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Führerschein weg wegen CannabisEin Bonner überwand seine Sucht und plädiert für eine Null-Toleranz-Grenze

Lesezeit 5 Minuten
Ein Mann sitzt mit einem Joint zwischen den Fingern am Steuer eines Autos.

Seit April darf Cannabis mit Auflagen legal konsumiert werden. Eine Expertenkommission hat nun einen Vorschlag für einen neuen THC-Grenzwert beim Führen eines Fahrzeugs vorgelegt.

Seit dem 1. April darf Cannabis in Deutschland von über 18-Jährigen mit Auflagen legal konsumiert werden. Doch welche Regelungen gelten künftig im Straßenverkehr?

Mit Anfang 20 probierte Stefan Müller im Kreis von Freunden zum ersten Mal Cannabis aus. Damals sei es eine einmalige Sache gewesen, sagt er. Doch Jahre später führte das Kiffen dazu, dass der Bonner seine Fahrerlaubnis verlor. Zur laufenden Debatte um den Cannabis-Wirkstoffgrenzwert im Straßenverkehr hat der Handwerker heute eine klare Meinung: Er spricht sich für eine Null-Toleranz-Grenze hinterm Steuer aus. Die Risiken seien unberechenbar.

Seit dem 1. April darf Cannabis in Deutschland von über 18-Jährigen mit Auflagen legal konsumiert werden. Doch welche Regelungen gelten künftig im Straßenverkehr? Dazu hat das Bundesministerium für Digitales und Verkehr eine Expertengruppe einberufen. Sie empfiehlt einen bestimmten Tetrahydrocannabinol (THC)-Grenzwert. Die Vorschläge werden im Bundestag behandelt.

Vom akuten Herzrasen bis zu psychotischen Zuständen

THC zählt zu den psychoaktiven Cannabinoiden und ist der hauptsächlich rauschbewirkende Bestandteil der Hanfpflanze. Laut Dr. Katja Mercer-Chalmers-Bender, Laborleiterin der forensischen Toxikologie am Institut für Rechtsmedizin am Uniklinikum Bonn (UKB), ist die Liste der potenziellen gesundheitlichen Folgen eines Cannabis-Konsums lang.

Unter anderem können akut Herzrasen, Beeinträchtigung visueller und akustischer Funktionen, Veränderung der Psychomotorik bis hin zu einer Verlängerung der Reaktionszeiten sowie psychotische Zustände auftreten. „In der Spätphase der Cannabiswirkung können emotionale Erschöpfung und depressive Verstimmtheit sowie Gereiztheit und Konzentrationsmangel auftreten. Auch in dieser Phase kann die Fahrsicherheit relevant negativ beeinflusst sein“, so Bender.

Die Expertenkommission im Bund schlägt einen Wirkungsgrenzwert von 3,5 Nanogramm THC pro Milliliter Blutserum vor. Etabliert hatte sich in der Rechtsprechung ein Wert von 1,0 Nanogramm THC in einem Milliliter Blutserum. Laut UKB-Expertin Bender wäre nur eine sehr geringe THC-Dosis erforderlich, um auf den neuen Grenzwert zu kommen, und die gesundheitlichen Auswirkungen eines solchen Konsums wären bei einem Erwachsenen gering. „Allerdings werden bei einem üblichen Cannabiskonsum, der auch zu einer spürbaren zentralen Wirkung führt, um ein Vielfaches höhere Spiegel aufgebaut.“ Dieser Spiegel „baut sich mit der Zeit ab und fällt nach und nach auf 3,5 ng/ml und tiefer ab.“

Anstieg der Unfalltoten durch Drogeneinfluss

Der Wirkstoffgehalt von Cannabis schwankt bereits bei kontrolliertem Anbau und wird für medizinisches Cannabis auf einen bestimmten Wirkstoffgehalt eingestellt. Beim Eigenanbau von Cannabis könne er laut der Laborleiterin kaum eingesehen werden und der resultierende Wirkspiegel hänge von vielen Faktoren ab. „Dem Konsumenten wird es kaum möglich sein, verlässlich das Zeitfenster einzuschätzen, in dem sein Blutspiegel die 3,5 ng/ml sicher unterschritten hat.“

Laut Christoph Wickhorst, Sprecher des NRW-Innenministeriums, ist bereits in den vergangenen Jahren sowohl ein Anstieg der Unfalltoten durch Drogeneinfluss als auch ein Anstieg der festgestellten Drogenverstöße im öffentlichen Verkehrsraum zu verzeichnen. Im Jahr 2022 stellte die Polizei in NRW 19 762 Verstöße mit Drogen oder sonstigen berauschenden Mitteln fest. Im Jahr 2023 stiegen die Unfälle im Zusammenhang mit Drogen und sonstigen berauschenden Mitteln um rund 31,5 Prozent auf 881 Fälle.

