NRW-Innenminister Reul beleuchtet in bemerkenswerter Offenheit ein Problem, das sich verstärkt und ihn „nervös“ macht.
NRW-Innenminister Reul zur Kriminalitätsstatistik„Wir müssen über Ausländerkriminalität sprechen“
Herbert Reul quält sich. Am Dienstagabend sitzt der NRW-Innenminister in einem Turnhallen-großen Konferenzsaal seines Düsseldorfer Ministeriums und sagt erstmal, dass er eigentlich nichts sagen will. Er habe keine Lust, „Themen anzusprechen und irgendwelchen merkwürdigen Menschen Munition zu geben“, betont der 71-jährige CDU-Routinier. Zumal er später keine echte Lösung präsentieren kann: „Ich habe keine Antwort. Ich habe mehr eine Problembeschreibung, aber die macht mich nervös, die macht mich unruhig“, bekennt er.
In zwei Wochen wird Reul die jährliche Kriminalitätsstatistik des Landes vorstellen. Ein Routine-Termin. Eigentlich. Denn was seine Statistiker ihm diesmal vorab zur Kenntnis brachten, konnte und wollte Reul nicht „im Zahlendunst einer großen Pressekonferenz“ verschleiern.
Von den insgesamt rund 485.000 Tatverdächtigen hatten 2023 rund 169.000 keinen deutschen Pass. Das sind gut zehn Prozent mehr als im Vorjahr. Das heißt: Jede dritte aufgeklärte Tat in NRW wurde von einem Nichtdeutschen begangen. Dabei lag der Anteil Nichtdeutscher an der Gesamtbevölkerung in NRW bei der letzten amtlichen Erhebung 2022 nur bei 15,6 Prozent.
„Nichtdeutsche sind deutlich überrepräsentiert. Und das bei fast allen Delikten“, sagt Reul und nutzt einen Begriff, der in NRW lange tabuisiert schien: „Wir müssen über Ausländerkriminalität sprechen.“ Der Innenminister ist lange genug im politischen Geschäft, um zu ahnen, dass der grüne Koalitionspartner eine derartige öffentliche Akzentuierung kaum gutheißen wird. Dafür dürfte die AfD jubeln, die Reul inzwischen fast täglich mit parlamentarischen Anfragen zu Kriminalitätsfällen mit nichtdeutschen Tatverdächtigen traktiert und bei deutschen Tatverdächtigen nach Vornamen fragt, um einen etwaigen Migrationshintergrund ans Licht zu zerren.
Doch Reul wurde seit 2017 auch deshalb zum mit Abstand prominentesten und populärsten Minister in NRW, weil er sich nicht um Sprachregeln schert und die Dinge beim Namen nennt. „Die Zahlen sagen uns, dass wir unsere Hausaufgaben bei der Integration nicht gemacht haben“, findet er. Und: „Zur Wahrheit gehört auch: Es kommen nicht immer die studierten, motivierten, gut ausgebildeten Leute zu uns, die wir gerne hätten.“
Es gibt tatsächlich wenig zu beschönigen. Etwa ein Drittel der ausländischen Tatverdächtigen fällt wegen Rohheitsdelikten auf. Ein weiteres Drittel wegen Diebstahlsdelikten. Über 40 Prozent der Gewaltkriminalität wurde 2023 von nichtdeutschen Tatverdächtigen begangen. Der Anteil der Tatverdächtigen ohne deutschen Pass bei Taschendiebstählen liegt sogar bei rund 80 Prozent, was mutmaßlich mit reisenden Banden zu erklären ist. Bei Ladendiebstählen beträgt der Ausländeranteil unter den Tatverdächtigen bei gut 47 Prozent, bei Raubdelikten über 45 Prozent.
Reul bemüht sich um Differenzierung
Da in der Gesamtstatistik Doppelstaatler als Deutsche gezählt werden und Intensivtäter, auf deren Konto manchmal Dutzende Fälle gehen, nicht gesondert ausgeworfen werden, dürfte das Problem eher noch größer sein. Die Zukunft verheißt obendrein wenig Gutes, denn das NRW-Innenministerium zählte über 13 Prozent mehr Kinder unter den nichtdeutschen Tatverdächtigen. Das waren 2023 in absoluten Zahlen: über 7000 Unter-14 Jährige.
Reul bemüht sich gleichwohl um Differenzierung. Der Anstieg der Ausländerkriminalität hängt auch mit dem beträchtlichen Zuwachs des nichtdeutschen Bevölkerungsanteils unter den gut 18 Millionen Bürgern in NRW zusammen. „Weil unsere Bevölkerung heute anders zusammengesetzt ist, hat sich auch die Täterstruktur verändert“, erklärt der Innenminister. 2013 lebten 1,7 Millionen Ausländer in NRW, 2022 waren es schon mehr als 2,8 Millionen. Seither sind noch einmal beträchtliche Zuzüge zu verzeichnen gewesen.
„Damit das klar ist: Wir haben kein Problem mit Ausländern. Sondern ein Problem mit Kriminalität von nichtdeutschen Tätern“, sagt Reul. Dass Nichtdeutsche statistisch gesehen deutlich häufiger straffällig werden, hängt zentral mit der Bevölkerungsgruppe zusammen, die zuwandert: Junge Männer sind unabhängig von der Nationalität eben häufiger unter den Tatverdächtigen als ältere Frauen; Arme und weniger Gebildete häufiger als Wohlhabende.
Jung und männlich ist eher kriminell
Die meisten Ausländer in Nordrhein-Westfalen haben heute die türkische, syrische, ukrainische, polnische und rumänische Staatsangehörigkeit. Das spiegelt sich ziemlich exakt auch in der Reihenfolge der nichtdeutschen Tatverdächtigen. „Jung und männlich“ sei unabhängig jeder Staatsangehörigkeit eher kriminell als 45 und weiblich, erläutert Reul. Deshalb würden verhältnismäßig auch mehr Syrer straffällig als Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine, die vor allem Mütter mit Kindern waren.
Manches ist sozial erklärbar. „Eigentumsdelikte sind häufig Armutsdelikte“, sagt der Minister. Bei Sexualdelikten dürfte wiederum die kulturelle Prägung eine Rolle spielen: „Das Frauenbild in arabischen Ländern ist ein anderes als in Deutschland. In vielen der Herkunftsländer wachsen die Leute in patriarchalischen Systemen auf“, so Reul. Auf Rabatt beim „Mr. Null Toleranz“ können solche Tatverdächtigen gleichwohl nicht hoffen: „Ich erwarte, dass Menschen, die bei uns Schutz suchen und Sicherheit finden, sich anpassen, sich einbringen und unser Verständnis von Recht und Unrecht teilen.“