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Verschärfte AsylpolitikDie unerwartete Kehrtwende der Ampel-Koalition

Lesezeit 4 Minuten
Ein Schild mit der Aufschrift «Asyl» hängt in Erstaufnahme für Asylbewerber  an einer Wand.

Die Koalition hat die härtesten Verschärfungen im Asylrecht seit 1993 auf den Weg gebracht.

Was genau hat die Ampel beschlossen – und wie wirken sich die Maßnahmen auf den Alltag von Asylbewerbern aus? Ein Überblick.

Die Ampel war 2021 mit großen Versprechen in ihre Regierungszeit gestartet. SPD, Grüne und FDP kündigten einen Paradigmenwechsel in der Migrationspolitik an. Deutschland solle ein „modernes Einwanderungsland“ werden. Davon redet heute allerdings kaum mehr jemand. Stattdessen hat die Koalition die härtesten Verschärfungen im Asylrecht seit 1993 auf den Weg gebracht.

Kritik daran gibt es etwa von der Flüchtlingsorganisation Pro Asyl: „Die Ampel-Parteien haben in der Asylpolitik eine Kehrtwende hingelegt. Mit dem Rückführungsverbesserungsgesetz haben wir jetzt ein schärferes Gesetz, als wir es unter Horst Seehofer hatten“, sagte die rechtspolitische Sprecherin Wiebke Judith unserer Redaktion unter Verweis auf den früheren CSU-Bundesinnenminister.

Längeres Warten auf Leistungen

Es war einer der politischen Aufreger des Herbstes: CDU-Chef Friedrich Merz sagte in einer Talkshow, abgelehnte Asylbewerber „sitzen beim Arzt und lassen sich die Zähne neu machen, und die deutschen Bürger nebendran kriegen keine Termine.“ Die Kritik ließ nicht lange auf sich warten: Merz sei ein Populist, der auf Kosten von Flüchtlingen Stimmung mache, hieß es.

Tatsächlich haben Asylbewerber erst einmal einen eingeschränkten Zugang zu medizinischer Versorgung. Lediglich akute Erkrankungen werden behandelt. Allerdings: Nach 18 Monaten Aufenthalt in Deutschland – egal, ob der Asylantrag nun abgelehnt wurde oder noch offen ist – ändert sich der Anspruch: Ab dann gelten Leistungen analog zur Sozialhilfe. Bei medizinischer Notwendigkeit kann das auch neue Zähne bedeuten.

Die Ampel hat diesen Zeitraum nun drastisch verlängert: Statt wie bisher nach 18 Monaten verbessern sich die Ansprüche künftig erst nach 36 Monaten. Diese Änderung am Asylbewerberleistungsgesetz war im Schatten schärferer Abschiebe-Regeln gleich mitbeschlossen worden. Öffentlich diskutiert wurde es kaum. Die entsprechende Änderung soll zeitnah in Kraft treten.

Konsequenz bei Abschiebungen

Um Menschen ohne Bleibeperspektive einfacher abzuschieben, hat die Bundesregierung im Januar das Rückführungsverbesserungsgesetz beschlossen. Es gibt den Behörden deutlich ausgeweitete Befugnisse bei Durchsuchungen und der Identitätsfeststellung. So dürfen in Gemeinschaftsunterkünften unangemeldet und zu jeder Tageszeit Räume durchsucht werden.

Zudem wird das Ausreisegewahrsam von zehn auf 28 Tage verlängert. Dabei werden abgelehnte Asylbewerber in Hafteinrichtungen untergebracht, damit sie sich ihrer Abschiebung nicht entziehen können. Diese sollen auch nicht mehr angekündigt werden müssen, falls nicht Familien mit Kindern unter zwölf Jahren betroffen sind.

Außerdem sollen Schleuser und Mitglieder krimineller Organisationen schneller ausgewiesen werden. Eigentlich war geplant, dass mutmaßliche Clan-Kriminelle auch ohne rechtskräftige Verurteilung abgeschoben werden können. Doch in den Beratungen flog dieser Passus, der für viel Aufsehen gesorgt hatte, dann unbemerkt raus.

In Deutschland leben aktuell etwa 250000 ausreisepflichtige Ausländer. Etwa 200000 von ihnen sind aus unterschiedlichen Gründen geduldet. Trotzdem wurden auch ohne die Gesetzesverschärfungen zuletzt deutlich mehr Menschen außer Landes gebracht: Im Jahr 2023 wurden 16430 Personen abgeschoben. Das ist ein Anstieg von fast 30 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, aber deutlich weniger als vor ein paar Jahren. Das Innenministerium geht durch die neue Verschärfung der Ausreisepflicht lediglich von 600 zusätzlichen Rückführungen aus.

Geldkarte für Flüchtlinge kommt

Gemeinsam mit den Bundesländern hat Berlin die bundesweite Einführung von Geldkarten angestoßen. Auf die soll künftig zumindest anteilig das bisher häufig in bar gezahlte Taschengeld überwiesen werden. Bayern und Mecklenburg-Vorpommern führen ein eigenes System ein. Im späteren Jahresverlauf sollen die Karten kommen. Mit der Bezahlkarte sind keine Überweisungen ins Ausland mehr möglich. Es gibt allerdings einen rechtlich verbrieften Anspruch auf Bargeld, den die Ampel nicht angetastet hat. Auf 100 bis 150 Euro pro Monat taxierte Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) diese Summe.

In NRW, wo es – anders als etwa in Thüringen – bisher keine Modellversuche mit Kartensystemen gibt, fordern die Kommunen von der Landesregierung eine verbindliche Regelung zum flächendeckenden Einsatz der Geldkarte. „Nur damit lassen sich auch Steuerungseffekte erzielen“, sagt der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes, Christof Sommer. Die Landesregierung hat nach anfänglichen Irritationen inzwischen klargestellt, dass sie eine flächendeckende Einführung der Karte ermöglichen will, und den Kommunen finanzielle Unterstützung signalisiert.

Zusätzliche Grenzkontrollen

Seit dem 16. Oktober kontrolliert die Polizei die Grenzen zu Polen, Tschechien und der Schweiz rund um die Uhr stationär. An der Grenze zu Österreich gibt es schon länger Kontrollen. Seitdem reisen immer weniger Menschen unerlaubt ein. Während die Polizei im September noch 21375 Übertritte registrierte, waren es im Dezember nur noch 7497.

Seit Oktober kontrollieren Polen und Tschechien die Grenze zur Slowakei. Zugleich verstärkten slowakische Sicherheitsbehörden den Schutz an der ungarischen Grenze. Mittlerweile überwacht auch Serbien die Grenze zu Ungarn intensiver. Beobachter sprechen von einem Domino-Effekt; Migranten würden in den Nachbarländern an den Grenzen abgeschreckt, nicht erst, wenn sie Deutschland erreichten.

Es gibt auch noch andere Gründe für den Rückgang der illegalen Einreisen. Laut Fachleuten hindern rivalisierende serbische Schleuserbanden die Geflüchteten an der Weiterreise. Jahreszeit und Witterung dürften ebenfalls nicht unterschätzt werden. Vorerst hält Deutschland an den Maßnahmen aber fest. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) hat die festen Grenzkontrollen zunächst bis Mitte März verlängert.