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Interview zum Klimaschutz„Deutschland ist längst weiter, als viele meinen“

Lesezeit 5 Minuten
Jennifer Morgan, Deutschlands Chef-Verhandlerin bei den internationalen Klimagipfeln

Jennifer Morgan, Deutschlands Chef-Verhandlerin bei den internationalen Klimagipfeln

Klimaschutz-Chef-Verhandlerin Jennifer Morgan spricht vor dem Gipfel in Dubai und tritt dem Eindruck entgegen, Europa stünde beim Schutz der Umwelt allein da.

Ein deutscher Alleingang beim Klimaschutz ruiniere unsere Wirtschaft, lautet ein Vorwurf an die Ampel-Regierung. Das Gegenteil stimme, sagt Jennifer Morgan, Deutschlands Chef-Verhandlerin bei den internationalen Klimagipfeln. Drei Wochen vor dem nächsten Treffen in Dubai tritt sie im Interview mit Tobias Schmidt dem Eindruck entgegen, Europa stünde beim Schutz der Umwelt allein auf weiter Flur.

Frau Morgan, beim Klimagipfel ab Ende November in Dubai soll Bilanz gezogen werden. Eigentlich ist doch schon klar: Was wir in Europa mühsam an CO2 einsparen, wird in China, Indien oder den USA ausgeblasen, oder?

Seit dem Pariser Abkommen sind wir durchaus vorangekommen. Ohne die bisher getroffenen Maßnahmen würden wir uns auf eine Erderwärmung von 3,5 Grad zubewegen. Nach heutigem Stand der Dinge bewegen wir uns auf 2,4 Grad zu. Aber ja, das heißt, wir sind immer noch nicht weit genug, um die 1,5 Grad nicht zu reißen. Wenn wir die 1,5-Grad-Grenze überschreiten, wächst das Risiko, dass die Auswirkungen des Klimawandels zunehmend unbeherrschbar werden. Und ja, es gibt viele Länder, die vorangehen. Die EU hat sich gerade auf eine starke Position für Dubai geeinigt: eine Verdreifachung der erneuerbaren Energien und eine Verdoppelung der Energieeffizienz bis 2030 sowie eine klimaneutrale Wirtschaft im Einklang mit 1,5 Grad bis 2050.

Aber wer noch?

Auch in vielen anderen Ländern und Regionen gibt es Fortschritte. Die USA wollen bis 2050 klimaneutral werden und katapultieren sich an die Spitze bei den grünen Technologien. China ist heute schon der größte Elektroauto-Markt, hat bereits ein Drittel der weltweiten Solar- und Windkraftkapazitäten und baut die Erneuerbaren stark aus. Chile steigt in die grüne Wasserstoffproduktion ein. Kolumbien will keine Kohle mehr exportieren. In Brasilien und Uruguay gibt es wichtige Beschlüsse zum Ausbau der Erneuerbaren, auch in Afrika. Die gute Nachricht ist, dass immer mehr Ländern längst klar ist, dass Klimaschutz und Wohlstand kein Widerspruch sind. Die enormen wirtschaftlichen Chancen einer grünen Wirtschaft werden weltweit erkannt. Nein, Europa ist längst nicht mehr allein!

Verfeuert China nicht so viel Kohle wie nie zuvor?

Es stimmt, dass China nach wie vor viele neue Kohlekraftwerke baut, weil sie glauben, dass sie ohne Kohle noch keine sichere Energieversorgung hinbekommen. Das steht nicht in Einklang mit dem Pariser Abkommen. Aber auch China will aus den Fossilen raus, der Weg ist längst eingeschlagen. In China wird man voraussichtlich das selbst gesteckte Ziel zum Ausbau der Erneuerbaren fünf Jahre vorher als versprochen erreichen. Und auch im Nahen Osten werden neue Öl- und Gasfelder erschlossen, ja. Doch global betrachtet, gibt es Positives zu vermelden: Auch ohne zusätzliche Maßnahmen wird der Verbrauch von Öl und Gas bis 2030 um 29 Prozent sinken. Das hat die Internationale Energieagentur (IEA) gerade berechnet. Das ist natürlich noch nicht genug. Gerade darum ist die Bestandsaufnahme in Dubai ja so wichtig: Dort wird deutlich werden, wo überall die Richtung noch geändert werden muss.

