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Interview

Robert Habeck
„Ich sorge mich vor einem schmutzigen Wahlkampf“

Lesezeit 6 Minuten
Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz

Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz

Im Interview äußert sich Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck optimistisch über seine Chancen bei der vorgezogenen Bundestagswahl und betont die Notwendigkeit großer Investitionen in die Infrastruktur.

Seit drei Jahren ist Robert Habeck Wirtschaftsminister und Vizekanzler. Seit zwei Wochen ist er Kanzlerkandidat der Grünen – auch wenn er selbst es anders formuliert. Wie schätzt er nach dem Ampel-Aus die Chancen seiner Partei bei der vorgezogene Bundestagswahl ein? Darüber spricht der 55-Jährige mit Martin Schulte – ebenso wie über seine Fehler der Vergangenheit.

Herr Habeck, wer hat derzeit das größere Imageproblem – Sie oder Ihre Partei?

Wir sind über den Punkt der Problembeschreibung hinaus und arbeiten daran, Vertrauen zurückzugewinnen. Da bin ich zuversichtlich.

Dabei stehen die Grünen im Bund derzeit lediglich bei 14 Prozent. Ist der kurze Wahlkampf ein Problem?

Nein. Manchmal kann ein kurzer Wahlkampf auch hilfreich sein. Es ist aber vor allem wichtig, dass Deutschland dann zügig eine voll handlungsfähige Regierung bekommt.

Woran machen Sie Ihren Optimismus für die bevorstehende Bundestagswahl fest?

Wir haben einen guten Start hingelegt. Die Mitgliederzahlen steigen rasant. Trotzdem muss ich sagen, dass ich den Bruch der Koalition in einer geopolitischen Lage wie dieser nicht für richtig hielt. Es wäre für das Land und Europa besser gewesen, wenn alle Regierungspartner sich weiter ihrer Verantwortung gestellt hätten.

Wie verantwortungsvoll ist es, eine Koalition am Tag zerbrechen zu lassen, an dem der Ausgang der US-Wahl verkündet wird?

Es war das Gegenteil von staatspolitischer Verantwortung. Das habe ich ja auch schon in den Tagen davor sehr deutlich gemacht. Ich hatte am Montag und am Dienstag davor jeweils über mehrere Stunden mit dem Bundeskanzler und dem damaligen Finanzminister zusammengesessen und versucht, Brücken zu bauen, Vorschläge zu machen, wie wir uns auf einen Haushalt einigen können. Am Abend vor der US-Wahl war sehr deutlich, dass die FDP keine Brücken mehr will. Aber dann kam die Nachricht vom Wahlsieg Donald Trumps und es war glasklar, dass dies ein besonderer Tag werden würde, der eine besondere Ernsthaftigkeit erforderte. Deshalb hatte ich da noch einmal kurz die Hoffnung, dass diese Lage die FDP-Seite zum Nachdenken bringt. Aber am Abend konnte jeder in den Grabesmienen der FDP erkennen, dass sie sich anders entschieden hatten. Heute wissen wir, dass es nie eine Chance gab, dass die liberale Inszenierung für den Rauswurf schon geschrieben war.

Aber für die Inszenierung braucht es auch eine Gegenseite. Wie fanden Sie die emotionalen Angriffe von Olaf Scholz in Richtung Christian Lindner?

Wir hatten eigentlich immer die Linie, dass wir nicht schlecht übereinander reden wollen. Ich drehe es mal um: Es ist wichtig, dass wir unsere Energie jetzt nicht gegeneinander richten, sondern auf die Lösung der Probleme, die dieses Land hat.

Eines Ihrer großen politischen Probleme war, dass die Energiewende nicht als sozialverträglich wahrgenommen wurde.

Die wirtschaftlichen Entwicklungen der vergangenen Jahre haben Spuren im Land hinterlassen. Gerade die hohe Inflation macht den Menschen zu schaffen. Deswegen müssen wir das Leben für alle Menschen im Land günstiger machen. Der einfachste Weg ist dabei, die Strompreise zu senken: Runter mit den Netzentgelten, runter mit den Steuern. Die Haushalte in Deutschland würden dadurch im Jahr einen dreistelligen Betrag sparen. Auch für die Unternehmen wäre es sehr wichtig. Ein niedrigerer Strompreis schafft dreierlei: Das Alltagsleben wird günstiger. Die Industrie kann günstiger produzieren. Der Klimaschutz kommt weiter voran, denn Strom wird ja immer grüner.

Und wie soll es auf dieser Basis weitergehen?

