Mit ihren Attacken auf westliche Frachter und Tanker wolle sie die verbündete Hamas unterstützen, sagt die Huthi-Miliz. Würde eine Waffenruhe zwischen den Islamisten im Gazastreifen und Israel, die in greifbarer Nähe scheint, die Angriffe beeinflussen?
Rundschau-Debatte des TagesWer stoppt die Huthis – und wie?
Auch eine neue Waffenruhe in Gaza wird die Angriffe der jemenitischen Huthi-Rebellen auf die Schifffahrt im Roten Meer möglicherweise nicht beenden: Die Huthis wollen sich nicht darauf festlegen, bei einer Feuerpause die Frachter wieder unbehelligt passieren zu lassen. Sie halten sich die Möglichkeit offen, zumindest amerikanische und britische Schiffe weiter anzugreifen. Die deutsche Fregatte „Hessen“ hatte am Dienstagabend zwei Huthi-Drohnen abgeschossen. Es war das erste Mal seit Beginn ihres Einsatzes im Roten Meer am vergangenen Freitag, dass die Fregatte der Bundesmarine ihre Waffen gegen Geschosse der Rebellen einsetzte. US-Kampfjets fingen nach Angaben des amerikanischen Militärs weitere drei Drohnen über dem offenen Meer ab.
EU-Patrouillen und US-Angriffe
Die Huthis, die vom Iran ausgerüstet werden, bezeichnen ihre Angriffe auf die Schifffahrt im Roten Meer als Unterstützung für die Hamas im Krieg gegen Israel. Sie haben seit dem vergangenen November rund 50 Schiffe beschossen und damit den Frachterverkehr durch das Rote Meer und den Suez-Kanal stark gedrosselt. Kriegsschiffe westlicher Staaten sollen zivile Schiffe nun im Rahmen einer EU-Mission gegen die Attacken schützen. Die USA und Großbritannien greifen zudem Stellungen der Huthis im Jemen aus der Luft an, um Raketen, Drohnen und Abschussrampen zu zerstören. Die jemenitische Nachrichtenagentur YPA hatte am Dienstagabend ein neues Bombardement der Amerikaner und Briten gemeldet.
Waffenruhe ab nächster Woche?
US-Präsident Joe Biden hofft darauf, dass die Waffen in Gaza ab kommender Woche schweigen. Hatte er vor einigen Tagen noch von Montag als möglichem Beginn gesprochen, ruderte er nun allerdings zurück: „Wahrscheinlich nicht bis Montag, aber ich bin zuversichtlich“, sagte Biden in Washington auf die Frage einer Reporterin. Der muslimische Fastenmonat Ramadan beginnt um den 10. März. Ob die internationalen Vermittler bis dahin ein Abkommen über einen erneuten Austausch israelischer Geiseln aushandeln können, die die islamistische Hamas seit Oktober im Gazastreifen festhält, ist ungewiss. Aus den USA und Katar, die mit Ägypten die indirekten Verhandlungen zwischen Israel und Hamas ermöglichen, kamen zuletzt verhalten optimistische Signale.
Widersprüchliche Signale
Die Huthis sagen zwar seit Wochen, sie würden ihre Angriffe einstellen, wenn Israel die „Belagerung“ von Gaza aufgebe. Sie bleiben dabei aber vage – anders als die ebenfalls iranisch unterstützte Hisbollah im Libanon, die sich an eine mögliche Waffenruhe halten will. Huthi-Sprecher Mohammed Abdulsalam sagte der Nachrichtenagentur Reuters, man wolle die Lage nach Inkrafttreten einer Feuerpause neu bewerten. Wichtig sei, dass die „Aggression“ Israels in Gaza aufhöre. Ein anderer Sprecher der Huthis, Nasreddin Amer, sagte dagegen der russischen Agentur Tass, amerikanische und britische Schiffe würden auch im Fall einer Gaza-Feuerpause weiter beschossen.
