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NRW-InnenministerIst der nächste Anschlag nur eine Frage der Zeit, Herr Reul?

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Mittendrin: Herbert Reul am Montag bei einer Demonstration gegen Rechts in seinem Wohnort Leichlingen. Der NRW-Innenminister warnt vor einem Vertrauensverlust in die Politik.

Mittendrin: Herbert Reul am Montag bei einer Demonstration gegen Rechts in seinem Wohnort Leichlingen. Der NRW-Innenminister warnt vor einem Vertrauensverlust in die Politik.

Der Krieg in Nahost könnte ein Auslöser für radikalisierte Einzeltäter sein, befürchtet der CDU-Politiker. Doch mehr Abschiebungen lösen das Problem seiner Meinung nach nicht. Ein Interview.

In den vergangenen Wochen sind in Deutschland wieder islamistische Terrorverdächtige festgenommen worden. Wie sieht die Bedrohungslage aus? Welche Rolle spielt der Gaza-Krieg? Und warum sind die Sicherheitsbehörden stets auf Hinweise aus dem Ausland angewiesen? Darüber haben Dirk Fisser und Leon Grupe mit Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) gesprochen.

Herr Reul, der Terrorexperte Peter Neumann hat Anfang Dezember gesagt, es sei nicht die Frage, ob es zu islamistischen Anschlägen in Deutschland komme, sondern wann. Wie ernst ist die Lage?

Es gibt eine konstant hohe Gefahr. Das hat sich seit Dezember auch nicht verändert. Das heißt nun aber nicht, dass wir konkrete Hinweise darauf haben, wann und wo ein Anschlag geplant ist. Wir wissen aber: Die Gefahr ist sehr hoch und wir müssen wachsam sein.

Welche Rolle spielt der Nahost-Krieg?

Der Krieg im Nahen Osten ist eindeutig ein Trigger. Gerade für potenzielle Einzeltäter, die sich im Internet radikalisiert haben, könnte der Krieg der Anstoß sein, Pläne in die Tat umzusetzen.

Heißt das auch, dass die Zahl der Gefährder zunimmt – also Menschen, von denen aus Sicht der Sicherheitsbehörden eine unmittelbare Anschlagsgefahr ausgeht?

Die Zahl bleibt bisher relativ konstant. Aber das widerspricht der insgesamt gestiegenen Gefahr nicht: Die gewachsene Gefahr geht ja vor allem von denjenigen aus, die wir nicht kennen, die wir nicht als Gefährder auf dem Schirm haben. Nehmen wir die mutmaßlichen Anschlagspläne auf den Kölner Dom rund um Weihnachten: Dahinter steckten ja auch keine Leute, die wir seit vielen Jahren beobachten.

Wo ist die Gefahrenlage denn derzeit größer? Durch den Terror von außen oder durch Radikalisierung von Menschen, die bereits hier sind?

Auf beide Bereiche blicken wir genau. Es hilft auch nicht, den Fokus auf das eine oder das andere zu legen. Beides ist gefährlich, also müssen wir uns auch um beides kümmern. Das Problem lässt sich auch nicht dadurch lösen, dass wir einfach weniger Menschen ins Land lassen. So einfach ist es nicht.

Die Hinweise zu möglichen Terrorplänen rund um den Kölner Dom kamen aus dem Ausland. Sind die deutschen Sicherheitsbehörden ausreichend in der Lage, das Land vor Terror zu schützen?

Also zunächst einmal: Kein demokratischer Staat der Welt kann eine hundertprozentige Sicherheit organisieren. Ich bin froh über jeden Hinweis, der uns rechtzeitig erreicht! Den Vergleich mit Sicherheitsbehörden anderer Länder finde ich unangebracht: Es ist aus meiner Sicht gut, dass wir in Deutschland anders als in den USA oder Israel nicht alle Daten abfischen und auswerten.

Ein Plädoyer für den Datenschutz in Deutschland?

Nein, für eine Betrachtung, die weniger im Schwarz-Weiß-Denken verharrt! Terror wird heute im Netz geplant und abgesprochen. Eine große Telefonüberwachung hilft uns heute kaum noch weiter. Welcher junge Mensch telefoniert heute noch ganz klassisch? Terror wird in sozialen Netzwerken, auf WhatsApp oder in Chats von Onlinespielen geplant. Das macht es für die deutschen Sicherheitsbehörden deutlich schwerer, Einblicke zu bekommen. Wir müssen die Sicherheitsbehörden mit entsprechenden Mitteln ausstatten, sonst verlieren wir den Anschluss. Wir müssen eine Debatte darüber führen. Datenschutz ist wichtig, aber Datenschutz darf nicht zum Sicherheitsrisiko werden. Es geht um Menschenleben. Das Recht muss mit den technischen Entwicklungen mithalten.

