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Islamwissenschaftler über SchulunterrichtWie lässt sich der Islamismus eindämmen?

Lesezeit 5 Minuten
ARCHIV - 27.04.2024, Hamburg: Teilnehmer einer Islamisten-Demo halten ein Plakat mit der Aufschrift ·Kalifat ist die Lösung· in die Höhe. (zu dpa: «Buschmann zu Lob des Kalifats: Absurde Meinung ist nicht strafbar») Foto: Axel Heimken/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Islamistendemo in Hamburg am 27. April 2024

In Hamburg hatten Demonstranten die Ausrufung eines Kalifats auf deutschem Boden gefordert. Kann ein Islamunterricht unter staatlicher Aufsicht etwas gegen solche Tendenzen bewirken? Das meint jedenfalls Islamforscher Mouhanad Khorchide.

Von Anfeindungen durch Islamisten will sich der Religions- und Islamwissenschaftler Mouhanad Khorchide nicht einschüchtern lassen: „Jetzt erst recht“. In einer Expertendiskussion sagte der Professor der Universität Münster, dass er permanent unter Polizeischutz stehe. Muslimische Extremisten würden ihn wegen seiner theologischen Positionen als „Häretiker“ betrachten. Zu den Versuchen, ihn „zu beseitigen“, sagte Khorchide: „Das stärkt mich in dem, was ich mache, und deshalb sage ich immer wieder: Jetzt erst recht!“

Was die Politik liefern müsste

Auch von Politikern fordert Khorchide deshalb mehr Mut, über Gefahren des Islamismus zu sprechen. Viele täten das nur hinter „vorgehaltener Hand“ – aus Sorge, sonst als „islamophob“ abgestempelt zu werden. Das Problem daran: Dann sprächen „nur die Falschen über die Probleme“. Er forderte: „Wir dürfen uns nicht selbst mundtot machen“ und keine „Selbstzensur“ erlauben.

Das Problem

Wie gravierend das Problem des Islamismus ist, belegen wissenschaftliche Studien. Forscher aus Münster haben bundesweit die Wertorientierungen von Erstsemester-Studenten der Islamischen Theologie und Religionspädagogik untersucht. Ergebnis: Mehr als die Hälfte lehnt den Handschlag zwischen Männern und Frauen ab. Mehr als jeder Zweite glaubt, dass der Westen für die schlechten Bedingungen in islamischen Ländern verantwortlich sei. Fast die Hälfte der 252 Befragten war der Überzeugung, dass Israel kein Existenzrecht habe. Und 37 Prozent der befragten Islam-Studenten sehen Juden als ihre Feinde an.

Eine nicht-repräsentative Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen unter muslimischen Schülern in Niedersachsen aus dem Jahr 2023 bestätigt den Eindruck: Eine Mehrheit der Befragten befürwortet die Aussagen „Nur der Islam ist in der Lage, die Probleme unserer Zeit zu lösen“ und „Die Regeln des Korans sind mir wichtiger als die Gesetze in Deutschland“. Immerhin noch 45 Prozent der Befragten hielten einen islamischen Gottesstaat für die beste Staatsform. Mehr als ein Drittel der Befragten zeigte Verständnis für Gewalt gegen Menschen, die den Islam beleidigen. Und 18 Prozent sahen Gewalt sogar zur Durchsetzung des Islams als gerechtfertigt an.

Fehler der Vergangenheit

Angesichts der aktuellen Diskussion sprach Stefan Düll, Präsident des Deutschen Lehrerverbands, Klartext: „Da kann man nicht mehr wegschauen“, sagte er im Gespräch. Viele Jahre habe es geheißen, „dass alles eine Bereicherung sei, was nach Deutschland komme“. Dabei sei in der öffentlichen Debatte „bewusst ausgeklammert worden“, dass „auch Negatives hierherkommt“ – und auch „Negatives hier geboren wird“. Forscher Khorchide warnte: Der „politische Islam“ versuche, auf legalem Weg im Namen der Religion die „freiheitlich-demokratische Grundordnung“ auszuhöhlen. Diese Form des Islamismus werde „unterschätzt“. Gruppen wie „Muslim Interaktiv“, die Veranstalter der Hamburger Kalifat-Demo vor einigen Wochen, seien nicht gewalttätig, aber „dennoch gefährlich für unsere Gesellschaft“.

