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Interview

Malu Dreyer zum Amtsende
„Ich habe einfach gespürt, dass mir die Kraft ausgeht“

Lesezeit 6 Minuten
Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) in einer Pause bei der Auswärtigen Ministerratssitzung der Landesregierung Rheinland-Pfalz in Dernau.

Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) in einer Pause bei der Auswärtigen Ministerratssitzung der Landesregierung Rheinland-Pfalz in Dernau.

Nachdem sie elf Jahre lang in Rheinland-Pfalz regiert hat, gibt Malu Dreyer ihr Amt vorzeitig ab. Ein Gespräch über die Gründe für diese Entscheidung, ihre Pläne und die Zeit danach

Malu Dreyer ist eine der beliebtesten Politikerinnen der SPD. Die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz ging offen mit ihrer Erkrankung Multiple Sklerose um. Nach der Flut im Ahrtal erlitt ihr Image allerdings Schrammen. Wie fällt ihre Bilanz zum Abschied aus der Politik aus? Darüber sprach die 63-Jährige mit Rena Lehmann.

Frau Dreyer, an diesem Mittwoch übergeben Sie vorzeitig Ihr Amt als Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz. Nach elf Jahren. Wie fühlt sich das an?

Ich bin mit mir im Reinen. Es ist der richtige Schritt zum richtigen Zeitpunkt.

Der Rückzug aus der ersten Reihe gelingt nicht immer jedem gut. Warum ist es jetzt der richtige Zeitpunkt?

Es ist ein sehr persönlicher Zeitpunkt. Ich habe einfach in den letzten Wochen gespürt, dass mir die Kraft ausgeht. Ich habe nicht mehr die Power, die ich von mir gewohnt bin. Ich wollte nie eine Ministerpräsidentin sein, von der die Bürger sagen, sie ist gar nicht mehr so fit. Deshalb musste ich jetzt aufhören.

Der US-Präsident, – anders als Sie – sichtbar gebrechlich, scheint an diesem Punkt nicht angekommen zu sein. Können Sie verstehen, dass er trotzdem weitermacht?

Präsident Biden hat sehr viel getan für die USA, er ist ein wichtiger und verlässlicher Partner für uns in Europa. Er ist ein sehr erfahrener Politiker, der die Situation, denke ich, sehr genau einschätzen kann.

Sie sind offen mit Ihrer Multiple-Sklerose-Erkrankung umgegangen, haben oft Termine im Rollstuhl absolviert. Wurden Sie anders wahrgenommen als Ihre Kollegen?

Ich denke nicht, dass ich anders wahrgenommen wurde. Wenn ich von einigen wenigen hässlichen Kommentierungen einmal absehe, bin ich immer sehr respektvoll behandelt worden. Ich war immer stolz auf mein Bundesland Rheinland-Pfalz. Hier gab es nie Zweifel daran, dass ich auch mit meiner Erkrankung das Amt ausfüllen kann. Ich bekomme zurzeit viele Rückmeldungen von Menschen mit chronischen Erkrankungen, dass ich für sie ein Vorbild war. Das freut mich sehr.

Gab es für Sie ein Vorbild?

Eben nicht. Als ich die Diagnose erhalten habe, gab es kein öffentliches Vorbild. Ich habe mich damals gefragt, wie es mit meinem Leben weitergehen kann. Es wurde dann mein Anliegen, zu zeigen, dass man auch mit MS seine Ziele erreichen und sein Leben gestalten kann.

Werden Sie sich auf dem Feld weiterhin engagieren?

Ich habe nach wie vor die Schirmherrschaft für die Gesellschaft für Multiple Sklerose. Alles Weitere wird man sehen.

Sie haben ein Buch geschrieben mit dem Titel „Die Zukunft ist meine Freundin“. Gibt es Pläne für Ihren neuen Lebensabschnitt?

Ich werde erstmal nichts tun und abtauchen. Das ist das Allerwichtigste. Ich brauche Zeit für mich und meine Familie. Aber wie alle Menschen habe ich besondere Fähigkeiten. Ich bin davon überzeugt, dass man sie zu jeder Lebensphase einsetzen sollte für die Gesellschaft. Ich hoffe, dass ich bei den Themen Frauenpolitik und Demokratie, die mir besonders am Herzen liegen, ein neues Betätigungsfeld für mich finden kann.

