Welche Gruppen zeigen sich besonders judenfeindlich – und was ist dagegen zu tun? Ein Gespräch mit Felix Klein, Antisemitismusbeauftragter der Bundesregierung.
Interview mit Antisemitismus-Beauftragtem„Seit dem Holocaust sind Juden in Deutschland nicht mehr in so großer Gefahr gewesen“
Seit dem Holocaust seien Juden in Deutschland nicht mehr in so großer Gefahr gewesen wie heute, sagt Felix Klein. Welche Gruppen zeigen sich besonders judenfeindlich – und was ist dagegen zu tun? Das beschreibt der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung im Interview mit Dirk Fisser und Stefanie Witte.
Die Zahl der judenfeindlichen Straftaten steigt. In Berlin-Neukölln sind vor zwei Wochen offenbar zwei Menschen angegriffen worden, weil sie Hebräisch gesprochen haben. Häuser werden mit Davidsternen markiert, Gedenkstätten verunstaltet. Sind Juden in Deutschland noch sicher?
Seit dem Holocaust sind Juden in Deutschland nicht mehr in so großer Gefahr gewesen wie heute. Antisemitismus, der in den Köpfen vieler Menschen immer vorhanden war, prägt sich jetzt in Straftaten aus. Insbesondere nach dem 7. Oktober, nach dem Überfall der Terrororganisation Hamas auf Israel, ist festzustellen, dass die Hemmschwelle sinkt – vor allem bei einigen Menschen aus der muslimischen Gemeinschaft. Das wird sich auch in der Kriminalstatistik niederschlagen. Bis 2022 sind etwa 80 bis 95 Prozent der antisemitischen Straftaten dem rechten Spektrum zuzuordnen gewesen. Im vergangenen Jahr war das anders. Der Anteil an Tätern mit muslimischem Hintergrund ist rapide gestiegen.
Fühlen sich Juden selbst denn in Deutschland sicher – und falls nicht, verzeichnen wir eine Auswanderungswelle?
Eine Auswanderungswelle verzeichnen wir zum Glück nicht. Josef Schuster, der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, hat mehrfach betont, dass das nicht so ist. Ich stelle das auch nicht fest. Aber allein die Diskussion darüber ist alarmierend genug. Das müssen wir ernst nehmen. Jüdische Einrichtungen werden jetzt noch stärker geschützt als früher. Aber auch die Gesellschaft ist gefragt: Wer Zeuge von Antisemitismus wird, darf nicht unbeteiligt bleiben, sondern muss einschreiten.
Sie als Antisemitismusbeauftragter vertreten das Thema. Inwieweit werden Sie persönlich angefeindet?
Ich bekomme regelmäßig antisemitische Mails, die Hass enthalten und sich jenseits aller Meinungsfreiheit bewegen. Aber zum Glück geht es in der Regel darüber nicht hinaus.
Sie haben Muslime angesprochen. Welche Rolle spielen hier der Hamas-Terror und der Gaza-Krieg?
Ich möchte betonen, dass wir keinen Generalverdacht gegen alle rund fünf Millionen Muslime in Deutschland aufkommen lassen dürfen. Gleichwohl sehen wir, dass von gewissen muslimischen Milieus hochgefährliche, verfassungsfeindliche Aktivitäten ausgehen. Wir dürfen keine falsche Scheu haben, diesen Antisemitismus zu benennen. Und wir müssen dazu die Islamverbände und Gemeinden, aber auch die landsmannschaftlich organisierten Vereinigungen in die Pflicht nehmen, auf ihre Mitglieder einzuwirken. Allerdings sind diejenigen, die sich radikalisieren, wahrscheinlich eher in Shisha-Bars anzutreffen als in der Moschee.
Es wird vielfach beklagt, die deutschen Künstler seien zu still, wenn es um Antisemitismus geht. Teilen Sie diesen Eindruck?
Ja, das sehe ich so. Künstlerinnen und Künstler, die sich sonst zu vielem äußern und die sich in hervorragender Weise zum Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine geäußert haben, sind gerade erstaunlich still. Für mich gehört es auch zur Meinungsfreiheit, zu schweigen. Allerdings interpretiere ich diese Stille so, dass Solidarität mit Israel gerade nicht en vogue zu sein scheint. Insbesondere angesichts der eindeutigen Ausgangslage beklage ich das sehr. Hier geht es um einen Angriff einer Terrororganisation auf mehr als tausend unschuldige Menschen, darunter auch Künstler. Ein junger Pianist zum Beispiel ist immer noch als Geisel im Gazastreifen. Hier wäre mehr Solidarität angesagt. Oder aber die Club-Szene in Deutschland; vor dem Hintergrund des Überfalls auf das Festival in Israel hätte ich hier mehr Solidarität erwartet.
Berlin will Kultureinrichtungen künftig nur noch fördern, wenn sie gegen Antisemitismus und Diskriminierung sind. Bundesjustizminister Marco Buschmann hält es für sinnvoll, wenn sich Migranten, wie in Sachsen-Anhalt, bei der Einbürgerung zum Existenzrecht Israels bekennen. Braucht es solche Gesinnungsbekundungen?
Wir müssen mit den Mitteln, die der Staat zur Verfügung hat, Antisemitismus so weit wie möglich zurückdrängen. Judenhass zu verbreiten ist inakzeptabel, und wer Antisemit ist, sollte kein deutscher Staatsbürger werden können. Im Kulturbereich dürfen Gruppen, die antisemitische, queerfeindliche, rassistische oder sonstige menschenverachtenden Inhalte verbreiten, keine staatlichen Fördergelder bekommen. Beispiel Documenta: Da hätte ich es für sinnvoll gehalten, dass die hessische Landesregierung mindestens für die offensichtlich antisemitischen Projekte Mittel zurückfordert.
Bei den anstehenden Wahlen in diesem Jahr werden große Erfolge der AfD erwartet. Was bedeutet das für die Ausprägung von Antisemitismus in der Gesellschaft?
Ich mache mir da große Sorgen. Wir sehen leider eine Erosion demokratischer Werte, die ich sehr beunruhigend finde. Auf genau diesem Nährboden gedeiht Judenhass. Das haben wir auch in der Pandemie gesehen oder bei denjenigen, die den Reichstag erstürmen wollten. Da spielen immer auch Verschwörungsmythen eine Rolle. Selbst die Beobachtung durch den Verfassungsschutz hält viele Menschen offenbar nicht davon ab, diese Parteien zu wählen. Wir müssen an die Wähler appellieren, nicht gegen ihre eigenen Interessen zu wählen. Unsere Volkswirtschaft hängt in hohem Maße von freien Märkten ab, davon, dass Deutschland als weltoffenes Land gilt. Wir brauchen Arbeitskräfte, die unseren Wohlstand sichern.