AboAbonnieren

NahostWie der Konflikt in Syrien im Schatten des Gaza-Krieges eskaliert

Lesezeit 3 Minuten
Syrien, Al-Hamamah: Menschen begutachten die Zerstörung, die ein russischer Luftangriff auf ein Vertriebenenlager verursacht hat.

Syrien, Al-Hamamah: Menschen begutachten die Zerstörung, die ein russischer Luftangriff auf ein Vertriebenenlager verursacht hat.

Während die Welt auf Gaza blickt, versuchen Staaten und Milizen im Syrien-Konflikt militärische Vorteile für sich herauszuschlagen.

Die russische Luftwaffe bombardiert Drohnenfabriken und Kommandozentralen der Rebellen im Nordwesten von Syrien. Die türkische Artillerie beschießt Stellungen der syrischen Miliz YPG im Nordosten des Bürgerkriegslandes. Pro-iranische Milizen greifen amerikanische Stützpunkte an. Und israelische Jets bombardieren syrische Flughäfen: Im Schatten des aktuellen Gaza-Krieges eskaliert die Gewalt in allen Teilen Syriens.

Die oppositionsnahe Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte zählte Anfang der Woche im Rebellengebiet 16 russische Luftangriffe innerhalb von zwei Tagen. Im Oktober starben im Nordwesten Syriens rund 70 Menschen bei Gefechten, darunter fast 30 Kinder. Dazu kommen fast 300 Todesopfer bei Angriffen, Anschlägen und Bombardements in Landesteilen, die von der Regierung kontrolliert werden. Die Gefechte trieben nach UN-Schätzungen in den vergangenen Wochen 70000 Menschen in die Flucht.

Und keiner schaut hin

Während die Welt auf Gaza blickt, versuchen Staaten und Milizen im Syrien-Konflikt militärische Vorteile für sich herauszuschlagen. Das Ergebnis seien Gefechte, „die zu anderen Zeiten eine Reaktion provozieren würden“, so Osman Bahadir Dincer von der Bonner Denkfabrik Bicc. „Immer, wenn irgendwo in der Region die Spannungen zunehmen, machen verschiedene Akteure sich das zunutze“, sagte er unserer Redaktion. „Die derzeitigen Militäraktionen Russlands und des syrischen Regimes sind ein Beispiel dafür.“

Die Kämpfe sind zum Teil direkte Folgen des Gaza-Krieges. Pro-iranische Milizionäre beschossen amerikanische Stützpunkte in Syrien seit dem 7. Oktober, weil die USA Israel unterstützen. Die israelische Luftwaffe griff in den vergangenen Wochen die Flughäfen in der syrischen Hauptstadt Damaskus und in Aleppo an, um Waffenlieferungen aus dem Iran über Syrien an die Hisbollah-Miliz in Libanon zu stören.

Ein Übergreifen des Gaza-Krieges sei keine Möglichkeit mehr, sondern schon Tatsache, sagt der UN-Syrien-Beauftragte Geir Pedersen. Es bestehe die Gefahr, dass die syrische Zivilbevölkerung „einer größeren Eskalation“ ausgesetzt werde.

Nicht alle neuen Gefechte hängen mit dem Gaza-Krieg zusammen. Wenige Tage vor Ausbruch des Konflikts starben mehr als 100 Menschen bei einem Drohnen-Anschlag syrischer Rebellen auf die Abschlussfeier einer Militärakademie in der Stadt Homs. Syrische Regierungstruppen und die russische Luftwaffe verstärkten daraufhin ihre Attacken auf die Rebellenprovinz Idlib. Der Vize-Hilfskoordinator der UN für Syrien, David Carden, wertet dies als „schwerste Eskalation der Kämpfe seit 2019“.

Schwerer Rückschlag für Assad

Der Drohnenangriff sei ein schwerer Rückschlag für Präsident Baschar al-Assad gewesen, sagt der Nahost-Experte Joshua Landis von der Universität Oklahoma. Assad hatte mit russischer Hilfe große Teile seines Landes zurückerobern können und war seinen Gegnern militärisch überlegen. Homs habe nun aber die technologischen Fähigkeiten der Rebellen und die Verwundbarkeit der Regierungstruppen demonstriert, sagte Landis unserer Redaktion.

Im Nordosten von Syrien verstärkt die türkische Armee derweil ihren Kampf gegen die YPG-Miliz, einen Ableger der kurdischen Terrororganisation PKK. Die YPG ist ein Partner der USA im Kampf gegen den Islamischen Staat; Ankara wirft Washington deshalb vor, mit Terroristen zu kooperieren. Zudem kämpft die YPG im Osten Syriens gegen arabische Gruppen – auch dabei kamen in den vergangenen Monaten viele Menschen ums Leben. Internationale Vermittlungsversuche oder verstärkte Hilfslieferungen für die Zivilisten in Syrien sind wegen des Gaza-Krieges derzeit nicht zu erwarten.