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Interview

Youtube-Lehrer ist wieder da
„Es ist fast als wäre es ‚cool‘, zu sagen, man könne Mathe nicht“

Lesezeit 5 Minuten
Kai Schmidt ist Schulleiter und Youtube-Star

Kai Schmidt ist Schulleiter und Youtube-Star

Auch nach einem schweren Schicksalsschlag engagiert sich Kai Schmidt weiter auf Youtube für das Verständnis und das Interesse an Mathematik - trotz Beruf als Schulleiter.

Kai Schmidt begann sein Berufsleben als Bankkaufmann, doch sein Herz schlug immer für das Unterrichten. Heute ist er nicht nur Schulleiter, sondern auch durch seine Mathe-Erklärvideos auf Youtube überregional bekannt. Nach dem Tod seiner Frau zog er sich zurück, inzwischen steht er wieder vor der Kamera. Mit ihm sprach Marie Busse.

Herr Schmidt, Sie sind eher zufällig Youtube-Star geworden. Bald feiern Sie schon Ihr zehnjähriges Jubiläum. Was macht Ihnen mehr Spaß: Mathe im Klassenzimmer oder vor der Kamera zu unterrichten?

Ganz klar: Mathe im Klassenzimmer. Die Interaktion mit den Schülerinnen und Schülern und die Zusammenarbeit mit den Kollegen sind einfach unschlagbar. Youtube ist für mich ein Werkzeug, aber mein Beruf als Lehrer ist das, was mir wirklich am Herzen liegt.

Wie kam es überhaupt dazu, dass Sie mit Youtube-Videos angefangen haben?

Ich hatte eine neunte Klasse mit großen Mathelücken, aber der Lehrplan ließ kaum Zeit, alles detailliert aufzuarbeiten. Also habe ich angefangen, einfache Videos zu erstellen, um den Schülern die Grundlagen zu erklären. Es war alles sehr improvisiert – ich hielt die Kamera in einer Hand und schrieb mit der anderen. Die Videos waren eigentlich nur für den Schulserver gedacht. Doch ein Schüler schlug vor, sie auf Youtube hochzuladen, weil der Speicherplatz auf dem Schulserver nicht ausreichte. So fing alles an.

Bevor Sie Lehrer wurden, haben Sie eine Ausbildung zum Bankkaufmann gemacht. Wie wichtig sind solche Erfahrungen außerhalb von Uni und Klassenzimmer?

Ich würde gern sagen, dass das eine wertvolle Erfahrung war, aber ehrlich gesagt war es nicht das Richtige für mich. Es war ein Kompromiss für meine Eltern. Zu meiner Zeit galt der Lehrerberuf nicht als besonders sicher, und meine Eltern wollten, dass ich „etwas Vernünftiges“ lerne. Also habe ich eine Banklehre gemacht, aber mein Herz hing immer am Lehramt. Ich wollte schon immer Lehrer werden, und nach der Ausbildung war für mich klar, dass ich diesen Weg gehe. Wenn ich heute zurückblicke, denke ich manchmal, ich hätte mir die Zeit sparen können und direkt mit dem Studium beginnen sollen.

Heute sind Sie Schulleiter, Mathelehrer und Youtuber. Wie organisieren Sie das?

Es ist ziemlich unspektakulär. Für mich gilt immer: Die Schule geht vor. Erst wenn alle schulischen Belange erledigt sind, nehme ich mir Zeit, um Videos zu drehen. Das dauert in der Regel nur zehn bis 15 Minuten pro Video. Insgesamt investiere ich pro Woche weniger als eine Stunde in Youtube.

Nach dem Tod Ihrer Frau im vergangenen Jahr haben Sie eine Pause gemacht und keine Videos produziert. Was hat Sie dazu bewogen, wieder vor die Kamera zu treten?

Das war ohne Frage die schrecklichste Zeit meines Lebens. Ich hatte überhaupt keinen Spaß daran und deswegen musste das einfach warten. Irgendwann habe ich für mich beschlossen, dass es doch weitergeht. Ich habe viele liebevolle Kommentare bekommen und es kam

immer wieder die Bitte: „Mach doch bitte weiter, wir vermissen dich“. So langsam versuche ich wieder, in den alten Trott zu kommen. Aber es ist nicht so, wie es mal war.

Sie unterrichten in einer ländlichen Gegend in der Grafschaft Bentheim und leben auch dort. Was macht Lehrer-Sein auf dem Dorf besonders?

Viele Lehrer, mich eingeschlossen, pendeln bewusst aus den umliegenden Dörfern zur Schule, weil das Leben als Lehrer im gleichen Ort wie die Schüler auch seine Tücken hat. Es ist zwar schön, wenn man mal jemanden im Supermarkt trifft, aber das kann schnell zum „Dauerelternsprechtag“ werden. Du gehst zum Bäcker und auf dem Weg zur Fleischtheke hast du schon drei Gespräche mit Eltern oder Schülern geführt. Das ist zeitraubend, Abstand hilft da sehr.

Online sehen Sie Millionen junge Menschen in Deutschland. Warum sind ihre Videos so beliebt?

Ich glaube, es liegt daran, dass ich die gesamte Spannbreite von der Grundschule bis zur Sekundarstufe I abdecke. Außerdem wissen die Schüler, dass ich genau verstehe, wo die Lücken liegen, wenn sie etwas nicht verstehen. Aber der große Vorteil von Videos ist: Die Schüler kommen freiwillig und sind motiviert, ein Problem zu lösen. Das macht einen großen Unterschied.

Mathe ist für viele ein Angstfach. Liest man die Kommentare unter Ihren Videos, kommt dieses Thema immer wieder vor. Warum ist Mathe so gefürchtet?

Das sehe ich tatsächlich anders. Mathe baut sehr klar aufeinander auf, und wenn man eine Lücke hat, kann man sie aufarbeiten. Ich glaube, viele sagen „Ich kann Mathe nicht“, weil sie es nicht wollen. Es gibt natürlich Menschen, für die das Fach wirklich schwierig ist, aber das gilt auch für andere Fächer. Mathe hat nur irgendwie den Ruf, schwierig zu sein – fast als wäre es „cool“, zu sagen, man könne Mathe nicht.

Welchen Einfluss hat Ihre Arbeit auf Youtube auf die Arbeit mit den Schülern im Klassenzimmer und umgekehrt?

Interessanterweise beeinflusst die Schule meine Youtube-Kanäle stärker. Wenn ich im Klassenzimmer auf eine Situation stoße, bei der ein Schüler etwas nicht versteht, denke ich oft: „Aha, da fehlt noch eine Erklärung.“ Das bringt mich dann dazu, ein Video zu drehen. Ich möchte irgendwann eine Sammlung haben, die alle mathematischen Fragen abdeckt.

Sie haben sich nicht nur in der digitalen Welt einen Namen gemacht, sondern sind auch in Talkshows zu Gast gewesen und wurden vom Bundespräsidenten geehrt. Wie hat diese Prominenz Ihren Schulalltag als Lehrer verändert?

An meiner Schule spielt das ehrlich gesagt keine Rolle. Die Schüler kennen mich, aber sie sehen mich nicht als „Star“. Für sie bin ich einfach Herr Schmidt, ihr Mathelehrer. Ich denke, das ist auch gut so. Die Schüler nehmen den Unterricht genauso ernst – oder auch nicht (lacht) – wie bei jedem anderen Lehrer.