Nach dem Terroranschlag in Kerman sieht die Hamas Israel als Hauptnutznießer. Auch iranische Politiker geben Israel die Schuld. Experten zweifeln jedoch daran und vermuten den IS als Täter.
Konflikte in NahostWarum die Furcht vor einem regionalen Flächenbrand wächst
Nur wenige Stunden nach dem Terroranschlag im iranischen Kerman stand für die Hamas schon fest, wer als Hauptnutznießer der Gewalttat ins Visier genommen werden müsse: Israel. Die Bomben von Kerman dienten den Interessen des jüdischen Staates, erklärte die militante Palästinensergruppe, die im Gazastreifen seit fast drei Monaten gegen Israel kämpft.
Auch iranische Politiker gaben Israel die Schuld an dem Tod von mindestens 95 Menschen in Kerman, und Revolutionsführer Ali Khamenei kündigte Vergeltung an. Experten bezweifeln zwar, dass die Israelis den Anschlag verübten. Doch die Schuldzuweisung nach den Eskalationen der jüngsten Zeit lässt die Furcht vor einem regionalen Flächenbrand wachsen.
Die Täter in Kerman brachten nach Berichten iranischer Staatsmedien während einer Gedenkfeier für den vor vier Jahren getöteten General Qassem Soleimani zwei Taschen voller Sprengstoff zur Explosion. Die ferngezündeten Bomben detonierten im Abstand von 15 Minuten in der Nähe des Friedhofes, auf dem Soleimani beigesetzt ist.
Experten: Anschlag trägt nicht die Handschrift des Mossad
Israels Geheimdienst Mossad hat zwar mehrmals Mordanschläge im Iran verübt, dabei aber immer gezielt Offiziere der Revolutionsgarde oder Experten des iranischen Atomprogramms getötet. Ein Bombenanschlag wie in Kerman gehöre nicht zu Israels Methoden, so der Iran-Experte Arash Azizi, Autor eines Buches über Soleimani. Auch die Tatsache, dass keine hochrangigen Revolutionsgardisten unter den Opfern seien, spreche gegen eine israelische Verwicklung, sagte Azizi un-serer Redaktion. Der türkische Experte Arif Keskin bestätigte, Israel gehe in seinem Schattenkrieg gegen den Iran ganz anders vor.
Azizi, Keskin und die US-Regierung vermuten den Islamischen Staat (IS) hinter der Tat. Der radikal-sunnitische IS hatte bereits im vorigen Jahr sowie 2022 Bombenanschläge im schiitischen Iran verübt. Soleimani befehligte vor zehn Jahren den Feldzug iranischer Truppen gegen den IS im Irak und hatte großen Anteil an der Vertreibung der Miliz aus dem Land.
Dass iranische Oppositionsgruppen den aktuellen Anschlag verübt haben könnten, glaubt Keskin nicht. Diese Gruppen griffen meistens Staatsgebäude und -vertreter an, sagte er. Der Anschlag von Kerman habe das iranische Regime aber geschwächt. Teheran preise das die Islamische Republik immer als „Insel der Stabilität“ im Nahen Osten an. Nun müsse sich die Regierung vorwerfen lassen, die eigene Bevölkerung nicht schützen zu können, fügte Keskin hinzu.
Der Terror von Kerman ist der neue Höhepunkt einer Eskalationsspirale in Nahost, die mit dem Gaza-Krieg im Oktober begann. Zunächst gab es außerhalb von Gaza lediglich Scharmützel zwischen Israel und der Hisbollah an der israelisch-libanesischen Grenze. Doch dann begannen die iranisch unterstützten Huthi-Rebellen im Jemen mit Angriffen auf Handelsschiffe im Roten Meer, um die Hamas zu unterstützen. Die Huthis drohen zudem mit Angriffen auf US-Kriegsschiffe in der Gegend; bei einem Gefecht am Neujahrstag tötete die US-Marine zehn Huthi-Kämpfer. Außenminister Antony Blinken will in den kommenden Tagen bei einem Besuch im Nahen Osten die Möglichkeiten für eine neue Feuerpause in Gaza sondieren, um die Lage in der Region zu beruhigen.
Zur iranisch unterstützten „Achse des Widerstands“ gegen Israel gehören neben den Huthis und der Hisbollah auch das Regime in Syrien sowie pro-iranische Milizen im Irak. Ein israelischer Luftangriff in der Nähe von Damaskus am Ersten Weihnachtstag tötete General Sajed Razi Musavi, den wichtigsten iranischen Offizier in Syrien. Am Dienstag starb der stellvertretende Hamas-Chef Saleh al-Aruri bei einem mutmaßlichen israelischen Luftschlag in Beirut. Einen Tag später folgte der Anschlag von Kerman. Am Donnerstag starben mindestens zwei pro-iranische Kämpfer in der irakischen Hauptstadt Bagdad bei einem Drohnenangriff auf das Hauptquartier ihrer Miliz.
Kontrahenten schrecken bisher vor veritablem Krieg zurück
Aus dieser Kette von Gewalttaten sollte aber nicht der Schluss gezogen werden, dass die Kontrahenten Iran und Israel einen Krieg gegeneinander beginnen wollen, meint Experte Azizi. „Der Iran weiß, dass eine größere regionale Auseinandersetzung reiner Selbstmord wäre“, sagte er unserer Redaktion. Khamenei wolle keine direkte Auseinandersetzung mit mächtigen Staaten wie Israel und den USA. Auch Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah hatte nach dem Tod von Aruri durchblicken lassen, dass seine Kämpfer zumindest vorerst keinen Großangriff gegen Israel starten werden. Die israelische Armee erklärte ihrerseits, sie konzentriere sich auf den Krieg ge-gen die Hamas in Gaza.
Doch auch wenn Israel und der Iran kein Interesse an einem neuen Krieg haben, wächst die Gefahr, dass sie wegen der Spannungen um den Gaza-Konflikt in einen bewaffneten Konflikt hineinstolpern. Anschläge wie der von Kerman bergen das Risiko weiterer Eskalationen, meint Azizi: „Die Dinge können aus dem Ruder laufen, obwohl keine der beiden Seiten das will.“