Der KfW-Vorstand Stefan Wintels über Wärmewende, Haushalt und das „grüne Wirtschaftswunder“.
Interview zur Wärmewende„Deutschland verfügt immer noch über solide Finanzen“
In den kommenden Wochen geht es in Berlin um den Bundeshaushalt 2024. Eins ist sicher: Es muss gespart werden. Fallen darum etwa die Förderprogramme der Kreditanstalt für Wiederaufbau geringer aus, drohen vielen Verbrauchern hohe Preise. Auf welche finanziellen Unterstützungen kann man sich noch verlassen? Das sagte KfW-Vorstandschef Stefan Wintels im Gespräch mit Michael Clasen.
Die Kreditanstalt für Wiederaufbau wurde 1948 gegründet, um den Marshall-Plan der USA zum Wiederaufbau des zerstörten Deutschlands umzusetzen. Mit günstigen Krediten für die Industrie legte die KfW damals den Grundstein für das Wirtschaftswunder. Welche Rolle spielt sie heute angesichts der vielfältigen nationalen und globalen Krisen für Deutschland?
Die KfW agiert an der Schnittstelle von Politik, Wirtschaft, Finanzwesen und Öffentlichkeit. Unsere heutige Rolle ist es, die nachhaltige Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft vor allem in Deutschland, aber auch international zu unterstützen, gerade angesichts der vielfältigen Krisen unserer Zeit. Im Ergebnis müssen wir unsere Wettbewerbsfähigkeit in Deutschland und Europa stärken. Als „Bank aus Verantwortung“, wie wir uns selbst seit 2012 nennen, wollen wir Unternehmen, Kommunen, Länder, aber auch die Bürgerinnen und Bürger dabei unterstützen, Entscheidungen für die Zukunft umzusetzen und damit Verantwortung zu übernehmen.
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Die Ampel mit Kanzler Olaf Scholz versprach vor zwei Jahren ein „grünes Wirtschaftswunder“. Jetzt steckt das Land in einer konjunkturellen Krise. Glauben Sie noch an das „Wunder“?
Die Klimakrise, der Verlust von Biodiversität, Inflation und Kriege – all das ist Ausdruck einer Polykrise, einem Geflecht von Entwicklungen, die sich gegenseitig beeinflussen und zum Teil verstärken. Dies führt zu Unsicherheit, z.B. bei Unternehmen, und Verunsicherung bei den Menschen. Und gleichzeitig hat der Wandel von Wirtschaft und Gesellschaft in eine klimafreundliche und digitale Zukunft längst begonnen. Nehmen Sie zum Beispiel die Umwelttechnik. Deutschland ist auf den Weltmärkten die Nummer zwei, und dies hinter China! Mit anderen Worten: Dieser Wandel bietet auch enorme Chancen gerade für unser Land, um auch langfristig Wachstum und Wohlstand zu sichern.
Viele Bürger sind durch die sogenannte „Wärmewende“ tief verunsichert. Trägt die KfW zu dieser Verunsicherung bei, wenn neue Förderprogramme wie der Fördertopf 442 für die Anschaffung einer Photovoltaikanlage innerhalb von Stunden leer sind?
Wir sollten das Ziel im Auge behalten: Die Wärmewende ist grundsätzlich notwendig, um unsere CO2- Ziele zu erreichen. Dies zeigen uns andere Länder, wie z.B. Dänemark oder auch die Schweiz. Bei begrenzten Haushaltsmitteln und Zuschüssen, die nicht zurückbezahlt werden müssen, ist die Nachfrage natürlich immer besonders hoch. Die Nachfrage im Fall des Programms 442 hat jedoch die Erwartungen bei Weitem übertroffen. Gleichwohl konnten wir innerhalb weniger Stunden rund 33000 Zuschussanträge zusagen.
Wie kam es, dass etwa das Förderprogramm für energieeffiziente Gebäude im Januar 2022 plötzlich gestoppt wurde?
