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ThyssenkruppProduktion von „grünem Stahl“ steht offenbar auf der Kippe

Lesezeit 4 Minuten
ARCHIV - 02.05.2023, Nordrhein-Westfalen, Duisburg: Ein Stahlarbeiter von Thyssenkrupp arbeitet am Hochofen 8 auf dem Werksgelände

Auf die Hochöfen von Thyssenkrupp in Duisburg sollten DRI-Anlagen folgen. Doch jetzt steht das Großprojekt auf dem Prüfstand.

Thyssenkrupp prüft ein mögliches Aus für das milliardenschwere Projekt zur klimafreundlichen Stahlproduktion, aufgrund finanzieller Risiken und möglicher Alternativen.

Der Zeitplan für den Aufbau einer klimafreundlichen Produktion, wie ihn der damalige Thyssenkrupp-Stahlchef Bernhard Osburg vor vier Jahren beschrieb, ist schon jetzt nicht mehr zu halten. Mit dem Bau von sogenannten Direktreduktionsanlagen (DRI-Anlagen) wollte Deutschlands größter Stahlkonzern schrittweise seine klassischen Hochöfen in Duisburg ersetzen. „In den Jahren 2025 oder 2026 brauchen wir die erste dieser neuen Anlagen zur Stahlproduktion auf Basis von Wasserstoff, 2030 dann eine weitere“, stellte Osburg im Sommer 2020 klar. Damit wollte Thyssenkrupp – einer der bundesweit größten Verursacher des Klimagases Kohlendioxid (CO2) – seine Emissionen immerhin um 30 Prozent reduzieren.

Risiken und Alternativen des Großprojekts

Doch jetzt steht das historische Großprojekt in Duisburg, von dem sich auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ein Bild machte, auf dem Prüfstand. Mit Blick auf die erste angestrebte DRI-Anlage hat Thyssenkrupp-Aufsichtsratschef Siegfried Russwurm erklärt, es gebe „bereits nach kurzer Zeit Risiken ungeplanter Mehrkosten, die aktuell bewertet werden“. Intern prüfe Thyssenkrupp auch ein Aus für das milliardenschwere Vorzeigeprojekt zur Grünstahl-Produktion, berichtet das „Handelsblatt“. In einer Sitzung Ende August habe sich der Vorstand um Thyssenkrupp-Konzernchef Miguel López mit möglichen Szenarien befasst.

Neben dem Abbruch des Projekts würden noch drei weitere mögliche Alternativen geprüft, mit denen der Stahlhersteller sich klimafreundlich aufstellen könnte. Zum einen sei der Einsatz einer Direktreduktionsanlage in Kombination mit einem Elektrolichtbogenofen möglich. Auch ein sogenannter Schmelz-Reduktionsofen (SAF) könnte in Betrieb genommen werden, eine besondere Form des elektrischen Lichtbogenofens. Ein anderes Szenario sehe eine vollständige Aufstellung über Elektrolichtbogenöfen vor. Die vier Hochöfen von Thyssenkrupp nähern sich Jahr für Jahr dem Ende ihrer Laufzeit. Mit der ersten DRI-Anlage wäre erst Ersatz für eines der vier herkömmlichen Aggregate geschaffen. Schon im laufenden Jahr – so die Planungen des mittlerweile abgelösten Managements um Bernhard Osburg – sollten die Entscheidungen für eine zweite Direktreduktionsanlage kommen.

Unruhe bei Arbeitnehmern und Management

Dennis Grimm, Osburgs Nachfolger als Thyssenkrupp-Stahlchef, räumt diese Pläne ab. „Die weiteren Schritte für eine Dekarbonisierung sind technologieoffen – und auf der Zeitschiene nicht festgelegt“, sagte Grimm vor wenigen Tagen im Gespräch mit unserer Redaktion.

