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Interview

Stadtwerke-Chef zu Abzocke-Vorwürfen
„Die Fernwärme ist kein rechtsfreier Raum“

Lesezeit 4 Minuten
Fernwärmerohre in einer Wind-zu-Wärme-Anlage

Fernwärmerohre in einer Wind-zu-Wärme-Anlage

Die Preise bei Fernwärme sind stark gestiegen. Doch der Chef von Deutschlands Stadtwerken wehrt sich im Rundschau-Interview gegen Abzocke-Vorwürfe.

Vier von zehn Haushalten sollen binnen 20 Jahren mit Fernwärme heizen, um die klimaneutrale Wärmewende zu schaffen. Doch Fernwärme-Anbieter sind unter Abzocke-Verdacht geraten. Ingbert Liebing ist Hauptgeschäftsführer des Verbandes kommunaler Unternehmen (VKU). Er nimmt im Gespräch mit Tobias Schmidt Stellung zu den Vorwürfen überhöhter Preise und der Intransparenz.

Herr Liebing, Strom, Gas und Öl werden immer billiger, nur die Fernwärme wird teurer, plus 13 Prozent in den vergangenen 12 Monaten. Was ist da los?

Es gibt klare gesetzliche Regeln für die Preisanpassung in der Fernwärme. Sie richtet sich nach der Entwicklung der Kosten der Anbieter und einer Marktkomponente, die sich an bestimmten Preis-Indizes orientiert. Die übrigens seinerzeit auch von Verbraucherschützern so begrüßt wurden. In dieser Systematik zeigen sich Entwicklungen erst mit erheblichem Zeitversatz, da die Indizes erst erhoben werden müssen, bevor Preisanpassungen erfolgen können. Kurzum: Weil die Gaspreise im vergangenen und vorvergangenen Jahr gestiegen sind, steigen jetzt in der Folge Fernwärme-Tarife.

Dann können sich Fernwärme-Kunden darauf freuen, dass die Preissenkungen bei der Energiebeschaffung die Fernwärme in einem Jahr wieder billiger machen, auch wenn etwa Gas dann schon wieder teurer ist?

Es wird sich in den Preisen in der Breite widerspiegeln, ja. Eine Zusage für jeden Kunden kann ich natürlich nicht abgeben, denn jedes Unternehmen hat individuelle Kostenbestandteile.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) will die Fernwärme-Regeln ändern, um Transparenz zu schaffen. Wozu sind die Stadtwerke bereit?

Wir arbeiten gemeinsam mit weiteren Akteuren bereits an einer Transparenz-Plattform, auf der Preise verglichen werden können. Aber die Erwartung an bundesweit einheitliche Fernwärmetarife wäre eine Illusion. Die örtlichen Bedingungen sind wie so oft sehr unterschiedlich, so beeinflusst etwa die Beschaffenheit der Böden den Leitungsbau, und damit die Kosten und Preise.

Millionen Hausbesitzer stehen vor der Frage: Soll ich auf einen Fernwärme-Anschluss warten oder mir eine Wärmepumpe anschaffen? Die Abzocke-Vorwürfe gegen die Fernwärme-Anbieter könnten für viele den Ausschlag für die Wärmepumpe geben …

Das wäre fatal, und deswegen haben die Stadtwerke natürlich selbst ein starkes Eigeninteresse daran, dass Fernwärme wettbewerbsfähig ist. Wir wollen vielerorts die Wärmenetze ausbauen, weil es für die Kunden in vielen Gebieten und für das Klima das technisch und wirtschaftlich Beste ist. Und deswegen kann ich nur davor warnen, die Fernwärme jetzt schlechtzureden. Wir brauchen mehr Fernwärme, um CO2-frei zu heizen und das Klima zu schützen. Wer die Fernwärme mit falschen Abzocke-Vorwürfen diskreditiert, gefährdet die Wärmewende insgesamt. Schließlich hat auch die Bundesregierung das Ziel gesetzt, die Fernwärme in Deutschland auf das Dreifache auszubauen.

Sind die Vorwürfe denn wirklich falsch?

Ich bitte Sie! Wenn ein Unternehmen nicht marktgerechte Preise nimmt, können die Kartellbehörden prüfen. Wir haben also funktionierende Kontrollmechanismen. Die Fernwärme ist kein rechtsfreier Raum. Aber nochmal: Die Stadtwerke sind bereit, mehr Vergleichbarkeit zu schaffen, die Transparenz-Plattform ist das Ergebnis des ersten Fernwärme-Gipfels. Bis zum nächsten Treffen im Sommer oder Herbst, das Timing kommt vom Bundesministerium für Wirtschaft, wird über weitere Antworten beraten. Eins aber ist klar: Die Bundesregierung will die Fernwärme richtigerweise bis 2045 von 14 auf 40 Prozent Marktanteil massiv ausbauen. Dafür sind gewaltige Investitionen notwendig. Die Stadtwerke sind dazu bereit. Aber dann muss Fernwärme für sie auch attraktiv sein. Wir brauchen verlässliche Investitionsbedingungen. Die Diskussion über staatliche Eingriffe bis hin zu Erlösobergrenzen für die Anbieter sind dafür Gift und drohen den Fernwärme-Ausbau abzuwürgen. Denn wir müssen ja noch jede Menge anderer Aufgaben stemmen, zum Beispiel den Ausbau der Stromverteilnetze etwa für die Wärmepumpen.

Ist die geplante Verdreifachung der Fernwärme-Anschlüsse binnen 20 Jahren nicht ohnehin illusorisch?

Mit der finanziellen Förderung, die der Bund derzeit anbietet, ist der notwendige Ausbau definitiv nicht zu schaffen. Es stehen bis 2029 nur noch knapp drei Milliarden Euro insgesamt für effiziente Wärmenetze zur Verfügung. Dann ist Schluss. Ohne mehr Geld vom Bund wird es nicht funktionieren. Wir brauchen bis Mitte der 30er-Jahre mindestens drei Milliarden Euro jährlich, auch, um auf klimaneutrale Wärmequellen umzurüsten. Für die Sanierung von Häusern oder die Beschaffung von Wärmepumpen werden viel höhere Summen eingesetzt, die es teils gar nicht braucht, wenn die Fernwärme zu den Menschen kommt!

Sollte der Staat also schleunigst die Schuldenbremse lockern, um in Wärmenetze investieren zu können?

Wir können nur sagen, wie die Bedingungen für den Fernwärmeausbau sein müssen. Alles andere sind politische Prioritätenentscheidungen.