Jahre vor dem versuchten Attentat auf Trump traf unser Autor Ryan Wesley Routh, der bei der ukrainischen Armee abgelehnt wurde. Immer fanatischer, wollte er Moskau „ausradieren“.
Trump-Attentäter Routh„Wir müssen Moskau dem Erdboden gleichmachen“
Als ich Ryan Wesley Routh kennenlernte, trug er ein mit blauer und roter Farbe beschmiertes T-Shirt, dazu eine US-Flagge als Halstuch. Er stand in Kiews Innenstadt auf dem Platz vor der berühmten Sophienkathedrale, wirkte herzlich und zu Beginn unseres Gesprächs durchaus vernünftig, bis er irgendwann sagte: „Wir müssen Moskau dem Erdboden gleichmachen.“
Wie die meisten Deutschen habe ich an diesem Montagmorgen aus den Nachrichten erfahren, dass im US-Bundesstaat Florida ein Mann festgenommen worden ist, weil er sich auf Donald Trumps Golfplatz in einem Gebüsch versteckt hat und versucht haben soll, den Ex-Präsidenten mit einem Sturmgewehr zu erschießen. Allerdings dürfte ich noch etwas überraschter gewesen sein als die meisten. Denn ich habe den Tatverdächtigen einmal interviewt.
Mitte Mai 2022, rund drei Monate nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine, hatte mich der Tagesspiegel in die ukrainische Hauptstadt geschickt, um über die Lage vor Ort zu berichten. Ich schaute, wie sich das Stadtbild Kiews verändert hatte, und führte viele Interviews.
Vor der Sophienkathedrale fiel mir als Erstes ein Denkmal auf, das zum Schutz mit einem Berg von Sandsäcken abgedeckt war. An der Rückseite klebten viele kleine Flaggen aus unterschiedlichen Ländern. Diese Flaggen hatte Ryan Wesley Routh angebracht. Der damals 56-Jährige war sofort bereit, Auskunft zu geben.
Routh erzählte, dass er in diesem Augenblick am liebsten an der Front wäre. Er hatte sich zu Hause in den USA eine kugelsichere Weste sowie einen Schutzhelm gekauft und wollte sich der ukrainischen Armee anschließen, um Putins Soldaten zurückzuschlagen. Hier finde schließlich gerade ein Kampf zwischen Gut und Böse statt. „We got a fucking war to fight“, sagte er mir. Wir müssen einen verdammten Krieg führen.
Er sagte, er stamme aus North Carolina, lebe jedoch auf Hawaii. Außerdem habe er deutsche Wurzeln. Dass er in diesen Krieg ziehen wolle, habe Routh schon am Tag des Überfalls gewusst. Doch habe es ein paar Wochen gedauert, zu Hause alle Angelegenheiten zu regeln und die Möbel einzulagern.
Ukrainische Armee lehnte ihn als Kämpfer ab
Leider erlaube man ihm nun nicht zu kämpfen. Die ukrainische Armee habe ihn abgelehnt, als er sich vor Ort bewarb. Er sei, so erzählt er es, wohl etwas zu alt gewesen und verfüge über keinerlei militärische Ausbildung. Routh bedauerte diese Entscheidung sehr, zumal er privat zahlreiche Schusswaffen besitze und auch bedienen könne. Aber er müsse seine Ablehnung wohl akzeptieren. Vermutlich, sagt er, hätte er bei einer der paramilitärischen Gruppen unterkommen können, denn „die nehmen fast jeden“. Allerdings nur solche, die Ukrainisch sprächen. Das tue er nicht.
Da Routh die Kriegsteilnahme verwehrt blieb, stehe er nun regelmäßig an diesem prominenten Ort vor dem geschützten Denkmal und biete sich als Anlaufstelle für andere Freiwillige an. Er vermittle frisch eingetroffenen Ausländern Unterkünfte und versorge sie auch mit Telefonnummern der ukrainischen Armee, damit diese sich ihrerseits bewerben könnten. Nach eigenen Angaben habe er bereits 30 bis 40 Ausländer an verschiedene Einheiten vermittelt.
