Der britische Fernsehkoch Jamie Oliver spricht im Interview mit Susanne Ebner darüber, weshalb seiner Meinung nach deutsche Kinder in der Schule unbedingt besseres Essen erhalten sollten.
InterviewJamie Oliver gibt Tipps für ein stressfreies Weihnachtsmenü
Herr Oliver, Ihr Buch „Simply Jamie“ soll zeigen, dass Kochen schnell und einfach gehen kann. Warum die Eile? Ist es schwerer geworden, die Menschen an den Herd zu bewegen?
Tatsächlich wurde in Großbritannien noch nie so wenig gekocht wie heute. Wir können das unter anderem deshalb so genau sagen, weil wir wissen, was die Leute kaufen, und das sind keine frischen Zutaten wie Gemüse, sondern vor allem Gerichte zum Aufwärmen und vorverarbeitete Lebensmittel. Vor 25 Jahren, als ich mit meiner ersten Show „The Naked Chef“ (Der nackte Koch) auf Sendung ging, nahmen sich die Menschen im Königreich im Schnitt 46 Minuten pro Tag Zeit zum Kochen. Vor der Pandemie waren es im Durchschnitt 23 Minuten und laut aktuellen Daten sind es heute schätzungsweise noch 19 Minuten.
Woran liegt das?
Die Menschen haben wenig Selbstvertrauen, wenn es ums Kochen geht. Viele haben schließlich weder in ihrem Elternhaus noch in der Schule gelernt, wie man das macht – das gilt für Großbritannien genauso wie für Deutschland. Wenn sie es dann versuchen, haben sie schnell das Gefühl, gescheitert zu sein, weil es nicht gut genug schmeckt. Dann bestellen sie lieber etwas. In der Hierarchie der Entscheidungen steht überdies immer die Bequemlichkeit an erster Stelle, dann kommt der Preis und am Schluss steht dann erst die Gesundheit.
Das Interesse an Informationen zum Thema Essen und Kochen scheint aber ungebrochen.
Klar, das Publikum ist begeistert vom Essen, es kennt die Haute Cuisine, aber die Grundgrammatik ist nicht vorhanden. Darüber mache ich mir wirklich Sorgen. Alles, was mit Kochen, Kunst, Musik oder ähnlichem zu tun hat, geht schnell für immer verloren. Daher lautet im Grunde mein Appell an die Öffentlichkeit: Ihr könnt das! Es gibt Nudelgerichte, die man in wenigen Minuten kochen kann und eine Hühnerbrust, eine Zutat, die oft immer gleich serviert wird, kann neu und interessant zubereitet werden. Und das ist dann viel leckerer, gesünder und günstiger als alles, was man mit einer App bestellen kann.
Das deutsche Schulessen steht aktuell massiv in der Kritik. Je nach Schule ist es gewissermaßen Glückssache, ob ein Kind eine gesunde Mahlzeit bekommt oder eben nicht.
Deutschland hat viel zu bieten. Die Menschen und Unternehmen sind innovativ, technisch versiert und kreativ. Aber in den politischen Entscheidungen spiegelt sich das nicht unbedingt wider. Veränderungen lassen auf sich warten. In Deutschland gehen mehrere Millionen Kinder an rund 190 Tagen pro Jahr zur Schule. Das ist doch eine riesengroße Chance, um positiv auf die Ernährung des Nachwuchses einzuwirken und damit in die Zukunft des Landes zu investieren. Wenn ein Kind ein gutes Frühstück und eine ausgewogene Mahlzeit bekommt, hat es bessere Möglichkeiten, gute Noten zu erreichen, die Schule gesünder zu verlassen und als Erwachsener und Elternteil länger gesund zu bleiben. Das wäre die beste Verwendung deutscher Steuergelder.
Was könnte man über das Essen hinaus in Schulen noch verändern, um das Ernährungsverhalten zu verbessern?
Wenn ein Kind in Deutschland die Schule verlässt, sollte es zehn wichtige Rezepte kochen können, die Grundlagen der Ernährung verstehen und wissen, woher die Lebensmittel kommen und wie sie auf den Körper wirken. Das Wichtigste ist, dass sie lecker kochen können, egal ob sie arm, reich sind oder der Mittelschicht angehören. Denn Übergewicht oder gesundheitliche Probleme hängen oft mit der Ernährung zusammen. Wenn ich also für Bildung zuständig wäre, würde ich hier einen Schwerpunkt setzen. Aber ich glaube, dass Lebenskompetenzen in den vergangenen 30 Jahren vernachlässigt wurden, und ich verstehe nicht wirklich, warum. Ich glaube, sie werden als Luxus angesehen und nicht als Notwendigkeit.
Deutsches Essen hat in Großbritannien nicht unbedingt den besten Ruf. Wie sehen Sie das?
Ich finde, die deutsche Küche ist sehr, sehr gut und ihre Geschichte ist wirklich spannend. Es gibt etwa im Schwarzwald und in Bayern, aber natürlich nicht nur dort großartige Köche und faszinierende Gerichte. Aber ich glaube, Deutschland hat sich – wie Großbritannien im Übrigen auch – in der Vergangenheit falsch vermarktet. Ich meine, schauen Sie sich die Italiener an und die Begeisterung für ihre Tomatengerichte. Die Tomaten sind nicht einmal ihre eigenen. Sie kamen aus Südamerika nach Europa. Vor 400 Jahren gab es in Italien nichts Rotes zu essen, alles war braun. Aber die Italiener haben viel Energie investiert, um sich besser zu vermarkten. Vielleicht können die Deutschen und auch die Engländer davon etwas lernen.
Haben Sie einen Tipp, wie man das Weihnachtsessen stressfrei gestalten kann?
Meine Philosophie für Weihnachten ist, dass man so geplant vorgehen muss wie bei der Landung eines Flugzeugs. Man muss wissen, was man kochen will, wie lange es dauert und dann werden die Vorbereitungen von diesem Zeitpunkt aus rückwärts getaktet. Man kann kleine Dinge im Voraus zubereiten und sie im Kühlschrank oder in der Tiefkühltruhe aufbewahren, etwa bunte Eiswürfel für Cocktails. Der Tisch kann schon gedeckt werden. Im Prinzip ist wirklich vieles im Vorfeld möglich. Auch wenn man von Natur aus eher chaotisch ist, kann man sich mit einer guten Organisation später mehr Zeit nehmen, um sich mit der Familie zu entspannen, und das Essen schmeckt dann auch deutlich besser. Denn bei einem Abendessen, bei dem der Gastgeber gestresst ist und schwitzt, weil er zu viel zu tun hat, möchte niemand dabei sein.