Karl-Josef Laumann fordert weniger Bürokratie in der Pflege und mehr steuerfinanzierte Pflegeausbildung. Im Interview spricht er auch über die Herausforderungen für Angehörige.
NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann„Wir müssen die Misstrauenskultur in der Pflege beenden“

Karl-Josef Laumann (CDU), Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen
Copyright: dpa
Seit vorigem Jahr ist Karl-Josef Laumann nicht nur Gesundheitsminister in NRW, sondern auch Vizechef der Bundes-CDU. Mit Tim Prahle spricht er über das Pflegesystem mit seinen immer höheren Beiträgen und zunehmender Belastung für die Angehörigen. Hat die Union zur Bundestagswahl einen echten Plan, obwohl im Programm dazu nur wenig zu finden ist?
Als die Krankenhausreform Ende Dezember in Kraft trat, war die Ampelregierung bereits Geschichte. Ist sie ein gutes Erbe?
Ich habe immer gesagt, dass wir eine Reform der Krankenhausversorgung in Deutschland brauchen. Und: Wir müssen Bundes- und Landesreform unterscheiden. Mit Blick auf die Bundesreform bin ich der Meinung, dass im Gesundheitsbereich das sogenannte Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz das erste sein muss, das wir ändern. Dabei geht es nicht darum, das Gesetz kaputtzumachen. Aber es muss praxistauglicher werden. Die Länder und auch die Krankenhäuser brauchen mehr Beinfreiheit, als es dieses Gesetz aktuell vorsieht. An Ort und Stelle müssen die nötigen Entscheidungen darüber getroffen werden können, was im Krankenhaus benötigt wird.
Befürchten Sie, dass in den nächsten Jahren weitere Kliniken Insolvenz anmelden?
Ja. Die Krankenhäuser sind in einer finanziell äußerst angespannten Situation. Gerade deswegen braucht es eine vernünftige Krankenhausplanung der Länder, damit nicht die ganze Versorgung auf einem Fleck ist. Wenn durch Krankenhausplanung Doppel- und Mehrfachvorhaltungen von hochkomplexen Leistungen in räumlicher Nähe abgebaut werden, wirkt das dem ruinösen Wettbewerb zwischen den Krankenhäusern um Fallzahlen und Personal entgegen. In Nordrhein-Westfalen haben wir sechs Jahre gebraucht, um nicht mehr anhand von schlichten Bettenzahlen, sondern anhand von klaren Qualitätsstandards zu planen. Dabei gab es auch Widerstand. Aber es hat sich gelohnt: Unser Modell kann auch Blaupause für den Bund und die anderen Länder sein.
Was kann man von der Union bei Gesundheit und Sozialem erwarten, wenn es öffentlich nur um Wirtschaft und Migration geht?
Das ist absolut kein Widerspruch. Gesundheits- und Wirtschaftspolitik sind eng miteinander verknüpft: Wir brauchen wirtschaftliche Stärke, um das System der Beitragszahlungen in die Sozialkassen stabil zu erhalten. Ohne eine stabile Wirtschaft und eine hohe Beschäftigungsquote können wir uns im Gesundheitswesen und im Sozialen nicht verbessern. Auf der anderen Seite muss sichergestellt sein, dass die Lohnnebenkosten nicht derart steigen, dass sie unser wirtschaftliches Wachstum gefährden. Hier brauchen wir endlich langfristige Lösungen!
Gerade die Beitragszahler werden immer mehr belastet, die Sätze steigen seit Jahren.
Ich befürchte, dass die Erhöhung der Pflegebeiträge nicht mal bis zum Ende des Jahres reicht. Das heißt, die neue Bundesregierung muss sich da sofort Gedanken machen.
Die Beiträge werden also wieder erhöht?
Die Finanzierung muss sich ändern, damit genau das nicht passiert. Wir müssen hier an die sogenannten „versicherungsfremden Leistungen“ ran. Der Steuerzahler schuldet den Beitragszahlern noch fast sechs Milliarden aus der Corona-Pandemie. Damals hat der Staat überall Geld ausgegeben, nur die Maßnahmen und Anschaffungen in der Pflege mussten aus der Versicherung bezahlt werden. Das ist nicht fair. Die Rentenpunkte für pflegende Angehörige werden auch aus der Pflegeversicherung bezahlt. Das sind 3,6 Milliarden jedes Jahr. Und das dollste ist aus meiner Sicht, dass jedem Pflegebedürftigen im Bundesdurchschnitt rund 130 Euro anteilig nur für die Pflegeausbildung in Rechnung gestellt werden. Mehr als fünf Milliarden sind es jedes Jahr, nur ein paar Prozent davon stammen aus Steuermitteln der Länder. Es kann doch nicht sein, dass eine Berufsausbildung aus dem Sozialversicherungssystem bezahlt wird.