Auch die Hamburger Soziologin und Publizistin Necla Kelek kritisierte in der Diskussionsrunde, dass religiöser Extremismus in Deutschland „sehr schnell relativiert wird“. Und das, obwohl in manchen Orten – sie zitierte das Beispiel des Hamburger Innenstadtviertels St. Georg – „ein ganzer Stadtteil verloren gehen“ könne.

Was die Gesellschaft tun sollte

Mit Blick auf die Teilnehmer der jüngsten Kalifat-Demonstrationen fragte Kelek: „Warum wollen sie in einer Islam-Diktatur leben?“ Die Gesellschaft müsse darauf Antworten finden.

Eine Antwort hatte Lehrerverbands-Präsident Stefan Düll: Islamistische Tendenzen müsse man ernstnehmen. Extremistische Parolen seien teilweise aber auch „ein Hilferuf“, erklärte Düll: „Nehmt uns ernst und wahr“.

Deutschland müsse anfangen, hier lebende Muslime als „normalen Teil der Gesellschaft“ zu begreifen, forderte er. Generationen von Einwanderern hätten zum Wohlstand Deutschlands beigetragen, sagte Düll. Er meint: „Unsere Gesellschaft hat da einen blinden Fleck.“ Düll kritisierte, dass es im Umgang mit religiösen Festen und Feiertagen im Islam „teilweise Berührungsängste“ gebe. Es brauche aber einen „Weg des gegenseitigen Kennenlernens“, etwa auch über die gemeinsame Feier von religiösen Festen in der Schule.

Was sich in Schulen ändern sollte

Laut Düll braucht es in ganz Deutschland einen schulischen Islam-Unterricht: „Wir müssen einen Islamunterricht unter staatlicher Aufsicht aufbauen“, forderte der Lehrerverbands-Präsident gegenüber dieser Redaktion. Muslimische Eltern hätten zu Recht den Wunsch, dass ihre Kinder nicht außerhalb der Schule von zweifelhaften Lehrern unterrichtet würden, sondern unter Aufsicht des Staates. Für Düll ist klar: Der Staat hat „die Verantwortung“ dafür, „alle demokratischen Muslime“ vor „den Extremisten zu schützen“. Zugleich habe der Staat die Aufgabe, Islamlehrer auszubilden: „Wenn wir einen Islamunterricht anbieten, müssen wir uns für entsprechend überzeugte Demokraten (als Islamlehrer, Anm. d. Red.) einsetzen.“

Die Soziologin Necla Kelek fordert, Kinder bis zum Alter von 14 Jahren in der Schule vor religiöser Überwältigung zu schützen. Sie forderte ein Kopftuchverbot und ein Fastenverbot für Kinder. Schule müsse „eine Alternative“ sein zum Elternhaus, wo Kinder und Jugendliche „Freiheit kennenlernen und Bildung erfahren“ könnten, um „ein individuelles Leben“ aufzubauen.

Religiös begründete Ausnahmen – Kelek zitierte den Verzicht auf Sport im Ramadan oder die Verweigerung, sich neben Kinder zu setzen, die Schweinefleisch essen – seien in den vergangenen Jahrzehnten zugelassen worden. Das war falsch, findet Kelek.

Aufklärung statt Verbote

Grenzen seien nötig – das sieht auch der Münsteraner Islamwissenschaftler Khorchide so. „Aber wie haben sie auszusehen?“, fragte er. Debatten über Verbote, so seine Sorge, nützten Islamisten. Die Extremisten machten daraus eine „andere Erzählung“, warnte Khorchide: Der Westen wende sich mit Verboten gegen den Islam. Stattdessen brauche es „Aufklärung von unten“, riet Khorchide – und fragte zugleich: „Wie kann die stattfinden?“