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Interview mit Israels Botschafter„Dieser Hass und diese Ideologie sind tief verwurzelt“

Lesezeit 7 Minuten
Ron Prosor, Botschafter von Israel in Deutschland

Ron Prosor, Botschafter von Israel in Deutschland

Der Botschafter von Israel, Ron Prosor, kritisiert das Schweigen von Staaten und Organisationen nach den Gräueltaten der Hamas.

Ron Prosor gilt als einer der erfahrensten Diplomaten Israels. Der 65-jährige Politikwissenschaftler, dessen Familie aus Berlin stammt, empfing in der derzeit hoch gesicherten Botschaft im Westen Berlins Rena Lehmann zum Interview.

Herr Botschafter, was hat sich seit dem 7. Oktober verändert?

Nach dem 7. Oktober wird der Nahe Osten nie wieder so sein wie zuvor. Der israelische Staat wurde 1948 gegründet, damit wir nie wieder solche Bilder wie in der NS-Zeit sehen müssen. Und doch ist es jetzt wieder passiert. Frauen wurden vergewaltigt und hingerichtet, Babys wurden brutal ermordet.

Warum war es nötig, ein 45-minütiges Video der Gräueltaten der Hamas zusammenzustellen und es Journalisten zu zeigen?

Wir haben die Pflicht, die Geschichte der Opfer zu erzählen. Viele Menschen verstehen nicht, was am 7. Oktober passiert ist. Meine Worte reichen nicht aus, um zu erklären, was die Terroristen getan haben. Es war ein Genozid. Wir befinden uns in einer Welt, in der Menschen dieses Massaker einfach leugnen. Aber da machen wir nicht mit. Israel steht in der ersten Reihe. Wir haben es mit Gegnern zu tun, bei denen der Westen erst gerade zu verstehen beginnt, wie problematisch sie sind.

Aber statt weltweiter Solidarität nehmen weltweit Antisemitismus und Israel-Hass zu.

Ich verstehe nicht, wie man die Hamas jetzt noch verharmlosen oder relativieren kann. Ihre Leute sagen seit Langem offen, dass sie Israel auslöschen wollen und dass sie Juden töten wollen. Wir haben das für leere Drohungen gehalten und geglaubt, dass durch Wohlstand und Perspektiven für die Palästinenser der Hass verschwindet. Aber nein, dieser Hass und diese Ideologie sind tief verwurzelt. Nicht nur in der Hamas, sondern in großen Teilen der palästinensischen Bevölkerung. Tausende haben bei der Vorbereitung des 7. Oktobers geholfen, indem sie Informationen weitergaben. Die Hamas hatte Pläne von jedem Haus und kannte jede Familie.

Die deutsche Bundesregierung unterscheidet sehr genau zwischen der palästinensischen Zivilbevölkerung und der Terrororganisation Hamas. Halten Sie diese Haltung für falsch?

Man muss sich schon klar machen, dass die Bevölkerung in Gaza nicht nur 2006 die Hamas gewählt hat, sondern diese Ideologie auch verinnerlicht hat. Unter denen, die am 7. Oktober Israelis abgeschlachtet haben, waren viele palästinensische Zivilisten. Viele, die in den Kibuzzim abgeschlachtet worden sind wie Vieh, haben ihr ganzes Leben für den Frieden gearbeitet. Der 7. Oktober ist eine Zäsur. Jetzt werden wir die Infrastruktur und die Führung der Hamas komplett zerstören. Wir können die Ideologie nicht zerstören, aber ihre Fähigkeiten, sie in die Tat umzusetzen.

UN-Generalsekretär Antonio Guterres hat Israel gerade ein beispielloses Töten von Zivilisten vorgeworfen.

Guterres war nicht einmal in der Lage, den Terrorangriff der Hamas ohne Wenn und Aber zu verurteilen. Wir haben Waffen und Tunnel in Krankenhäusern und UN-Einrichtungen gefunden. Wir zeigen Fotos und Videos davon. Wir zeigen, dass sie Abschussrampen in Moscheen und Schulen installiert haben. Und haben Sie dazu ein Wort der Verurteilung der Hamas durch die Uno gehört? Keinen Mucks.

Berichten zufolge steht ein Deal über den Austausch von palästinensischen Häftlingen gegen israelische Geiseln kurz bevor. Können Sie das bestätigen?

Die israelische Regierung hat einen Zeitplan für die Freilassung von Geiseln gebilligt: Innerhalb weniger Tage sollen mindestens 50 Geiseln, zunächst Frauen und Kinder, nach Hause zurückkehren. Das Ziel und die Perspektive ist, dass alle Geiseln freikommen. Bis es so weit ist, fordern wir, dass die Internationale Gemeinschaft und das Internationale Rote Kreuz Zugang zu allen Geiseln erhalten, Lebenszeichen sammeln und überprüfen, wie es den Geiseln unter gesundheitlichen und humanitären Gesichtspunkten geht. Ich bin stolz darauf, ein demokratisches Land zu vertreten, für das die Sicherheit von Frauen und Kindern eine so hohe Priorität ist. Dieser Zeitplan ist eine direkte Konsequenz der Bodenoffensive.

