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Krieg im Nahen OstenWie Türkei und Katar im Konflikt vermitteln sollen

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Dieses Bild stammt aus einem Video, das die Al-Qassam-Brigaden auf ihrem Telegram-Kanal veröffentlicht haben. Es zeigt die beiden am Dienstagabend freigelassenen Geiseln, die von der Hamas eskortiert dem Roten Kreuz übergeben werden.

Ende eines Martyriums: Dieses Bild stammt aus einem Video, das die Al-Qassam-Brigaden auf ihrem Telegram-Kanal veröffentlicht haben. Es zeigt die beiden am Dienstagabend freigelassenen Geiseln, die von der Hamas eskortiert dem Roten Kreuz übergeben werden.

Nach dem Angriff auf Israel sind noch immer mehr als 200 Geiseln in der Gewalt der Hamas. Die Hoffnung vieler westlicher Regierungen ruht nun auf Staaten, die traditionell gute Verbindungen zu den Islamisten pflegen.

Wieder sind zwei Geiseln im Gazastreifen freigekommen, wieder hat Katar mit vermittelt. Die 79 und 85 Jahre alten Frauen seien an Israels Armee übergeben worden, teilte das Büro des Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu in der Nacht auf Dienstag mit. Sie seien auf dem Weg in eine israelische Klinik. Dort warten den Angaben nach Verwandte auf die beiden Frauen.

Der enorme Einfluss Katars auf die im Gazastreifen herrschende Hamas hat das Emirat wieder zum gefragten Ansprechpartner gemacht. In der Geiselkrise werden sich dieser Tage viele der Länder an Doha wenden, die ihre Landsleute lebend nach Hause holen wollen. Mehr als 200 Menschen wurden laut Israels Armee gewaltsam verschleppt, unter ihnen auch acht Deutsche.

Die Beziehungen Katars zur Hamas reichen bis in die 1990er-Jahre zurück. Doha hat schon lange den Ruf, islamistische Gruppen im Nahen Osten zu unterstützen. Deutlich verstärkt wurden diese Bemühungen unter Emir Tamim bin Hamad Al Thani, der die Macht 2013 übernahm. Die Hamas, die afghanischen Taliban wie auch islamistische Akteure in Syrien und der Türkei seien zum Mittel geworden, um Katars Einfluss in der Region zu erweitern, so David Roberts vom King’s College London.

Aus dem reichen Golfstaat, der über sehr große Reserven an Öl und Gas verfügt, floss viel Geld an die Hamas, die 2007 die Macht im Gazastreifen übernahm. Berichten zufolge unterstützte Katar das Palästinensergebiet bisher mit mehr als 2,1 Milliarden US-Dollar. Das Geld fließt demnach an Zivilangestellte der Hamas-Verwaltung, aber auch an arme Familien.

2018 hatte Israel sogar selbst erlaubt, dass Katar 15 Millionen US-Dollar in Koffern durch Tunnel in den Gazastreifen bringen lässt, um Gehälter von rund 20000 Hamas-Angestellten zu zahlen. Israel begründete dies damit, dass das Geld die dortige humanitäre Krise mildern solle und sichergestellt sei, dass das Geld nicht für andere Zwecke missbraucht werde.

Allerdings ist die Kritik an Katar nach dem Hamas-Angriff vom 7. Oktober lauter geworden. Der Druck steigt, sich von den Islamisten loszusagen, deren Chef Ismail Hanija das Emirat zusammen mit der Türkei beheimatet. Das fragwürdige Kapital Dohas – nämlich die Nähe zu einer radikalen Organisation, mit der sonst kaum jemand spricht – wird zunehmend zur Belastung.

Erfolgsmodell Afghanistan

Die islamistischen Gruppen seien für Katar „sinnvoller“ Partner beim Machtausbau gewesen, „groß, gut entwickelt und multinational“, urteilt Experte Roberts. In Afghanistan ging die Rechnung auf. Doha öffnete 2013 ein Büro für die militant-islamistischen Taliban und war dann ein gefragter Vermittler für die USA. Die Nischen-Diplomatie führte schließlich zum Abkommen zwischen den Amerikanern und den Taliban, woraufhin 2021 Tausende Truppen abgezogen und Zivilisten aus Afghanistan geflogen wurden. Die USA und andere Staaten lobten Katars Rolle als Vermittler.