Führende Arbeitnehmervertreter zeigen sich besorgt. „Wir nehmen derzeit über alle Unternehmen hinweg wahr, dass es schwierig ist, grünen Stahl mit Direktreduktionsanlagen profitabel herzustellen. Hier muss die Politik nachsteuern“, sagt Jürgen Kerner, Zweiter Vorsitzender der IG Metall und stellvertretender Thyssenkrupp-Aufsichtsratsvorsitzender, auf Anfrage unserer Redaktion. Trotz der Herausforderungen sei es „keine Lösung, DRI-Projekte ganz infrage zu stellen“, mahnt Kerner. „Darum ist die erneute Diskussion um die Realisierung der Direktreduktionsanlage bei Thyssenkrupp schädlich – für Thyssenkrupp und für den Erfolg des grünen Umbaus der Industrie in Deutschland insgesamt.“

Staatshilfe und Kritik aus der Wissenschaft

Insbesondere Bundeswirtschaftsminister und Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) hat sich für den Bau von Direktreduktionsanlagen in der Stahlindustrie eingesetzt. Zwei Milliarden Euro soll Thyssenkrupp vom Staat für die erste DRI-Anlage in Duisburg erhalten. Davon will der Bund 1,3 Milliarden Euro beisteuern, 700 Millionen sollen aus der NRW-Landeskasse kommen.

In der Wissenschaft wird die Staatshilfe kritisch beäugt. „Mit den Plänen, die Wirtschaftsminister Habeck verfolgt, droht eine Subventionsorgie für wasserstofffähige Stahlwerke“, kritisiert der Energieexperte Manuel Frondel vom Essener RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung. „Die DRI-Technologie ist nach den derzeitigen Plänen eine hochriskante Wette mit hohem Wetteinsatz. Denn es ist bislang völlig unklar, dass es in naher Zukunft genügend grünen Wasserstoff zu bezahlbaren Preisen in Deutschland geben wird.“

Die aktuelle Diskussion bei Thyssenkrupp könne er nachvollziehen, sagt Frondel im Gespräch mit unserer Redaktion. „Aus Sicht von Thyssenkrupp ist es sinnvoll, die Pläne für wasserstofffähige Stahlwerke zu überprüfen. Das Unternehmen sollte technologieoffen vorgehen“, betont der RWI-Experte. „Es gibt weitaus kostengünstigere Alternativen zur Stahlproduktion mit grünem Wasserstoff, die ebenfalls den CO2-Ausstoß deutlich senken. Ein Beispiel sind Elektrolichtbogenöfen, wenn sie mit erneuerbarer Energie betrieben werden.“

Unruhe im Unternehmen und Bekenntnis zur grünen Transformation

Die Zweifel am DRI-Projekt werden bei Thyssenkrupp allerdings ausgerechnet in einer Phase laut, in der es ohnehin turbulent im Unternehmen zugeht. Der neue Stahlchef Dennis Grimm hatte erst vor wenigen Tagen erklärt, er wolle „Ruhe ins Unternehmen bringen“. Auch Thyssenkrupp-Aufsichtsratsmitglied Jürgen Kerner mahnt: „Eine weitere Verunsicherung der Beschäftigten, der Geschäftspartner und der Märkte ist das Letzte, was wir jetzt brauchen.“

In einer Stellungnahme betont das Management von Thyssenkrupp Steel, es stehe „unverändert zu seinem Bekenntnis zur grünen Transformation und zur klimaneutralen Stahlproduktion“. An einer Dekarbonisierung der CO2-intensiven Stahlproduktion führe langfristig kein Weg vorbei. Der Duisburger Stahl-Vorstand habe die Konzernmutter in Essen über zu erwartende Kostensteigerungen informiert. Auf Basis dieser Informationen werde die Situation derzeit bewertet. „Aktuell gehen wir davon aus, dass die Direktreduktionsanlage unter den gegebenen Rahmenbedingen realisiert werden kann“, so das Steel-Management.