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Rundschau-Debatte des TagesFlirtet von der Leyen mit dem rechten Rand?

Lesezeit 6 Minuten
Giorgia Meloni (links) und Ursula von der Leyen stehen auf einem Schiff.

Plötzlich ein Herz und eine Seele? Giorgia Meloni (links) und Ursula von der Leyen bei der Überfahrt zur Insel Miyajima während des G7-Gipfels.

Rechts von CDU/CSU gibt es ein enormes Wählerpotenzial – auch bei der Wahl zum Europaparlament, die ja in der ganzen EU stattfindet. Das weiß Ursula von der Leyen, die ein zweites Mal Chefin der EU-Kommission werden möchte. Würde sie dafür mit extrem rechten Politikern paktieren?

Ursula von der Leyen wird gerne für ihre Disziplin und Selbstkontrolle gerühmt. Dementsprechend dürfte sie insbesondere ein Satz ärgern, der ihr am Montagabend bei der ersten TV-Debatte der Spitzenkandidaten für die Europawahl wohl herausgerutscht war.

Die amtierende EU-Kommissionspräsidentin wurde mehrfach gefragt, ob ihre Europäische Volkspartei (EVP) nach der Abstimmung Anfang Juni offen für eine Zusammenarbeit mit Parteien rechts von der EVP-Familie wäre, zu der sich auch CDU und CSU rechnen. Die Deutsche wand sich zunächst, wich der Frage aus, um schließlich doch einzuräumen: „Es hängt sehr stark davon ab, wie sich das Parlament zusammensetzt und wer in welcher Fraktion sitzt.“ Ein Nein klingt anders. Der ebenfalls auf der Bühne stehende Grünen-Kandidat Bas Eickhout schien ehrlich erstaunt über ihre Antwort: „Was?“, rief der Niederländer fast ungläubig.

Zwar schloss von der Leyen jegliche Kooperation mit der Parlamentsfraktion „Identität und Demokratie“ (ID) aus, zu der unter anderen die AfD und der französische Rassemblement National von Marine Le Pen zählen. Im Umkehrschluss aber zeigte sie sich bereit für eine Zusammenarbeit mit den „Europäischen Konservativen und Reformern“, abgekürzt EKR. Unter diesem Dach versammeln sich zum Beispiel die postfaschistischen Fratelli d’Italia von Regierungschefin Giorgia Meloni, die polnische PiS, die rechtsnationalen Schwedendemokraten oder die ultrarechte spanische Partei Vox. Reconquête, die Bewegung von Frankreichs rechtsextremem Demagogen Éric Zemmour, schloss sich Anfang des Jahres an.

Heftige Kritik von Grünen und Liberalen

„Ich fand es überraschend, dass Ursula von der Leyen diese Tür vor der Wahl so aufmacht“, sagt der Grünen-Europaabgeordnete Daniel Freund. Zwar bereite der EVP-Fraktions- und Parteivorsitzende Manfred Weber (CSU) diesen Schritt seit Jahren vor, aber „dass von der Leyen das so eingesteht, ist schon krass“. Seiner Ansicht nach sei es völlig falsch, die Situation so darzustellen, als ob die ID „die Schlimmen sind und die EKR schon irgendwie geht“. Es gebe Leute in der EKR, die noch viel extremer seien als manche Mitglieder der ID, so Freund.

Kritik kam auch von den Liberalen: Eine Zusammenarbeit mit der EKR bedeute eine „Kooperation mit Abgeordneten, von denen manche das Recht auf Abtreibung ablehnen, andere im Parlament mal den Hitlergruß zeigen und wiederum andere schwulen- und lesbenfreie Zonen in Europa etablieren wollen und meinen, dass Putin die Ukraine angreifen musste“, sagt der FDP-Europaparlamentarier Moritz Körner. Tatsächlich unterscheiden sich die beiden Rechtsfraktionen insbesondere in der Außenpolitik. Während die Vertreter der ID einen eher russlandfreundlichen Kurs fahren, steht die EKR mehrheitlich auf der Seite der Ukraine.

Meloni anschlussfähig für Konservative

An Meloni scheiden sich jedoch die Geister. CSU-Mann Weber etwa gastiert auf der Suche nach neuen Verbündeten auch immer wieder in Rom. Gleichwohl verweist er stets auf die Bedingungen der EVP-Familie, die für den Austausch mit allen Gesprächspartnern erfüllt sein müssten: „Pro Europa, pro Ukraine, pro Rechtsstaat.“ Das schließt für ihn ein Bündnis mit beispielsweise der polnischen PiS kategorisch aus. Aber Italiens starke Frau? Sie erfüllt theoretisch die Kriterien der Konservativen.