Nun muss es ja nicht gleich der Anschlagsplan sein, der im Internet besprochen wird. Die Nachwuchsgewinnung radikaler Islamisten findet offen auf Tiktok, Instagram und so weiter statt.

Wir müssen generell die digitale Kompetenz der Sicherheitsbehörden stärken. Wir müssen Schritt halten. Aber zumindest die Bundesregierung macht genau das Gegenteil. Dafür fehlt mir jegliches Verständnis. Es hat doch keinen Sinn, sich nach einem Anschlag hinzustellen und zu versprechen, man werde alles dafür tun, dass sich so etwas nicht wiederholt – und dann passiert am Ende doch nichts. So etwas ist einer der Gründe für den Vertrauensverlust in Politik und Staat.

Was hindert Sie, in NRW voranzugehen?

Wir doktern in Deutschland mittlerweile seit Jahrzehnten an der Vorratsdatenspeicherung herum. Das Bundesverwaltungsgericht und der EuGH haben in ihren Urteilen dazu eindeutige Hinweise gegeben, wie das rechtssicher gehen kann. Und was macht der Bundesjustizminister? Der kommt nicht aus dem Quark. Wir brauchen hier schnell Klarheit! Meine Kinderschutzermittler beispielsweise, die in Sachen Kinderpornografie ermitteln, die werden da allein gelassen von der Bundesregierung.

Wäre es eine Option, Tiktok zu verbieten?

Ich bin mit Verboten sehr zurückhaltend. Wir sind im Netz mit Polizei und Verfassungsschutz technisch, rechtlich und personell noch lange nicht gut genug aufgestellt. Hier anzusetzen, ist vielversprechender, als sich in Verbotsdebatten zu verlieren.

Wir sind gerade in der heißen Phase der Karnevalssaison. Wie riskant ist das angesichts der hohen Gefahrenlage?

Eine einfache Antwort darauf habe ich nicht. Die Ansammlung von großen Menschenmassen ist immer ein Risiko. Das ist für Terroristen immer interessant im Sinne eines Anschlagsziels. Wir müssen also in nächster Zeit besonders wachsam sein. Die Sicherheitsorgane müssen vorher wissen, was passieren soll. Im Nachhinein zu reagieren, wenn das Attentat passiert ist, hilft nicht weiter.

Die Bundesregierung hat gerade die Abschieberegeln verschärft. Werden also bald mehr Islamisten abgeschoben?

Da werden wir jetzt mehr Tempo machen können. Aber das wird das Problem nicht grundsätzlich lösen. Abschiebungen werden nicht alle unsere Probleme lösen, auch wenn der Eindruck in der öffentlichen Debatte zuweilen erweckt wird. Das macht mir Sorgen! Die Leute werden merken, dass das nicht stimmt.

Beim Thema Migration wird es in Deutschland schnell sehr emotional. Sachorientierte Diskussionen sind selten. Warum?

Weil wir in ideologischen Gräben sitzen und zu wenige die Kraft haben, dort herauszuspringen, um gemeinsam an Lösungen zu arbeiten. Die Zahl der Nicht-Wähler nimmt zu. Die Zahl der AfD-Wähler nimmt zu. Statt da über Parteiverbote zu diskutieren, sollte Politik einfach unter Beweis stellen, was sie kann. Sonst bricht die Gesellschaft auseinander. Vielleicht ist das sogar schon passiert. Wenn die Menschen sagen: Warum gebt ihr nicht zu, dass es bei der Zuwanderung eine Grenze geben muss? Da geht es ja nicht um eine konkrete Zahl, sondern die Gewissheit zu vermitteln: Die Politik hat das Problem bemerkt. Wenn Sie Schulklassen haben, in denen zwei Drittel und mehr der Kinder kein Deutsch können, kann kein guter Unterricht gemacht werden. Die Menschen spüren doch, dass es da eine Grenze des Machbaren gibt. Das muss die Politik auch aussprechen.