Sie vertreten einen „höflichen Feminismus“. Warum ist es nicht gelungen, in aller Höflichkeit eine Frau als Nachfolgerin aufzubauen?

Ich habe in meinem Umfeld sehr viele Frauen, denen ich viele Möglichkeiten eröffnet habe. Ich bin stolz darauf, dass wir in Rheinland-Pfalz in allen gesellschaftlichen Bereichen Top-Positionen mit Frauen besetzt haben. Wir haben in Rheinland-Pfalz drei Top-Kandidaten, die alle das Potenzial gehabt hätten, aber wir haben dann in gemeinsamen Gesprächen beschlossen, dass die Lösung mit Alexander Schweitzer als Ministerpräsident, die ich vorgeschlagen habe, die beste für uns ist. Dem jetzigen Parteivorsitzenden folgt eine Frau nach. Wir werden also eine Ministerpräsidentin weniger haben in Deutschland, dafür aber eine Parteivorsitzende mehr.

Sie haben bei der letzten Wahl in Rheinland-Pfalz ein Ergebnis (35,7 Prozent) erreicht, wovon die SPD im Bund nur träumen kann. Was raten Sie Ihren Genossen in Berlin?

Als ich kommissarische Parteivorsitzende in Berlin war, stand die SPD am Abgrund, und wir hatten Angst, sie könnte einstellig werden. Das ist gerade fünf Jahre her. Inzwischen ist es der SPD gelungen, wieder Stärke zu gewinnen. Wir stellen den Kanzler. Jetzt geht es darum, deutlich zu machen, was die SPD ausmacht. Die SPD hat schon so viel erreicht für die arbeitende Mitte. Es muss ihr besser gelingen, das auch deutlich zu machen.

Die Jahrhundertflut im Ahrtal 2021 haben Sie als Zäsur auch für sich selbst bezeichnet. Was war danach anders?

Es ist ein großer Schmerz für mein Land, aber auch für mich als Ministerpräsidentin, dass so viele Menschen ihr Leben verloren haben und so viel zerstört wurde. Es waren unbeschreibliche Bilder, die einem nie mehr aus dem Kopf gehen. Es war auch die Erkenntnis, dass eine solche Naturkatastrophe passieren kann, selbst wenn man gut auf normale Hochwasser vorbereitet ist.

Ihr persönlicher Umgang mit der Katastrophe wurde und wird teils hart kritisiert. Ihr Image der fürsorgenden Landesmutter hat gelitten. Haben Sie damals Fehler gemacht?

Was wir im Ahrtal erlebt haben, war eine Naturkatastrophe in einem Ausmaß, wie es Deutschland noch nie gesehen hat. Wir haben danach sehr intensiv analysiert, es ist danach sehr viel Analyse gemacht worden, was wir verändern müssen. Das war meine Aufgabe: Was muss man daraus lernen, was muss man tun. Ganz Deutschland stellt seinen Hochwasserschutz neu auf, weil wir wissen, dass sich die Zeiten geändert haben und wir auch mit solchen Katastrophen rechnen müssen.

Viele Menschen im Ahrtal wünschten sich eine Entschuldigung, persönlich, von Ihnen. Warum konnten Sie die nicht aussprechen?

Ich habe den betroffenen Menschen sehr oft mein tiefes Mitgefühl gezeigt. Es trifft mich nach wie vor bis ins Innerste, wenn ich an diese Naturkatastrophe denke. Ich denke, dass ganz viele Menschen auch wissen, dass das wirklich so ist. Aber ich kann mich nicht für eine Naturkatastrophe entschuldigen.

Hat die Ahrflut den Ausschlag gegeben für Ihre Entscheidung, früher aus dem Amt zu gehen?

Nein, wir haben bald den dritten Jahrestag der Flut. Ich war danach sehr oft im Ahrtal. Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, mit Akribie den Hochwasser- und Katastrophenschutz neu aufzustellen und auch den Wiederaufbau zusammen mit vielen anderen Beteiligten zu gestalten und zu begleiten. Diese Aufgabe habe ich erfüllt, und sie wird auch mit meinem Nachfolger Regierungsschwerpunkt bleiben. Das hat nichts mit meiner Entscheidung jetzt zu tun.

Ist ein Comeback vorstellbar? Sie wurden in der SPD immer wieder für allerhöchste Ämter gehandelt.

Nein, das ist ausgeschlossen. Ich möchte keinen Vollzeit- und auch keinen Halbzeitjob mehr machen.