Routh sagte, er verfolge die Nachrichten aktuell kaum, denn er lebe in Kiew im Schlafsaal einer Jugendherberge, für 20 US-Dollar pro Woche, und dort stehe leider kein Fernseher. Er sei nun einmal nicht wohlhabend. Wäre er es, würde er das Geld allerdings für den Krieg spenden statt für eine komfortablere Unterkunft: „Das ist hier kein verdammter Urlaub.“
So engagiert und verbindlich er zunächst wirkte, so deutlich wurde im Laufe des Interviews, dass Routh fanatisch war – und nicht nur die Ukraine verteidigen, sondern möglichst viele Russen töten wollte, auch Zivilisten. Er klagte darüber, dass die ukrainische Armee zu vorsichtig vorgehe und zu viel abwäge. Dass sie sogar versuche, die Leben ausländischer Freiwilliger zu schützen. Ich war froh, dass Routh nur hier in der Innenstadt herumstand und nicht an der Front war, am Ende noch als Soldat mit Befehlsgewalt.
Routh: Es geht hier um „Humanität“
Routh war auch wütend darüber, dass nicht schon viel mehr Freiwillige aus dem Ausland in den Krieg gegen Russland gezogen seien. Die 50 Fahnen, die er auf der Rückseite des Denkmals angebracht hatte, stünden für die 50 Nationen, aus denen bisher Freiwillige gekommen seien. „Eigentlich müssten dort 190 Fahnen hängen“, sagte er. Es gehe hier um „Humanität“. Ich weiß den Wortlaut noch genau, weil ich das Gespräch damals auf Tonband mitschnitt.
Auf sein T-Shirt hatte sich Routh ein rotes Kreuz gemalt. Damit wolle er ausdrücken, dass er sich den Russen jederzeit als Ziel anbiete. Die sollten es ruhig mal probieren. Er sei doch keine „Pussy“. Im Grunde müssten Staaten ihre eigenen Armeen schicken, doch zu viele Regierungschefs hätten Angst vor Putin. Einmal sei er kurz aus Kiew geflüchtet, weil er eines Tages das Gefühl hatte, Putin werde nachts Atombomben auf Kiew werfen. Da wollte er lieber Abstand gewinnen, setzte sich in einen Bus und fuhr 80 Kilometer in eine andere Stadt. Als der Angriff ausblieb, kehrte er am Folgetag zurück.
Das Risiko, dass Putin Atomwaffen einsetze, bestehe allerdings immer noch. Deshalb sei es so wichtig, zuerst zuzuschlagen: „Wir müssen Moskau ausradieren, bevor Putin Kiew ausradiert.“ Die entscheidende Frage sei, welche Seite schneller den Abzug drücke. Wenn Joe Biden oder die Briten oder die Deutschen nicht den Mut zu einer solchen Entscheidung hätten, könne er das jederzeit übernehmen: „Ich drücke den Abzug gern!“
An diesem Maitag 2022 redete sich Ryan Wesley Routh immer mehr in Rage. Er hoffte damals, dass ich das Interview im Tagesspiegel drucken und so seine Botschaft verbreiten würde. Da ich es für naheliegend hielt, dass Routh an einer psychischen Krankheit litt, und weil er mit seiner extremen Meinung in keiner Form repräsentativ war für die dutzenden anderen Menschen, mit denen ich in Kiew gesprochen hatte, entschied ich mich dagegen.
Nach meiner Rückkehr habe ich mich öfters gefragt, was wohl aus Routh geworden ist. Damals, bei unserer Begegnung, fand ich es sehr beruhigend, dass die ukrainische Armee offensichtlich bereits in diesem frühen Stadium trotz ihrer Notlage sorgfältig darauf achtete, keine labilen Fanatiker in ihre Reihen aufzunehmen.
Dieser Text erschien zuerst im Tagesspiegel in Berlin.