Wir sehen, wie viele Menschen sich im Land kümmern – Lehrerinnen, Erzieherinnen, Bahnschaffner. Aber es ist verdammt schwer für sie, weil vieles nicht mehr gut funktioniert. Wir müssen also mehr investieren: in Schulen, in Kitas, in Sporthallen. Wir brauchen eine pünktliche Bahn und Brücken, die nicht zusammenfallen. Deshalb bedarf es eines großen Investitionsprogramms. Wir müssen unser Land auf Vordermann bringen.

Das alles wird eine Menge Geld kosten.

Ja, und deshalb müssen wir die Schuldenbremse verändern. Zur Klarheit: Ich finde es richtig, dass es eine Schuldenbremse gibt. Der Staat muss sorgsam und effizient mit dem Steuergeld der Bürgerinnen und Bürger umgehen. Aber die strikte Form der Schuldenbremse ist ein reales Problem – für die Gegenwart und die Zukunft. Seien wir mal ehrlich: Die Haushalte in den vergangenen Jahren waren zwar einigermaßen ausgeglichen, aber Schulden wurden trotzdem gemacht. Es sind Schulden in der Substanz des Landes: in der verspäteten Bahn, in der fehlenden Digitalisierung, in unzureichend sanierten Schulen und Kitas, in geschwächter Wettbewerbsfähigkeit, einer unterfinanzierten Bundeswehr. Jetzt sind wir in einer Phase angekommen, in der wir die Kraft des Landes stärken müssen, um wieder wettbewerbsfähig zu werden. Deshalb möchte ich auch, dass wir alle Investitionen von kleinen Handwerksbetrieben bis hin zu Großkonzernen steuerlich begünstigen: vom Kauf neuer Maschinen bis hin zu neuen IT-Systemen.

Welche Fehler haben Sie persönlich beim sogenannten Heizungsgesetz gemacht?

Ich habe am Anfang zu viel über die Gebäude gesprochen, aber zu wenig über die Menschen und zu wenig mit ihnen. Wir hatten bei uns im Ministerium zwar eine soziale ausgerichtete Förderung entwickelt, damit Menschen, die weniger Geld haben, mehr Förderung bekommen und so der Umstieg gut funktioniert. Anstatt darüber öffentlich zu sprechen, habe ich versucht, dieses Konzept in der Regierung durchzubekommen. Bei meinen beiden Regierungspartnern stieß das erstmal nicht auf Gegenliebe. Wir konnten es erst im parlamentarischen Verfahren erreichen – dann mit Unterstützung der SPD-Abgeordneten. Was ich daraus gelernt habe: Wir stellen die sozialpolitische Seite stärker in den Vordergrund, angefangen mit günstigem Strom. Die Vorteile der erneuerbaren Energien müssen direkt bei den Menschen ankommen.

Mit was für einer Art von Wahlkampf rechnen Sie in den kommenden Monaten?

Einem harten Wahlkampf. Und ich sorge mich vor einem schmutzigen. Es ist bekannt, wie Putins Desinformationskampagnen Demokratien destabilisieren sollen. Das kann jetzt zunehmen. Die Grünen müssen damit rechnen, dass mit viel Dreck geworfen wird.

Auf dem Bundesparteitag haben Sie verraten, dass Sie über den Rückzug aus der Politik nachgedacht haben. Waren die verbalen Angriffe und Beleidigungen ein Grund?

Ich habe mich gefragt, welchen Beitrag ich leisten kann. Und habe mich dann entschieden, mich noch mal voll einzubringen, weil es gerade gesellschaftlich wirklich um etwas geht. Um mich persönlich ging es dabei weniger. Ich habe persönlich in der Politik mehr erreicht, als ich mir jemals vorstellen konnte. Jetzt ging es darum, was ich in dieser politisch und gesellschaftlichen Lage dazu beitragen kann, dass das Land sicher durch schwierige Zeiten kommt und wieder nach vorn geht.

Jetzt, da Sie weitermachen, werden Sie mal Spitzen-, mal Kanzlerkandidat Ihrer Partei genannt. Was sind Sie denn jetzt eigentlich?

Die Partei hat mich als Kandidat für die Menschen in Deutschland gewählt.

Und wie würden Sie selbst sich bezeichnen?

Genau so. Ich bin bereit, mich mit all meiner Erfahrung, meiner Kraft und meiner Verantwortung einzubringen. Und wenn die Menschen wollen, dann auch als Kanzler. Aber das entscheiden die Wählerinnen und Wähler. Ich weiß, dass ich Vertrauen verloren habe, dass Politik insgesamt Vertrauen verloren hat und ich arbeite daran, es zurückzugewinnen. Ich bin, gerade weil die letzten drei Jahre so schwierig waren, nicht nur erfahren und abgehärtet, sondern verfüge auch über eine innere Ruhe und Stärke, um die notwendigen Kompromisse zu finden, aber auch Konflikte auszuhalten.