AboAbonnieren

Buchautorin über Tradition„Schützenfeste sind besser als jedes Klassentreffen“

Lesezeit 4 Minuten
Ein Teilnehmer vom Schützenausmarsch trägt verschiedene Orden auf seiner Uniform und läuft durch die Innenstadt von Hannover.

Hochdekoriert: Die Schützenvereine halten an Traditionen fest, unterliegen aber auch einem Wandel.

Buchautorin Nadine Hampel spricht im Interview über die Vergangenheit und Zukunft des Schützenfests als „kultureller Sonderfall“.

Die Schützenfest-Saison ist eingeläutet. Ob Schützen, Offiziere oder Majore: Alle bringen sich in Stellung, um den neuen Schützenkönig zu krönen. Nadine Hampel hat ein Buch geschrieben über „Das Schützenfest als kultureller Sonderfall“. Hannah Petersohn hat mit ihr darüber gesprochen.

Frau Hampel, was macht das Schützenfest zu einem Sonderfall, wie Sie es im Titel Ihres Buches behaupten?

Der Ort, an dem das Fest stattfindet, befindet sich meistens in einem kompletten Ausnahmezustand. Das Erstaunlichste ist aber, dass über die Jahrhunderte am Schützenfest und an den mitunter sehr veralteten Traditionen festgehalten wird. Es ist eine Art Gegenpol zur Moderne.

Gibt es ähnliche Brauchtümer auch in anderen Ländern?

Ja, die Niederlande oder Österreich feiern vielerorts Schützenfeste, aber auch in den USA oder Namibia gibt es welche – dort waren es oftmals deutsche oder europäische Auswanderer, die die Feste mitgebracht haben.

Wie unterscheiden sich die Schützenbräuche in Ost- und Westdeutschland?

Ich denke, im Westen gibt es mehr Schützenvereine als im Osten. Während des Nationalsozialismus wurden viele Vereine verboten. Sie sind ja – bis heute – sehr inklusiv. Wer zum Dorf gehört, kann auch zum Schützenverein gehören. Das hat den Nazis mit ihren ausschließenden Ansichten nicht gefallen. Sie wollten zum Beispiel, dass die jeweilige Fahne, die jedem Schützenverein heilig ist, Hitler gewidmet wird und Nazi-Symbole abbildet.

Dagegen haben sich viele Vereine gewehrt und wurden daraufhin verboten. Nach dem Zweiten Weltkrieg war den Alliierten daran gelegen, dass es wieder ein Gemeinschaftsgefühl gibt. In Ostdeutschland waren die Schützenfeste von der damaligen Sowjetunion hingegen nicht so sehr gewollt, vielleicht auch, weil sie eher Individualität bedeuten.

Das Schützenbrauchtum hat eine lange Tradition: Sind die Gepflogenheiten eher tradiert oder gehen die Vereine mit der Zeit?

Viele Traditionen werden so erhalten, wie sie sind – was die Schützenvereine auch ausmacht. Aber natürlich geht das Schützenwesen mit der Zeit, wenn auch langsam. Mittlerweile werden manche Lieder, wenn sie diskriminierend sind, nicht mehr gesungen. Nachdem die erste Schützenkönigin gekrönt worden ist, haben andere Vereine nachgezogen.

Vor zwei Jahren gab es sogar die erste Bundesschützenkönigin. Sie hat nach einem Jahr Resümee gezogen und gesagt, dass sie sich eine Menge anhören musste nach dem Motto: Frauen gehören nicht an die Position. Der Weg ist also noch weit.

Und wie ist der Umgang mit dem Thema Homosexualität in den Schützenvereinen?

Dass jemand Schützenkönig wird, der in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft lebt, ist schon lange kein Problem. Das bestand eher darin, den Partner oder die Partnerin mit auf den Thron nehmen zu können. Aber auch das gibt es in den ersten Städten.

Beeinflussen sich die Vereine gegenseitig?

Auf jeden Fall! Einer macht immer den Anfang, dann ziehen die anderen nach.

Lässt sich ein verbindendes politisches Lager bei den Schützenfesten ausmachen?

Ich werde immer wieder gefragt: Sind die Feste nicht irgendwie rechts? Das halte ich für ein Vorurteil, das vielleicht durch den Brauch der Umzüge und Märsche mit Kapellen kommt. Wenn der Ort nicht von vornherein einer politischen Richtung folgt, dann zeigen die Feste immer einen Querschnitt der Bevölkerung.

Also eine nicht-weiße Person, womöglich mit Migrationshintergrund hätte keine Probleme auf einem Schützenfest?

Zumindest nicht aufgrund des Schützenwesens an sich.

Haben die Schützenvereine vor dem Hintergrund des demografischen Wandels Probleme mit dem Nachwuchs?

Nein, überhaupt nicht. Die Mitgliederzahlen steigen sogar wieder. Es gibt über 15000 einzelne Vereine in Deutschland. Ich denke, der Schützenbrauch wird nie sterben, denn irgendwer wohnt immer auf dem Land und hat Lust auf die Bräuche. Es entstehen auch neue Schützenvereine, gerade, wenn Städte und Dörfer wachsen.

Kommen die Menschen auch zurück in ihre Heimat, um diese Bräuche zu leben?

Absolut! Das ist besser als jedes Klassentreffen. Das ist manchmal auch wie eine kleine Realitätsflucht, gerade wenn man sonst in der Stadt wohnt und ein ganz anderes Leben führt.

Schützenkönig und -Vize greifen ihren Mitgliedern und dem Verein oft auch finanziell unter die Arme. Welche Auswirkungen hat die Inflation auf die Spendierlust?

Ob nun mit oder ohne Inflation: Man überlegt es sich natürlich gut, ob man sich das leisten kann. Die Kosten können in die Zehntausende gehen. Es kommt darauf an, ob man beispielsweise die Rechnung des gesamten Throns, inklusive zehn Hofstaatpaaren bezahlt oder kleinere Ausgaben hat. Es gibt aber inzwischen Städte, die einen Fonds eingerichtet haben, in den über die Zeit alle einzahlen, um dem Schützenkönig oder der -königin unter die Arme zu greifen.

Viele Menschen haben einen eng getakteten Wochenplan. Zwischen Familie, Job und der Pflege Angehöriger: Bleibt da überhaupt noch Zeit für die Schützenkultur?

Ja, zum einen ist die Schützenkultur mit der Familie sehr gut vereinbar. Man nimmt einfach alle mit. Zum anderen bekommt man auch Unterstützung durch den Verein. Für viele ist die Vereinsarbeit auch ein Ausgleich, gerade, wenn man einen Angehörigen pflegt oder einen sehr fordernden Job hat.