Provenienzforschung ist bei Gemälden Alltagsgeschäft. Doch auch beim Verkauf oder der Versteigerung alter Bücher ist Vorsicht geboten.
ProvenienzforschungWarum sich das Geschäft mit alten Büchern für die DDR lohnt
Ruhig und heiter ihr Blick, gelöst ihre Haltung. Elisabeth von Thüringen ist eine Heilige, wie sie wahrhaft im Buche steht. Der in gleichmäßigen Zügen geschriebene Text erzählt ihr Leben. Drangsal, Unrecht? Das alles gibt es nicht in dieser Handschrift, die fromme Frauen 1481 in Freiburg schreiben und mit Malereien versehen. Und doch führt der Weg dieses Buches durch dunkle Kapitel der Geschichte.
Aus dem Kloster in den Gelehrtenbestand des Kunsthistorikers Ludwig Justis, von dort in das Zentralantiquariat der DDR in Leipzig, das es 1976 für 70.000 Ost-Mark anbietet – eine heikle, weil verwickelte Angelegenheit.
„Es ist das schönste Buch unseres Museums“, sagt Stephanie Jacobs, Leiterin des Buch- und Schriftmuseum in der Deutschen Nationalbibliothek in Leipzig. Jacobs kennt sich aus. Aber auch sie und andere Experten können den Weg der kostbaren Elisabeth-Handschrift, deren Wert auf über eine Million Euro taxiert wird, nur unvollkommen rekonstruieren.
Dringlichste Frage: Was ist mit dem teuren Stück in der DDR passiert? Wie gelangte es in das staatliche Zentralantiquariat? Die Nationalbibliothek kaufte das teure Buch seinerzeit – in gutem Glauben, wie es unter Fachleuten heißt.
„Mit entzogenen Büchern hat die DDR auch Geld gemacht. Die Aufklärung um diese Vorgänge ist immer noch nicht am Ende“, sagt Stephanie Jacobs. Wurde die Elisabeth-Handschrift aus dem Freiburger Klarissen-Kloster von der Familie Justis geschenkt oder von den staatlichen Stellen der DDR nach Justis Tod 1957 eingezogen? Sicher ist das nicht.
Klar ist nur, dass die Nationalbibliothek, die die Handschrift in gutem Glauben erwirbt, zunächst mit Rückgabeansprüchen der Vorbesitzer konfrontiert ist. Man einigt sich. „Seit 2016 befindet sich die Handschrift endgültig bei uns“, sagt Jacobs.
Mit der Frage nach der Provenienz, also der Herkunft kostbarer Kulturgüter, befassen sich vor allem Kunstexperten. Bei ihnen steht die Frage nach kostbaren Bildern im Mittelpunkt, die jüdischen Besitzern von den Nationalsozialisten geraubt wurden.
Inzwischen laufen viele Rückgabeverfahren. Auch mit Ländern des globalen Südens, aus denen während der Kolonialzeit unrechtmäßig Artefakte entwendet wurden. Das Thema betrifft auch alte Bücher.
„Wer die Herkunft von Büchern erforscht, hat oft mit Unrechtskontexten zu tun. Dabei geht es nicht nur um solche, die während des Nationalsozialismus geraubt wurden, sondern auch um Unrecht aus der Zeit der DDR und um koloniale Hintergründe“, sagt Michaela Scheibe von der Berliner Staatsbibliothek.
Auch sie verweist auf antiquarische Schätze, die während der DDR privaten Besitzern entzogen und vom staatlichen Zentralantiquariat weiterverkauft wurden. „Das Zentralantiquariat diente zu Zeiten der DDR dazu, Devisen zu beschaffen. Viele Bücher aus ehemaligen Adelsbibliotheken sind auch in den Westen verkauft worden“, erläutert Scheibe, die im Deutschen Bibliotheksverband der Kommission Provenienzforschung und Provenienzerschließung vorsteht.
„Das Geschäft hat sich für die DDR richtig gelohnt“, bestätigt auch Stephanie Jacobs vom Buch- und Schriftmuseum. Unklare Herkunft kostbarer Bücher – für Experten ist das weiter ein großes Problem.
„Bis heute sind Bücher problematischer Herkunft auf dem Markt. Wir müssen immer wieder sehr aufpassen, was wir da eigentlich kaufen. Und auch Antiquariate stehen da vor einer Herausforderung“, fordert Michaela Scheibe dazu auf, der wahren Herkunft immer wieder nachzuforschen. Sie sieht dabei insbesondere die Antiquariate in der Pflicht, die wertvolle Stücke akquirieren und sie dann weiter veräußern.
„In diesem Punkt ist noch nicht bei allen Antiquaren die Sensibilität richtig ausgeprägt“, sagt dazu Markus Brandis vom Berliner Auktionshaus Bassenge. Brandis, der auch als Vorstandsvorsitzender des Verbandes Deutscher Antiquare e.V. fungiert, verweist auf die „moralische Verpflichtung“ eines Antiquars, die Herkunft von Büchern aufzuklären und mit problematischen Exemplaren nicht zu handeln.
Die Geschichte des Sammlers Mosse
Ein Beispiel, das Brandis anführt, ist die Gelehrtenbibliothek des seinerzeit berühmten Germanisten Erich Schmidt (1853-1913). Die von dem jüdischen Zeitungsverleger Rudolf Mosse erworbene Sammlung sei von den Nationalsozialisten enteignet worden.
„Aus diesem Bestand waren immer wieder Bücher im Handel“, so Brandis. Nach der Rückgabe an die Erben Mosses wurden viele dieser Bücher bei Bassenge eingeliefert und dann verkauft – rechtmäßig. Experten wie Markus Brandis wissen um die Macht der Provenienz. „Seltene Herkunft macht ein Buch kostbar, gerade für Antiquare“, weiß Brandis, der hinzufügt: „Mit guter Provenienz kann ein Buch unendlich im Wert steigen“.
Erst 2023 hatte Brandis selbst so ein Buch im Angebot. Eine Ausgabe von Texten des Renaissance-Dichters Pietro Bembo mit Randbemerkungen des Dichters Torquato Tasso – für Kenner ein Leckerbissen. Das Buch ging für 46.000 Euro weg. Ein Coup für Markus Brandis.
Viele unbeantwortete Fragen
Neben solch schönen Episoden gibt es auch hässliche Geschichten um die Herkunft kostbarer Bücher. Viele Fragen um den Entzug kostbarer Bücher während der DDR bleiben einstweilen unbeantwortet. Michaela Scheibe: „Das ehemalige Zentralantiquariat der DDR existiert als privatwirtschaftliches Unternehmen weiter. Wir würden gern das Firmenarchiv einsehen, um die Herkunft vieler Bücher zu erforschen. Der Zugang zum Archiv ist bislang leider nicht möglich“.
Auf Nachfrage dieser Zeitung standen Vertreter des Zentralarchivs für Fragen zu diesem Thema nicht zur Verfügung.