Angesichts steigender Energiekosten und der Suche nach klimafreundlicher Stromerzeugung ruhen bei manchen große Hoffnungen auf Atomreaktoren im Kleinformat.
Rundschau-Debatte des TagesAtomkraft als Ausweg aus der Klimakrise?
Um Deutschland herum ist ein Hype um Mini-Kernkraftwerke im Gange. Etliche Projekte sind in Planung. Allerdings steht erst ein Small Modular Reactor (SMR) kurz vor dem kommerziellen Betrieb, und zwar in China. Taugen das Konzept und seine Möglichkeiten wirklich für Deutschland?
Schon seit den 1950er-Jahren wird die Idee von kleinen Kernkraftwerken verfolgt. Der erste Mini-Leichtwasser-Reaktor wurde für ein amerikanisches U-Boot gebaut. Das erste kommerzielle Klein-Akw wird im Süden Chinas errichtet. Die Notwendigkeit, zum Schutz des Klimas Strom ohne CO2-Emissionen zu erzeugen, hat dem Konzept neuen Schub gegeben.
Auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) ist auf den Zug gesprungen: „Unser Ziel muss sein, tatsächlich neue Kernkraftwerke – kleinere mit einer ganz anderen Energieleistung, mit einer ganz anderen Absorption von möglichem Müll – anzunehmen“, sagte er vor wenigen Tagen. Auch CDU-Mann Jens Spahn plädiert für die Prüfung der Technik. Es häufen sich aber auch Rückschläge. Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Thema:
Was genau sind Small Modular Reactors (SMR)?
Den Begriff hat 2010 der damalige US-Energieminister Steven Chu kreiert, um den modularen Bau kleiner Atomkraftwerke zu bewerben. Statt riesiger Leichtwasser-Meiler mit bis zu 1600 Megawatt (MW) sollen kleine Reaktoren mit maximal 300 MW gebaut werden. Der Clou daran: Die Teile können in Serie in großer Stückzahl gebaut und die Anlagen viel schneller geplant und errichtet werden, und zwar auch an Standorten, die für Mega-Meiler nicht infrage kämen (Baukastensystem). SMR gelten auch als Hoffnung für entlegene Regionen. Zudem ist die Havarie-Gefahr deutlich geringer, weil die Kühlung einfacher ist. Aber auch Mini-Kernkraftwerke brauchen angereichertes Uran, produzieren radioaktiven Müll, der entsorgt und gelagert werden muss. Und das spaltbare Material könnte in die falschen Hände geraten. Denn das Prinzip ist das gleiche wie bei Groß-AKW: Durch Spaltung von Atomkernen entsteht Wärme, mit der Dampf erzeugt und dann eine Turbine angetrieben wird. Der von der Turbine angetriebene Generator produziert Strom.
Sind solche Mini-AKW schon irgendwo in Betrieb?
Seit 2020 liefert ein schwimmendes SMR-Kraftwerk im ostsibirischen Pewek 64 Megawatt Strom, der Bau dauerte 13 Jahre. Der erste Small Modular Reactor der dritten Generation ist fast fertig: Der Linglong One (auch ACP100 genannt) in der süchinesischen Provinz Hainan hat die Sicherheitsprüfung der Internationalen Atomenergiebehörde bestanden. Ab 2026 soll er eine Leistung von 125 Megawatt Strom bringen – für 60 Jahre.
Wann und wo gehen die nächsten Kleinkernkraftwerke ans Netz?
Laut Informationssystem der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) sind insgesamt 22 Projekte in der Bauphase. Länder mit SMR-Plänen sind neben den Atommächten Frankreich, Großbritannien, USA, China und Russland auch Kanada, Südkorea, Japan, Indien, Südafrika, Schweden, die Niederlande, Dänemark und sogar Saudi-Arabien und Jordanien.
Was sagt die Forschung zu den Kosten von Klein-Kernkraftwerken?
