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Interview mit Greenpeace-ChefSind die globalen Klimaziele noch zu retten?

Lesezeit 4 Minuten
Sachsen-Anhalt, Griebo: Gas wird an einer mobile Fackelanlage abgebrannt. Weltweit nimmt das Bemühen um mehr Energieeffizienz zwar zu. Um Klimaziele zu erreichen, sind aber energischere Schritte nötig.

Sachsen-Anhalt, Griebo: Gas wird an einer mobile Fackelanlage abgebrannt. Weltweit nimmt das Bemühen um mehr Energieeffizienz zwar zu. Um Klimaziele zu erreichen, sind aber energischere Schritte nötig.

Greenpeace-Chef Martin Kaiser glaubt, dass die Weltklimakonferenz etwas bringen kann – wenn alle Beteiligten die Lage so ernst nehmen, wie sie ist. Ein Gespräch über Versäumnisse der Ampel, klimaschädliche Subventionen und Farbanschläge von Aktivisten.

Deutschland verfehlt die Klimaziele. Und nun? Das haben wir Martin Kaiser (kleines Foto) gefragt. Der Chef von Greenpeace Deutschland fliegt ohne schlechtes Gewissen nach Dubai. Jede ausgestoßene Tonne CO2 werde kompensiert, sagt er. Und ohne die Anwesenheit von Umweltschutzorganisationen verlöre der Klimagipfel jede Glaubwürdigkeit.

Herr Kaiser, wie glaubwürdig ist Deutschland noch als Vorreiter im Kampf gegen den Klimawandel?

Deutschland ist kein Vorreiter mehr. Wir sind zwar eines der wenigen Länder, die einen Fahrplan für Klimaneutralität haben. Gleichzeitig verfehlen wir aber vor allem wegen des Verkehrssektors unsere Ziele. Das völlig ambitionslose Agieren von Verkehrsminister Wissing ist ein Armutszeugnis. Die Lücke von 200 Millionen Tonnen beim Ausstoß von CO2 und das Aufweichen der Verbindlichkeit der Sektorziele im Klimaschutzgesetz sprechen eine deutliche Sprache. Umso wichtiger ist es, dass Bundeskanzler Olaf Scholz zur Weltklimakonferenz klare Signale sendet.

Welche Signale sollten das Ihrer Meinung nach denn sein?

Eine ganz klare Absage an fossile Energieträger, zum Beispiel. Deutschland muss jede finanzielle Unterstützung für andere Länder beim Bau von Infrastruktur, die der Verfeuerung von Kohle, Gas und Öl zugute kommt, einstellen. Abnahme- und Finanzierungsgarantien für Gas, wie mit dem Senegal oder Nigeria, darf es nicht mehr geben. Geld aus Deutschland sollte ausschließlich in den Ausbau erneuerbarer Energien fließen.

Wie sinnvoll sind denn überhaupt noch solche Konferenzen? Es ist immerhin schon die 28. ihrer Art, ohne dass man den Klimawandel aufgehalten hätte...

Das Pariser Klimaabkommen hat immerhin eine weltweite Dynamik ausgelöst, nach der sich alle Regierungen Gedanken darüber machen, wie sie Wirtschaft und Gesellschaft klimaverträglich umbauen wollen. Leider reichen die Beiträge der großen Treibhaus-Emittenten wie China, der USA und Europa bei Weitem nicht aus, um die Erderwärmung bei 1,5 Grad zu begrenzen. Das liegt auch daran, dass getroffene Beschlüsse ignoriert werden, zum Beispiel das in Glasgow vereinbarte Verbot, in anderen Ländern den Bau fossiler Infrastruktur zu fördern. Auch Deutschland muss damit endlich Ernst machen und aufhören, die Interessen der Öl- und Gasindustrie zu bedienen. Deswegen appellieren wir an Olaf Scholz, hier ein klares Signal zu senden und diese Politik zu beenden. Und zwar bevor er nach Dubai reist.

Nach dem Verfassungsgerichtsurteil zum Haushalt fehlen Deutschland mindestens 60 Milliarden Euro im Kampf gegen den Klimawandel. Wie soll die Ampel-Koalition die Finanzierung der grünen Transformation jetzt noch auf eine solide Basis stellen?

Das Urteil war ein herber Rückschlag für den Klimaschutz in Deutschland. Die Ampel darf jetzt nicht den Fehler machen, sozial-ökonomische Fragen gegen den Klimaschutz auszuspielen. Wir brauchen Investitionen in die Zukunft, das sagt selbst die Mehrheit führender Ökonomen und Ökonominnen, auch wenn Finanzminister Lindner das nicht hören will. Investitionen in die grüne Transformation kurbeln die Wirtschaft an und sind nötig, damit auch unsere Kinder und Enkel noch gute Lebensbedingungen vorfinden. Deshalb muss es ein verfassungsrechtlich abgesichertes Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro für Klimaschutz und Innovation geben; ähnlich dem für die Bundeswehr.

Woher soll das Geld dafür kommen?

Ein Sondervermögen könnte finanziert werden über eine umweltbezogene Vermögensabgabe und über die Abschaffung klimaschädlicher Subventionen, wie beispielsweise der steuerlichen Vergünstigung von Diesel. Das passt doch überhaupt nicht mehr in die Zeit. Allein über den Abbau dieser Subventionen kämen schon rund 65 Milliarden Euro zusammen. Außerdem ließen sich die Verteidigungsausgaben jenseits von Sondervermögen und Ukrainehilfen einfrieren. Die Investitionen, die wir heute tätigen, sind die Gelder, die wir in der Zukunft sparen werden, wenn es zu einer verheerenden Klimakrise mit all ihren Folgen für das Leben und die Gesundheit der Menschen kommt.

Der Abbau von Subventionen bedeutet aber auch oft, dass auf die Bürger zusätzliche Kosten zukommen. Schwindet damit für den Klimaschutz nicht der Rückhalt in der Bevölkerung?

Unsere Gesellschaft ist krisenmüde, das stimmt. Umso wichtiger ist es, die Menschen bei der sozial-ökologischen Transformation zu unterstützen, die sich das ansonsten nicht leisten können. Deshalb schlagen wir vor, dass die über die nächsten Jahre steigenden Einnahmen aus dem Emissionshandel, über ein Klimageld an die Bürger pro Kopf zurückgezahlt werden. Das wären etwa 200 Euro pro Jahr mit steigender Tendenz. Eine konsequente Klimapolitik muss die Lebenswirklichkeit der Menschen berücksichtigen.

Wenn sich Aktivisten im Berufsverkehr auf die Straße kleben oder das Brandenburger Tor mit Farbe beschmieren, bringen sie Klimaschutz in Verruf und die Bürger wenden sich ab. Sollte sich Greenpeace von solchen Protestformen klarer distanzieren?

Die Vergangenheit hat gezeigt, dass Umweltaktivisten dafür sorgen, dass sich die Mühlen der Politik überhaupt drehen. Ohne das Engagement von Klimaaktivisten würden wir wohl auf eine Erderwärmung von fünf, sechs Grad zusteuern. In Zeiten zunehmender gesellschaftlicher Polarisierung, ist es aber auch wichtig, sich zu fragen, ob der Adressat des friedlichen Protestes klar erkennbar ist, ansonsten bleibt der Protest für viele Bürger unverständlich und erreicht das Gegenteil von dem, was beabsichtigt ist. Jeder Aktivist und jede Aktivistin fragt sich also immer erneut, ob die Form des Protests dem gemeinsamen Anliegen des Klimaschutzes dient.