Sollten die Huthis an dieser Position festhalten, bleibt die Schifffahrt im Roten Meer auch nach einer Deeskalation in Gaza bedroht – zumal die Miliz selbst Schiffe, die nur zum Teil britischen oder amerikanischen Eigentümern gehören, als legitime Ziele betrachtet. Auch während der ersten Gaza-Feuerpause im November hatten die Huthis ihre Angriffe unvermindert fortgesetzt. Die Großreederei Maersk teilte ihren Kunden jetzt bereits mit, die Störungen im Roten Meer könnten bis in die zweite Jahreshälfte hinein andauern.
Einfluss aus Iran und China
Allerdings würde eine neue Feuerpause in Gaza die Huthis unter internationalen Druck setzen: Nicht nur der Westen, auch der Huthi-Unterstützer Iran und dessen Partner China würden darauf drängen, die Angriffe einzustellen. Für China sind ungehinderte Exporte nach Europa mit freier Fahrt durch das Rote Meer und den Suez-Kanal enorm wichtig. Und gegenüber der arabischen Öffentlichkeit, die das Vorgehen der Huthis bisher mit Sympathie verfolgt, wäre eine Fortsetzung der Angriffe ebenfalls nur schwer zu vermitteln – weil auch arabische Staaten von der Störung des Seehandels betroffen sind.
Aufmerksamkeit und Status
Einen politischen Erfolg haben die Huthis aber selbst dann erzielt, wenn die Angriffe im Roten Meer bald aufhören sollten. Sie konnten international als Helfer der Palästinenser auftreten, den Welthandel stören und sich Respekt in der Region verschaffen, weil sie sich von den Luftangriffen der USA nicht einschüchtern ließen. Selbst wenn der Verkehr in der wichtigen Wasserstraße wieder normal laufen sollte, könnten die Huthis bei nächster Gelegenheit mit neuen Angriffen beginnen, um ihre Interessen durchzusetzen – auch die im jemenitischen Bürgerkrieg, der inzwischen schon fast zehn Jahre tobt und das bettelarme Land in eine humanitäre Katastrophe gestürzt hat.
Das glaubt auch Jemen-Experte Abdulghani al-Iryani vom Sanaa-Zentrum für Strategische Studien: „Die Huthis haben entdeckt, dass sie die Angriffe im Roten Meer als starken Hebel einsetzen können“, sagte er im Gespräch mit unserer Redaktion. „Diese Entdeckung lässt sich nicht mehr rückgängig machen.“
Viele Tote im Gazastreifen bei Gedränge um Lebensmittel
Beim verzweifelten Versuch, ein paar Nahrungsmittel zu ergattern, ist es im Gazastreifen zu einer Katastrophe gekommen. Mindestens 104 Menschen wurden am Donnerstag im Gedränge und Chaos um die Lastwagen getötet, wie die von der Hamas kontrollierte Gesundheitsbehörde berichtete. Die Angaben ließen sich zunächst nicht unabhängig überprüfen. Die Umstände waren völlig unklar. Die Tragödie ereignete sich an dem Tag, an dem die Marke von 30.000 Toten seit Beginn der Militäroffensive überschritten wurde.
Die Gesundheitsbehörde warf der israelischen Armee vor, bei der Hilfsgüterankunft in der Stadt Gaza die wartende Menge angegriffen zu haben. Israels Armee teilte dagegen mit, Dutzende Menschen seien im Gedränge und von fahrenden Lastwagen getötet und verletzt worden. Israelische Medien meldeten unter Berufung auf Armeekreise, ein Teil der Menge sei auf Soldaten zugekommen und habe diese gefährdet. Das Militär habe zunächst Warnschüsse in die Luft abgegeben und auf die Beine derjenigen gefeuert, die sich den Soldaten trotzdem genähert hätten. Auch diese Angaben ließen sich nicht unabhängig überprüfen.
Die Lage im Gazastreifen ist desolat: Neben den Toten gibt es mehr als 70.000 Verletzte und Tausende, die unter Trümmern noch vermisst werden. Israel erklärt seine anhaltenden Angriffe damit, dass es die Terrorstrukturen im Gazastreifen vernichten will, nachdem Terroristen der Hamas und anderer extremistischer Gruppen am 7. Oktober beispiellose Massaker begangen hatten. (dpa)