Es gibt eine Reihe von KfW-Förderprogrammen, die neben dem KfW-Kredit auch Mittel aus dem Bundeshaushalt enthalten, um die Förderung noch attraktiver zu machen. Dies erfolgt zum Beispiel durch eine Verbilligung der Zinsen oder einen Tilgungszuschuss. Wenn die ursprünglich geplanten Mittel aufgebraucht sind, muss die Bundesregierung entscheiden, ob sie weitere Mittel im Rahmen der Haushaltsplanung bereitstellen kann. Falls nicht, kann die Förderung in dieser Form nicht fortgesetzt werden. So war es im Januar 2022. Zukünftig werden wir im Rahmen unserer Möglichkeiten darauf hinwirken, dass die Förderprogramme, die Bundesmittel enthalten, planmäßig weitergeführt werden können.
Reicht die bisherige Förderpolitik in Umfang und Art aus, um privaten Bauherren und Bauindustrie zu mehr Planungssicherheit zu verhelfen?
Es ist die originäre Aufgabe der Bundesregierung, die Ziele und Leitplanken der Förderpolitik zu bestimmen. Die Rolle der KfW ist es, den Bund mit geeigneten, marktkonformen Förderprogrammen dabei zu unterstützen, diese Ziele zu erreichen. Die Unterstützung von langfristigen Investitionen ist unser Kerngeschäft, deshalb ist Planungssicherheit für Investoren auch für uns in der KfW stets ein zentraler Faktor.
Was für ein Fördervolumen erwarten Sie für die KfW in den kommenden drei Jahren? Wird das Rekordjahr 2022 mit 166,9 Milliarden Euro übertroffen?
2022 war ein Ausnahmejahr für Wirtschaft und Gesellschaft, und das Fördervolumen in Höhe von 167 Milliarden Euro spiegelte dies wider. Ursächlich hierfür waren vor allem sogenannte Zuweisungsgeschäfte, die die KfW außerhalb ihres regulären Fördergeschäfts im direkten Auftrag des Bundes durchgeführt hat zur Sicherung der Energieversorgung in Deutschland. Inzwischen hat sich die Lage am Energiemarkt entspannt. Wir rechnen deshalb aktuell mit einer Normalisierung des Fördervolumens im Jahr 2023, das heißt mit einem regulären Fördergeschäft zwischen 85 und 95 Milliarden Euro und einer weiteren Entspannung in den Folgejahren.
Im Bundeshaushalt hat sich nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ein 60-Milliarden-Euro-Loch aufgetan. Können Sie absehen, was das für die Förderprogramme der KfW bedeutet? Drohen Kürzungen in einzelnen Bereichen?
Es gibt KfW-Förderprogramme, die ausschließlich von uns refinanziert werden, aber auch solche, in denen uns der Bund Mittel zur Verfügung stellt, um die Förderung noch attraktiver zu machen. Der Bund entscheidet, wie viel Geld er uns hierfür zur Verfügung stellt. Zu dieser Entscheidung zählt auch, ob die Förderung in dieser Form weitergeführt werden kann oder neu aufgestellt werden muss. Wir sind hierzu in einem engen Austausch mit der Bundesregierung und werden auch künftig unserem Förderauftrag nachkommen.
Einerseits haben Richter auf Einhaltung der Schuldenbremse gepocht, andererseits sagt das OVG Berlin, die Bundesregierung müsse mehr für den Klimaschutz ausgeben. Zugleich drohen die Kosten im Pflege-, Renten-, und Gesundheitssystem aus dem Ruder zu laufen. Ganz zu schweigen von Baustellen wie Bundeswehr und Infrastruktur. Stößt Deutschland an seine finanziellen Grenzen?
