Was gerade in Israel passiert ist, mag für viele eine Randnotiz sein. Aber verdient hätte es größte Aufmerksamkeit als Hoffnungszeichen.
Kommentar zur freigelassenen Hamas-GeiselEine beeindruckende Geste in düsterer Zeit
Eine 85-Jährige, die ihren Entführern die Hand reicht: Was gerade in Israel passiert ist, mag für viele eine Randnotiz im brutalen Krieg zwischen Israel und der radikal-islamischen Hamas sein. Aber verdient hätte es größte Aufmerksamkeit als Hoffnungszeichen in einer düsteren Zeit.
Die Hamas hat mehr als 200 Menschen verschleppt. Für viele ist das eine eher abstrakte Zahl, für ihre Familien, Freunde, Kollegen hingegen häufig alles, worüber sie gerade nachdenken können. Yocheved Lifshitz war eine der Geiseln. Nun ist sie freigekommen.
Als die 85-Jährige im Rollstuhl sitzend anschließend in Pressemikrofone spricht, übersetzt ihre Tochter die Erzählung ihrer Mutter: von dem Motorrad, auf dem sie aus ihrem Kibbuz von den Angreifern in den Gazastreifen verschleppt worden sei, von Schlägen, mit denen sie traktiert wurde, von weitverzweigten Tunneln in dem Küstengebiet.
Es heißt ja: Im Krieg stirbt die Wahrheit zuerst. Die Menschlichkeit darf ihr nicht folgen. Was heißt das aber jetzt konkret? Es gibt ein Video von der Freilassung von Yocheved Lifshitz. Es zeigt, wie die alte Dame im letzten Moment noch einmal umkehrt, einem vermummten Hamas-Terroristen zum Abschied die Hand drückt und zu ihm „Schalom“ sagt, also den hebräischen Alltagsgruß, der „Frieden“ bedeutet.
Gegenseitige Dämonisierung
Auf viele wirkt diese Szene unvorstellbar. Auch in Israel setzen manche die brutalen Terroristen mit Tieren gleich. Sich gegenseitig die Menschlichkeit abzusprechen, mag psychologisch vielleicht auch nachvollziehbar sein. Viele Familien haben unfassbare, dramatische Szenen erlebt, Angehörige verloren, sind vollkommen verzweifelt.
Die Dämonisierung des Feindes bedeutet aber auch, seinem Gegenüber jegliche Rechte abzusprechen. Aufseiten der Hamas hat diese Entmenschlichung offenbar Männer befähigt, Babys und Senioren in blinder Wut zu töten.
Yocheved Lifshitz' Mann ist immer noch in den Händen der Hamas-Terroristen. Die Entführer drohen wiederholt mit der Ermordung von Geiseln. Und trotz alledem hat die 85-jährige Lifshitz Größe gezeigt – und das in einer Situation, in der das wirklich niemand von ihr hätte erwarten können. Ihre Friedensgeste ist somit ein Vorbild für Menschlichkeit, die es gerade in diesen Zeiten dringend braucht.