Die Angehörigen der Geiseln in Israel machen zunehmend Druck. Kann Israel gleichzeitig die Hamas ausschalten und die Geiseln retten?

Das ist das Dilemma. Wir können die Tunnel der Hamas nicht einfach sprengen, weil wir fürchten müssen, dass sich die Geiseln darin befinden. Das macht den Einsatz für unsere Soldaten sehr viel gefährlicher. Aber für uns als demokratischer Staat ist klar, dass die Frauen und Kinder unter den Geiseln Priorität haben. Wir werden eine Waffenruhe machen müssen – und die Hamas wird sie nutzen, um sich wieder aufzurichten. Ich glaube, dass keine Armee der Welt so moralisch vorgeht gegen einen Gegner wie diesen, der einfach nur bestialisch ist.

Trotzdem sterben dabei täglich auch palästinensische Frauen und Kinder.

Aber das hat nicht Israel zu verantworten, sondern die Hamas, weil sie Frauen und Kinder als menschliche Schutzschilde missbraucht. Diese Terroristen sind Lügner und sie wissen, wie man den Westen instrumentalisieren kann. Sie haben es fast geschafft, dass die Weltöffentlichkeit Israel beschuldigt hat, als am 17. Oktober das al-Ahli Arab Krankenhaus in Gaza beschossen wurde. Und die Hamas wird inzwischen ernsthaft als Quelle in Medien zitiert.

In Deutschland hat sich die Zahl antisemitischer Straftaten in den letzten Wochen vervielfacht. Tut die Bundesregierung genug, um Juden in Deutschland zu schützen?

Ich schätze es sehr, dass die Bundesregierung von Anfang an gesagt hat, dass Deutschlands Platz an der Seite Israels ist und, dass Kanzler Scholz und Ministerin Faeser eine entschlossene Politik verfolgen. Es ist das einzige Land Europas, dessen Kanzler, Außenministerin und Verteidigungsminister Israel nach dem 7. Oktober besucht haben. In Kürze wird auch Bundespräsident Steinmeier nach Israel reisen.

Spüren Sie diese Solidarität auch aus der deutschen Bevölkerung?

Es gibt viele Menschen, die uns unterstützen. Aber es gibt auch diejenigen, die schweigen. Muslimische Verbände haben die Taten der Hamas nicht klar verurteilt. Und ich vermisse die Solidarität der Kulturszene. Ich bin erschüttert, wie tief der Hass auf Israel offenbar reicht. Wo sind die Schriftsteller, die Musiker und Künstler, die sich zu Wort melden? Natürlich bin ich enttäuscht. Umso mehr freue ich mich über die, die Israel unterstützen: die Bundesliga hat sich klar bekannt, auch die vielen Menschen vor dem Brandenburger Tor haben ein sehr starkes Zeichen gesendet.

Seit 2015 sind viele junge Israelis nach Deutschland gezogen. Ändert sich das gerade?

Ich kann es ihnen nicht sagen. Ich sehe, dass 250000 junge Israelis aus der ganzen Welt nach dem 7. Oktober nach Israel zurückgekommen sind, um es zu verteidigen. Die Identifikation mit dem Staat Israel ist sehr stark, obwohl wir uns mit unserer Streitkultur normalerweise gegenseitig Herzinfarkte verursachen. Aber jetzt stehen wir zusammen, weil wir gegen diese Barbaren gewinnen müssen.

Wird Israel sich danach wieder aus dem Gaza-Streifen zurückziehen?

Ja, natürlich. Wir haben kein Interesse an Gaza. Wir haben es den Palästinensern überlassen, damit sie ein Singapur daraus machen. Wir haben ihnen Gewächshäuser gegeben, damit sie Tomaten anpflanzen können. Sie haben sie in Brand gesteckt. Wir werden politisch keinen Einfluss nehmen, aber militärisch müssen wir es. Wir können nicht zulassen, dass sich Gaza jemals wieder so bewaffnen kann.

Wurde der Konflikt in den vergangenen Jahren von den USA und Europa vernachlässigt?

Es stimmt nicht, dass nichts mehr unternommen wurde. Es gab die Abraham Accords, die für Israel wie für Palästinenser wichtig sind. Wenn wir mit unseren Nachbarn Frieden haben, hat das auch einen Einfluss auf sie. Die Palästinenser verhandeln nicht mit uns, weil sie denken, die Nachbarn halten den Druck auf Israel aufrecht. Wenn die Nachbarn Beziehungen zu Israel pflegen und Kontakte entstehen, profitieren davon auch die Palästinenser.

Teile der israelischen Regierung wollen die Todesstrafe für Terroristen wieder einführen. Inwiefern wird dieser Krieg das liberale Israel verändern?

Wir brauchen keine erhobenen Zeigefinger von außen. Die Demokratie in Israel ist sehr stark und wird die nötigen Diskussionen führen. Aber wir haben eine Nachbarschaft, die uns dazu zwingt, seit der Entstehung des Staates Israel um unsere Demokratie und unsere Freiheit zu kämpfen.