Also sehen Sie den Bund in der Pflicht?
Ja. Statt den Pflegebedürftigen zusätzlich in die Tasche zu greifen, sollte diese wichtige Ausbildung aus Steuermitteln finanziert werden. Für die langfristige Stabilisierung der Finanzen ist aber eben auch eine Gesamtschau nötig: Wie spielt die Pflegeversicherung mit den anderen Sozialversicherungssystemen zusammen? Welche Möglichkeiten gibt es, im System die finanziellen Mittel besser zu lenken? Das sind Fragen, die sich eine neue Bundesregierung stellen und deren Lösungen sie sich im Rahmen einer umfassenden Gesamtstrategie widmen muss.
Im Wahlprogramm der Union steht aber nichts davon, dass zusätzliche Milliarden für die Pflege bereitgestellt werden sollen.
Der entscheidende Punkt ist im Wahlprogramm: Die Union will für die finanzielle Stabilität der Sozialen Pflegeversicherung sorgen. Wenn man eine Debatte über zu hohe Sozialversicherungsbeiträge führt, muss man darüber reden, dass versicherungsfremde Kosten nicht alleine auf die Beitragszahler gelegt werden dürfen. Dass solche Details zur Reform der Finanzierung nicht im Wahlprogramm stehen, finde ich nicht schlimm. Spätestens in Koalitionsverhandlungen muss es aber thematisiert werden.
Weit über 80 Prozent aller Pflegebedürftigen werden zu Hause versorgt. Für sie ist erstmals seit Jahren wieder das Pflegegeld erhöht worden. Braucht es da weitere Erhöhungen?
Klar ist, dass die häusliche Pflege bei einer Reform der Pflege im Fokus stehen muss. Und dazu gehört, das ganze System zu entschlacken. In den 30 Jahren seit der Einführung der Pflegeversicherung ist das System immer komplizierter geworden, weil der Gesetzgeber jedem Einzelfall gerecht werden wollte. Jetzt haben wir dadurch viel zu viele verschiedene Pflegesäulen. Wer sich damit professionell auseinandersetzt, kommt damit vielleicht klar, aber pflegenden Angehörigen, die ohnehin physisch und psychisch belastet sind, sollte man das nicht zumuten.
Bürokratie setzt nicht nur Angehörigen zu, auch professionelle Anbieter klagen.
Das kann ich verstehen. Wir müssen dringend die Misstrauenskultur in der Pflege beenden und die Bürokratie insbesondere für die Pflegekräfte abbauen. Die Apparate vom Medizinischen Dienst und den Krankenkassen zur Überprüfung der Pflegeleistungen sind riesig. Die ganzen Dokumentationspflichten führen bei den Mitarbeitern doch nur zu schlechter Laune. Die haben sich mal bewusst für einen Beruf entschieden, in dem sie in erster Linie mit Menschen arbeiten wollen – und nicht mit Akten. Einfach nur die Dokumentationspflichten abzuschaffen, mit denen ja gewisse Qualitäts- und Sicherheitsstandards gewährleistet werden sollen, das geht aber auch nicht. Aber wir müssen sie soweit wie möglich verschlanken und den Aufwand für die Pflegekräfte zurückfahren.
Was muss ansonsten im Gesundheitssystem geändert werden?
Wir brauchen eine viel effektivere Patientensteuerung. In den Hausarztpraxen kann eingeschätzt werden, welche Behandlung und ob eine Überweisung zum Facharzt notwendig ist. Zudem muss auch für die Praxen Bürokratie abgebaut werden. Ärztinnen und Ärzte haben viel zu wenig Zeit für wirklich kranke Menschen. Aber das ist nur ein Aspekt. Der Wechsel von der Behandlung im Krankenhaus in die ambulante Versorgung klappt nicht immer. Wenn doch, warten Angehörige darauf, dass das Sanitätshaus das Pflegebett bereitstellt und die Kasse es genehmigt. Alles hängt miteinander zusammen und wir müssen im Gesundheitssystem viel mehr zusammen denken, mit den Beteiligten und Betroffenen sprechen und Verbesserungen vornehmen, die den Patientinnen und Patienten zugutekommen. Denn die Menschen sind im Gesundheitssystem das Wichtigste. Das wurde mir unter Karl Lauterbach zu häufig vergessen.
Ist das schon eine Bewerbungsrede für den Posten als Minister im Kabinett Merz?
Diese Frage ist mir inzwischen so oft gestellt worden. Ich kann darüber nur schmunzeln. Ich habe einen Job in NRW, den ich sehr gerne mache. Alles Weitere wird sich zeigen. Ich kann im Übrigen nur davor warnen, jetzt schon Personalfragen zu diskutieren. Das ist brandgefährlich. Wir müssen jetzt erstmal alles daransetzen, die Wahl zu gewinnen.