Das Emirat bemüht sich nun, nach dem Hamas-Angriff vom 7. Oktober nicht im Ansehen zu sinken. Außenminister Mohammed bin Abdulrahman al-Thani sprach von „bösartigen Anschuldigungen“ mit Blick auf Berichte über die Nähe zur Hamas. Katars Emir forderte Israel unterdessen eindringlich zum Ende der Angriffe auf den Gazastreifen auf: „Genug ist genug.“

Auch die ebenfalls Hamas-nahe Türkei will ihre Kontakte nutzen, um westliche Geiseln freizubekommen. Sein Land sei bereit, zwischen der Hamas und Israel zu vermitteln, sagte Vizepräsident Cevdet Yilmaz vor einigen Tagen. Das gelte auch für einen Gefangenenaustausch. Yilmaz gehört zu den Gesprächspartnern des deutschen Vizekanzlers Robert Habeck, der am Mittwoch zu einem dreitägigen Besuch in Ankara eintrifft. Offiziell geht es um Wirtschafts- und Klimafragen, doch der Nahost-Krieg und das Schicksal der deutschen Geiseln dürften ebenfalls zur Sprache kommen. Kurz vor dem Besuch tauchten neue Hinweise auf die engen Kontakte zwischen der türkischen Regierung und den Islamisten auf.

Hamas-Chef Hanija und andere führende Funktionäre der militanten Palästinensergruppe verfolgten den Beginn des Angriffes auf Israel am 7. Oktober nach Medienberichten von der Türkei aus. Die Plattform Medyafaresi meldete, Hanija habe sich mit anderen Hamas-Mitgliedern am Morgen des Angriffs bei einem Dankgebet in Istanbul filmen lassen. Die Internetseite Al-Monitor berichtete, die türkische Regierung habe Hanija und die anderen daraufhin diskret gebeten, das Land zu verlassen. Man habe den Eindruck vermeiden wollen, die Hamas-Führung zu beherbergen, während ihre Kämpfer israelische Zivilisten massakrierten.

Telefonat mit dem Terror-Chef

Präsident Recep Tayyip Erdogan unterstützt die Muslim-Bruderschaft, eine internationale Bewegung des politischen Islam, zu der auch die Hamas gehört. Seit Monatsbeginn hat Erdogan nicht nur mit israelischen, arabischen und westlichen Spitzenpolitikern telefoniert, sondern auch das direkte Gespräch mit der Hamas gesucht: Am Wochenende telefonierte er mit Hanija und sprach mit ihm über die türkischen Vermittlungsbemühungen.

Die westlichen Bitten um Hilfe in der Geisel-Frage seien für Erdogan eine Gelegenheit, „die Rolle zu spielen, der er sich erhofft hat“, kommentierte Al-Monitor. Der Präsident hatte sich im vergangenen Jahr als Vermittler zwischen Russland und der Ukraine internationales Ansehen erworben. Auch im neuen Nahost-Krieg ist Ankara ein wichtiger Ansprechpartner. Die Bundesregierung hatte vorige Woche die Türkei und Ägypten gebeten, bei der Freilassung der ausländischen Hamas-Geiseln zu helfen.

Außenministerin Annalena Baerbock sprach mit ihrem türkischen Kollegen Hakan Fidan, der als früherer Geheimdienstchef in der Region gut vernetzt ist. „Unsere Bemühungen, besonders um die Freilassung von Ausländern, Frauen und Kindern, gehen weiter“, sagte Fidan später bei einem Besuch im Libanon. Er besuchte in den vergangenen Tagen auch den Iran, den wichtigsten Unterstützer der Hamas, und traf dessen Präsident Ebrahim Raisi.

Noch steht aber nicht fest, ob Ankara bei der Hamas viel für die westlichen Gefangenen ausrichten kann. Bei der Freilassung von bisher vier Geiseln wirkte Katar als Vermittler. Dagegen gibt es zwischen der Türkei und der Hamas offenbar Spannungen. Die regierungsnahe Zeitung „Hürriyet“ meldete, Erdogans Regierung habe in ihren Gesprächen die Massaker an israelischen Zivilisten kritisiert. Laut Al-Monitor beklagten sich Hamas-Vertreter, Ankara gehe in öffentlichen Äußerungen zu schonend mit Israel um. Sinem Adar von der Stiftung Politik und Wissenschaft in Berlin, schrieb darum auf Twitter, der Einfluss der Türkei auf die Hamas werde überschätzt. (mit dpa)