Warum steigen dann die Investitionen in die Ausbeutung fossiler Brennstoffe?

Weil die bombastischen Kosten, die die Klimakrise längst verursacht, von den Märkten noch immer nicht einbezogen werden. Ebenso wenig fallen die zahllosen Menschen ins Gewicht, die unter den Folgen der Erderwärmung leiden oder daran sogar gestorben sind. Wir können aber nicht mit der Atmosphäre verhandeln. Es ist Aufgabe der Politik, ökonomisches Wachstum, Energiesicherheit und Klimaschutz zusammenzubringen, dafür zu werben und auch Vorgaben zu machen. Und Deutschland ist da längst weiter, als viele meinen. Weite Teile der deutschen Industrie, auch der energieintensiven Industrie, stecken schon mittendrin im Übergang zum postfossilen Zeitalter. Und das wird sich auszahlen für die Industrie, denn es stärkt ihre Position in der Zukunft.

Wird es auf dem Klimagipfel ein Bekenntnis zum Ausstieg aus Kohle, Gas und Öl geben?

Wir müssen uns in Dubai unbedingt auf einen Ausstieg aus Kohle, Gas und Öl einigen. Ich glaube, die Chancen, dass dies klappt, sind gestiegen: Die Anzahl der Staaten, die sich dazu bekennen, wächst und wächst, das wurde kürzlich auf einem Vorbereitungstreffen in New York deutlich. In Südamerika, in Afrika, auf den Inselstaaten sowieso. Das ist nicht gleich morgen zu schaffen, und es muss ordentlich und gerecht geschehen. Aber es muss geschehen und es wird geschehen.

Wie sollen die Emirate, Saudi-Arabien, aber auch die USA dazu gebracht werden, ihr Öl und Gas im Boden zu lassen?

Dies zu tun ist ein Gebot der Vernunft. Die Wasserknappheit wegen des Klimawandels ist in Saudi-Arabien dramatisch. Die Länder am Golf bauen nun im Rekordtempo grüne Industrien auf, auch zur grünen Wasserstoffproduktion, weil das die Einnahmemöglichkeiten der Zukunft sind. Auch Muhammad bin Zayid Al Nahyan, Emir von Abu Dhabi, sagt, der Tag, an dem der letzte Tropfen Öl gefördert wird, wird ein Festtag.

Und das nehmen Sie ihm ab?

Klar wäre es einigen ölexportierenden Staaten lieber, weiterzumachen wie bisher. Aber nochmal, die Botschaft hat alle erreicht. Die Welt bewegt sich in eine andere Richtung. Die Klimakrise ist so heftig, für erste Staaten hat der Überlebenskampf begonnen, und deswegen ist der Wendepunkt erreicht. Die Dynamik ist nicht mehr zu stoppen. Wir Europäer haben vorgelegt und fordern eine Verdreifachung der erneuerbaren Energien und einen globalen Ausstieg aus fossilen Energien im Stromsektor in den 2030er-Jahren, außerdem keine neue Kohle. In Dubai wird hart darüber debattiert werden, auf welches Ziel sich die Vertragsstaaten festlegen. Unsere Position ist klar: Um die wichtige 1,5 Grad-Marke in Reichweite zu halten, brauchen wir ein klares Signal, eine Entscheidung, basierend auf den wissenschaftlichen Studien der Internationalen Energieagentur, dass die Transformation weg von fossiler Energie und hin zu erneuerbaren Energien jetzt deutlich Fahrt aufnimmt.

Neue Technologien wie CO2-Ab- scheidung und -Speicherung oder das Absaugen von CO2 aus der Atmosphäre werden es nicht ermöglichen, an fossilen Energien festzuhalten?

Es gibt einige Industrien, die aus technischen Gründen nicht emissionsfrei arbeiten können. Diese müssen langfristig mit solchen Technologien weitestgehend klimaneutral gemacht werden. Aber dass aufgrund von Technologien wie Carbon Capture and Storage (CCS), Carbon Capture and Utilization (CCU) oder Direct Air Capture (DAC) weiter Kohle, Gas und Öl verfeuert werden könnten, ohne die Atmosphäre noch mehr aufzuheizen, das gilt in der Wissenschaft als unmöglich beziehungsweise als schlicht unbezahlbar.