Ein Forscherteam des DIW in Berlin hat vor wenigen Wochen eine Kostenanalyse zu sämtlichen geplanten Klein-AKW-Projekten erstellt. Das Ergebnis: „SMR-Konzepte bieten offenbar auch unter optimistischsten Annahmen keine ökonomische Alternative zu bestehenden CO2- neutralen Technologien, auch nicht über die Lebensdauer betrachtet.“
Wären SMR trotzdem eine Option für Deutschland?
Das deutsche Problem: Sonne und Wind sind nicht zuverlässig genug für eine ganzjährig stabile und ausreichende Stromproduktion. Im Energiewende-Szenario der Bundesregierung sollen Gas- und später Wasserstoffkraftwerke einspringen, wenn nicht genug erneuerbare Energien fließen. Bis es so weit ist, wird die besonders klimaschädliche Kohle verfeuert und Atomstrom aus Frankreich importiert. Da billiges Gas aus Russland ausfällt und noch lange nicht genug erschwinglicher Wasserstoff in Sicht ist, sehen nun manche wie Markus Söder kleine Kernkraftwerke als mögliche Ausputzer.
Dazu gehört auch CDU-Fraktionsvize Jens Spahn: „Der Neubau eines Mini-Akw verschlingt keine hohen Summen wie die riesigen Atommeiler der Vergangenheit. Das ist zumindest in der Theorie attraktiv. Wenn das technisch möglich und sicher und rentabel ist, dann müssen wir es uns in der Praxis anschauen“, sagt er. „Ich bin jedenfalls sehr offen dafür.“
Was sagt die Wirtschaft zu den Vorschlägen?
Auch die Energiewirtschaft sieht keine Mini-AKW kommen: Durch den Ampel-Beschluss zum Ausstieg aus der Kernenergie und die Abschaltung der letzten Meiler im April „kommen SMR-Anlagen zur Stromerzeugung für Deutschland nicht infrage“, sagte Kerstin Andreae, Chefin des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW). Die Planungen für eine sichere Stromversorgung der Zukunft setzten auf „Lösungen ohne Kernenergie“. Allerdings werde es ohne schnelle Anreize des Staates nicht gelingen, rechtzeitig die notwendigen auf Wasserstoff umrüstbaren Gaskraftwerke zu bauen, räumt Andreae ein. Dann bliebe Deutschland viele Jahre auf Kohle und Atomstrom aus Frankreich angewiesen.
Zukunftstechnik mit Rückschlägen
2006 ist schon Microsoft-Gründer Bill Gates in die SMR-Entwicklung eingestiegen, mit massiven Finanzspritzen der US-Regierung. Die Firma Terra Power will in Wyoming 2030 einen Prototyp anschalten, der mit Natrium gekühlt wird und kaum atomaren Abfall produziert. Aber eine neue Kostenschätzung vom Sommer bringt das Megaprojekt in Schieflage: Statt 58 Dollar pro Megawattstunde würde der Strom am Ende 89 Dollar pro MWh kosten – trotz staatlicher Milliardenhilfe. Grund sind die extrem gestiegenen Bau- und Materialkosten. Und die Planungen sind längst nicht abgeschlossen, eine Zulassung liegt nicht vor. Und so suchen Stromversorger und Gemeinden nun alternative Lieferanten.
2027 sollte der bisher größte SMR-Hoffnungsträger an den Start gehen: Das US-Unternehmen NuScale wollte in Idaho insgesamt 720 Megawatt sauberen Strom aus Kleinreaktoren liefern, für 55 Dollar pro Megawattstunde. Auch hier haben sich die Baukosten mehr als verdoppelt, und der NuScale-Atomstrom würde 89 Dollar pro Megawattstunde kosten. Weil Strom aus Wind- oder Solarenergie für ein Drittel des Preises zu haben ist, zog der Kunde, der Energieverbund UAMPS, den Stecker. In „naher Zukunft“ lasse man von der Atomenergie ab und konzentriere sich auf Wind, Solar und Speicher, sagte UAMPS-Chef Mason Baker nach dem Scheitern des ehrgeizigen Projekts. (tob)