Nach der Cannabis-Legalisierung rechnet Wickhorst damit, dass durch „vermehrten Konsum und eine damit mutmaßlich einhergehende vermehrte Teilnahme am Straßenverkehr unter THC-Einfluss“ auch mehr Unfälle, zum Teil auch mit schwerwiegenden Folgen, zu erwarten seien.

Für den Bonner Stefan Müller, der seinen richtigen Namen nicht preisgeben möchte, war das Kiffen eine Suchtverlagerung. Vor fünfeinhalb Jahren befand er sich mitten in einer Spielsucht. Um am Wochenende weniger zu spielen, sei er auf Cannabis umgestiegen: „Es waren immer ein bis zwei Tage nur am Wochenende.“ Uta Geier-Völlmecke, Leiterin der Fachambulanz Sucht des Diakonischen Werks und des Caritasverbands, bei der Müller in Behandlung ist, kennt das Problem. Die finanzielle Belastung durch das Spielen und die einhergehenden Schulden sei enorm: „Dann ist Cannabis, das extrem entspannt, ein probates Mittel“, sagt sie.

Konsum führte zu gravierendem Einschnitt

Das Cannabis habe er sich über einen „Freund“ beschafft, sagt Müller, bis der Konsum in seinem Leben zu einem gravierenden Einschnitt führte. „Ich bin bei einer Verkehrskontrolle in meinem Wohngebiet mittwochs herausgezogen worden.“ Bei seinem Bluttest wurde THC nachgewiesen.

Laut seines Anwalts sei der gemessene Wert zu niedrig gewesen, um ihm die Fahrerlaubnis zu entziehen. Trotzdem nahm ihm die zuständige Kommune den Führerschein ab. Nach einiger Zeit habe er „eingesehen, dass ich Fehler begangen habe und habe dafür geradegestanden“, sagt Müller. Danach zog Müller gezwungenermaßen näher an seinen Arbeitsplatz. Zugleich suchte er eine Suchtberatung auf. Dort erhielt er nicht nur Hilfe, sondern im Anschluss einen Platz im verkehrspsychologischen Unterricht. Dieser bereitete ihn auf seine medizinisch-psychologische Untersuchung (MPU) vor. Darin wird die Fahreignung festgestellt. Um zu dieser Prüfung zugelassen zu werden, musste er „ein halbes Jahr Drogenfreiheit nachweisen. Entweder über Urinproben oder über einen Haartest.“

Müller, der jetzt Mitte 40 ist, hat für sich einen Weg aus der Sucht gefunden. Seit 2023 nimmt er eine Behandlung in der Fachambulanz Sucht in Bonn in Anspruch. Seit über einem Jahr, sagt er, lässt er die Finger vom Glücksspiel und vom Gras.


Wissenswertes zu Cannabis

Viele Faktoren beeinflussen die gesundheitlichen Auswirkungen des Cannabis-Konsums. Unter anderem spielen laut Dr. Katja Mercer-Chalmers-Bender die Häufigkeit und Intensität des Konsums eine Rolle. Auch ist relevant, ob Cannabis zusammen mit Tabak geraucht wird. Wird Cannabis und Tabak gemischt konsumiert, kann dies zu einer Nikotinabhängigkeit führen.

Ob Cannabis als Joint oder oral konsumiert wird, spielt ebenfalls eine Rolle in der Wirkungsentwicklung.

So tritt die Wirkung beim Rauchen nach etwa zehn Minuten ein und dauert ungefähr zwei bis drei Stunden. Beim Essen von Cannabis, etwa durch Kekse, dauert der Wirkungseintritt zwischen 30 Minuten und einer Stunde. Hier muss das Cannabis erst über den Verdauungstrakt ins Blut gelangen. Dafür ist die Wirkdauer wesentlich länger und kann bis zu 12 Stunden anhalten.

Alkohol und Cannabis gemischt konsumiert „beeinträchtigen die Fahrsicherheit wesentlich stärker als jede Substanz für sich genommen“, sagt Bender.