Die gute Nachricht ist: Deutschland verfügt trotz massiver Unterstützungen bzw. Hilfen während der Corona-Pandemie oder der Energiekrise immer noch über solide Finanzen. Laut Eurostat beträgt die Schuldenquote Ende 2022 insgesamt 66 Prozent. In Frankreich oder Spanien liegt diese Quote bei 112 Prozent. Der Wandel Deutschlands und Europas in eine nachhaltige, digitale und wettbewerbsfähige Wirtschaft und Gesellschaft erfordert enorme Investitionen. Diese sind zum weit überwiegenden Teil von privater Seite zu leisten. Es ist insofern von zentraler Bedeutung, dass wir in Deutschland und Europa Rahmenbedingungen schaffen, die diese Investitionen stimulieren und finanzieren. Die Vollendung des europäischen Binnenmarktes sowie die Kapitalmarktunion sind dabei nur zwei Beispiele, die wenig Geld kosten, aber enorme Wohlstandseffekte mit sich bringen. Gleichwohl wird es in Zukunft selbstverständlich Zielkonflikte geben. Diese werden nicht dadurch gelöst, indem wir alles für alle finanzieren, sondern Prioritäten setzen und hierüber einen gesellschaftlichen Konsens herstellen. Investitionen in Bildung, die staatliche Infrastruktur oder auch unsere Sicherheit sind nur einige Beispiele, wo der Staat gefordert ist. Zudem muss es uns gelingen durch Digitalisierung und den Einsatz von künstlicher Intelligenz staatliche Leistungen effektiver zu erbringen.
Können Sie ausreichend internationale Großinvestoren wie Versicherungen und Pensionsfonds davon überzeugen, dass Deutschland als Industrieland eine Zukunft hat? Oder gibt es Skepsis?
Kein Investor muss in Deutschland investieren. Es kommt daher darauf an, dass Deutschland einen attraktiven „Investment Case“ hat. Aufgrund eines unterentwickelten Kapitalmarkts und im Vergleich zu vielen anderen Ländern wenigen Kapitalsammelstellen, wie z.B. Pensionsfonds, sind wir auf ausländisches Kapital angewiesen. Insgesamt ist das Interesse an Deutschland weiterhin hoch. Wir haben als KfW über unsere Tochter KfW Capital erst jüngst den Wachstumsfonds Deutschland in einem Volumen von einer Milliarde Euro aufgelegt mit zwei Drittel privatem Kapital. Über 20 namhafte institutionelle Investoren, darunter Versicherungen, Versorgungswerke, Stiftungen, Vermögensverwalter und große Family Offices sind dabei. Dies ist jedoch erst der Anfang, und es muss uns in den kommenden Jahren gelingen deutlich mehr privates Kapital für unseren klassischen Mittelstand sowie junge Wachstumsunternehmen zu mobilisieren.
Wie wichtig ist die Mobilisierung von privatem Kapital, um den Transformationsprozess zu finanzieren? Über was für Größenordnungen sprechen wir da?
Diese Mobilisierung von privatem Kapital ist enorm wichtig. Dieses Jahrzehnt ist auch ein Jahrzehnt der Investitionen. Unsere volkswirtschaftliche Abteilung geht davon aus, dass allein in Deutschland bis 2045 Investitionen von rund 5 Billionen Euro für Klimaneutralität erforderlich sind und rund 90 Prozent davon durch private Investoren erfolgen müssen. Die öffentliche Hand kann die Transformation also gar nicht alleine finanzieren, sondern es ist notwendig, dass private Investoren bzw. Unternehmen in der Transformation eine attraktive Zukunftsinvestition erkennen.
Wie kann das gelingen?
Die umweltökonomisch richtige Antwort ist eine globale CO2-Be- preisung, damit die Kosten des Klimawandels verursachungsgerecht getragen werden. Deutschland setzt international Akzente, aber es bleibt ein dickes Brett. Unabhängig davon brauchen wir eine international wettbewerbsfähige Finanzindustrie in Deutschland und Europa. Aktuell nutzen wir deren Potenzial für den Umbau unserer Wirtschaft und Gesellschaft bei Weitem nicht. Konkret sehe ich fünf Handlungsfelder: die Vollendung des EU-Binnenmarkts, die europäische Banken- und Kapitalmarktunion, die Überprüfung der Finanzmarkt-Regeln auf ihren effektiven Beitrag zur Transformation, den Zugang von Unternehmen zu Eigenkapital und Innovationsfinanzierung und nicht zuletzt eine verbesserte Akzeptanz der Finanzindustrie bzw. des Kapitalmarktes in der Gesellschaft.