu sein“, verkündete der neue Verteidigungsminister damals. Pistorius weiß, mit welcher Art von Sätzen und Bildern man Wirkung erzielen kann. Er strahlt Volksnähe und Authentizität aus – und das nicht nur beim Truppenbesuch, sondern auch als Privatmann.
Und doch: Das Image des Machers bekommt zur Jahreswende erste Kratzer. Auch wenn viel angestoßen wurde, sorgen die Mühen der Ebene inzwischen für Ernüchterung. Wer die Bundeswehr wieder in den Zustand echter Wehrhaftigkeit versetzen will, muss dicke Bretter bohren. Das dürfte inzwischen auch beim Minister angekommen sein. Ob Pistorius’ steil aufgegangener Stern bis zum Ende der Legislaturperiode im Herbst 2025 im Zenit stehen wird?
Letztlich müsse Pistorius liefern; daran werde man ihn schließlich auch messen, sagte CDU-Verteidigungsgexperte Wadephul schon anlässlich der 100-Tage-Bilanz. Zuletzt nun zog er ein finsteres Resümee. Der Aufbau der Bundeswehr hin zu verteidigungsfähigen Streitkräften komme kaum voran.
„Ich erkenne große Ankündigungen, aber wenig tatsächliche Maßnahmen, die zu der von dem Verteidigungsminister selbst beschworenen Kriegstüchtigkeit beitragen“, sagte Wadephul. „Entscheidende Truppenteile können maximal zwei Tage in einem Gefecht durchhalten. Und das ist ein insgesamt katastrophaler Befund.“ Noch immer finde die vom Kanzler angekündigte Zeitenwende für die Bundeswehr nicht statt. Und natürlich liege das auch in der Verantwortung von Boris Pistorius.
Dass diese harsche Kritik jedoch ausgerechnet aus jener Partei kommt, unter deren Verteidigungsministern die Bundeswehr über 16 Jahre Regierungszeit nahezu heruntergewirtschaftet wurde – das ist dann doch etwas verwunderlich. Und dass Pistorius das solchermaßen angeschlagene Verteidigungswesen Deutschlands nicht innerhalb eines Jahres würde umfänglich sanieren können, muss jedem klar gewesen sein, der halbwegs bei Verstand ist.
Für die Zukunft bleibt also viel zu tun. Sowohl bei den Rüstungsaufträgen als auch im Kampf gegen den Personalmangel. Immerhin aber hat es Boris Pistorius geschafft, dem Amt des Verteidigungsministers in diesem Jahr wieder zu neuem Ansehen zu verhelfen. Hatte die Öffentlichkeit die letzten beiden Vorgängerinnen noch belächelt, wird der Neue respektiert und geachtet.