Zuletzt reisten von der Leyen und Meloni Schulter an Schulter als „Team Europa“ nach Tunesien und Ägypten, um Deals auszuhandeln, in deren Folge die nordafrikanischen Länder Flüchtlinge und Migranten davon abhalten sollen, nach Europa zu gelangen. Während die Italienerin während des nationalen Wahlkampfs 2022 noch lautstark gegen Europa polterte, agiert sie seit ihrer Amtsübernahme auf EU-Ebene betont pragmatisch – und wird von Diplomaten sowie von Staats- und Regierungschefs als „konstruktive Partnerin“ gelobt.

Grünen-Politiker Freund schüttelt den Kopf über solche Aussagen und verweist auf die Angriffe der Regierung auf die Unabhängigkeit der Medien in Italien. Er habe den Eindruck, dass sich Meloni in dieser Hinsicht ein Beispiel an Ungarns Autokrat Viktor Orbán nehme: „Man baut sehr konsequent den eigenen Machterhalt aus und übernimmt Institutionen, aber in einer Geschwindigkeit, die nie großen Widerstand auslöst und Millionen Leute auf die Straße treibt.“ Auf der internationalen Bühne gehe sie dagegen anders als Orbán nicht in die Konfrontation und sei dafür „viel machtvoller“. Meloni mache das „sehr geschickt“.

Wechselseitiger Nutzen als Triebfeder

Von der Leyen und die Italienerin scheinen sich persönlich zu mögen. Das ist das eine. Viel wichtiger ist derzeit aber wohl, dass sie einander brauchen. Als Meloni eine deutliche Verschärfung der Asylpolitik durchsetzen wollte, benötigte sie dafür die Hilfe der Brüsseler Behördenchefin. Und für die CDU-Politikerin ist die Spitzenkandidatur noch keine Garantie auf eine erneute Amtszeit als Präsidentin der EU-Kommission. Maßgeblich ist, dass sich eine qualifizierte Mehrheit der 27 Staats- und Regierungschefs nach der Wahl auf ein zweites Mandat für die Deutsche einigt – und dass das EU-Parlament im Anschluss mit absoluter Mehrheit zustimmt. Laut Umfragen wird die rechte EKR durch die Wahl deutlich wachsen, was den heiklen Flirt erklärt. Ursula von der Leyen könnte am Ende auf die Stimmen von Meloni und Co. angewiesen sein.


Barley: „Von der Leyen öffnet die Tür nach Rechtsaußen“

Die SPD hat die Offenheit der EU-Kommissionspräsidentin für eine Kooperation mit der rechtskonservativen EKR-Fraktion scharf kritisiert. „Ursula von der Leyen öffnet die Tür nach Rechtsaußen“, sagte die SPD-Spitzenkandidatin für die Europawahl, Katarina Barley (Foto). Die Europäische Volkspartei (EVP), für die von der Leyen als Spitzenkandidatin antritt, kündige damit den demokratischen Konsens auf. „Gerade in Zeiten aufsteigenden Rechtsextremismus ist das ein fatales Zeichen.“ Die polnische PiS und die italienischen Fratelli d'Italia, die zur EKR gehören, seien autokratische Parteien. „Die Sozialdemokratie hat 160 Jahre Erfahrung im Kampf gegen Extremisten. Mit uns wird es keine Koalition mit Rechtsaußen geben“, versicherte Barley.

Einen Skandal nannte der SPD-Chef in NRW und Vize-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Achim Post, die Offenheit von der Leyens für eine Kooperation mit der EKR. „Die EKR-Fraktion im Europäischen Parlament umfasst Parteien, die in ihren Ländern am Rückbau der Demokratie arbeiten, gegen die freie Presse vorgehen oder gegen Minderheiten hetzen. Wer hier nicht bereit ist, eine klare Trennlinie zu ziehen, der untergräbt den jahrzehntelangen demokratischen Konsens, der Europa zusammengehalten und stark gemacht hat.“

CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn (Foto) wies die SPD-Kritik dagegen zurück. „Ursula von der Leyen hat absolut recht. Wir müssen als Europäische Volkspartei möglichst stark werden und dann schauen wir, mit welchen Partnern wir zusammenarbeiten können“, sagte er. Die EU werde bei der Europawahl wahrscheinlich „so Mitte-Rechts, so bürgerlich sein wie lange nicht“, meinte Spahn. „Und das, finde ich, darf sich auch in Koalitionsüberlegungen widerspiegeln.“ Es sei „logisch, dass SPD und Grüne versuchen, das jetzt irgendwie hochzuskandalisieren“. Dass beide Parteien in den vergangenen fünf Jahren „so oft mitentscheiden konnten in der Europäischen Union, hat nicht jede Entscheidung besser gemacht“, ergänzte er. (dpa)