Niemand muss Schulen erklären, wie sie Ermessensspielräume klug nutzen und Toleranz leben.
KommentarBesser den Gender-Popanz nicht weiter aufblasen
Das NRW-Schulsystem ächzt zweifellos unter gravierenden Herausforderungen. Über 7000 Lehrerstellen sind nicht besetzt. Knapp neun Prozent aller Schulen stehen ohne Leitung da. Der bauliche Zustand vieler Bildungseinrichtungen ist beschämend. Und die Schere zwischen sehr guten und extrem leistungsschwachen Kindern geht immer weiter auseinander. Der Umgang mit Gendersternchen und Binnen-I gehört ausdrücklich nicht in dieses Panorama gewaltiger Probleme.
Gewiss muss die Schule zentraler Ort der Vermittlung orthografischer Normen bleiben. Es kann nicht jede und jeder schreiben, wie es ihr oder ihm gerade ins Weltbild passt. Doch NRW-Schulministerin Feller tut gut daran, schlicht auf das Regelwerk der deutschen Rechtschreibung zu verweisen und alles Weitere ins Benehmen erfahrener Pädagoginnen und Pädagogen zu legen. Kein brillanter Schüleraufsatz wird dadurch ungenügend, dass irgendwo ein Doppelpunkt ins Wortinnere gerutscht ist. Kein Schulleiter gerät unter Chauvinisten-Verdacht, nur weil ihm das generische Maskulinum in Elternbriefen leichter von der Hand geht.
Sprache und Normen entwickeln sich, meist in unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Was der einen heute eine zentrale Errungenschaft der Geschlechtergerechtigkeit ist, empfindet der andere als sprachliche Zumutung. Niemand muss Schulen erklären, wie sie Ermessensspielräume klug nutzen und Toleranz leben.
Es erscheint deshalb weise, dass NRW mit Ministerpräsident Hendrik Wüst an der Spitze den Gender-Popanz nicht weiter aufbläst. Selbstverständlich ist das nicht, wenn man sieht, wer sich vor allem in der Union alles an diesen identitätsstiftenden ‚Das gab‘s doch früher nicht“-Debatten wärmt.