Susanne Lin-Klitzing, Vorsitzende des Philologenverbandes, erklärt, warum Schüler in Zeiten von KI mehr und nicht weniger wissen müssen.
Interview mit ExpertenWerden Hausaufgaben dank ChatGPT überflüssig?
Die Gedichtanalyse? Schreibt ChatGPT in wenigen Sekunden. Lohnen sich Hausaufgaben dann überhaupt noch? Und wie sollten Schulen auf den Einsatz von Künstlicher Intelligenz reagieren? Darüber spricht die Vorsitzende des Deutschen Philologenverbandes im Interview mit Stefanie Witte.
Frau Prof. Lin-Klitzing, ChatGPT lässt sich mittlerweile aus Schulen nicht mehr wegdenken. Wird jetzt nur mehr geschummelt oder hat Künstliche Intelligenz (KI) auch Vorteile?
Ich glaube nicht, dass da beim Schummeln gerade etwas ganz Neues passiert. Natürlich kann die KI erheblich mehr als das Lexikon, das früher während einer Prüfung auf der Toilette deponiert wurde. Aber auch bei Hausarbeiten haben immer schon Eltern mit korrigiert, und Schüler haben für Klassenarbeiten Spickzettel geschrieben. Ich glaube, die technische Entwicklung wird dazu führen, dass künftig mündliche Beiträge von Schülerinnen und Schüler eine größere Rolle spielen werden. Eigentlich kann nur noch seriös bewertet werden, was vor den Augen der Lehrkraft geäußert und produziert wird.
Also gute Nachrichten für die Schüler: keine Hausaufgaben mehr?
Das kommt darauf an, wie man Hausaufgaben betrachtet. Wenn es darum geht, Aufgaben zu erledigen, die auch die KI übernehmen kann, dann ja. Wenn Hausaufgaben der Übung dienen sollen, kann die KI helfen und zum Beispiel als Fremdsprachencoach agieren. Ich sehe kein grundsätzliches Ende der Hausaufgaben, aber die Art der Aufgaben wird sich verändern. ChatGPT hat da allerdings keinen Platz. Zentrale Voraussetzung für den Einsatz von KI in Schulen sind datenschutzkonforme Varianten. Die gibt es aber auch schon.
Gibt es weitere Möglichkeiten, KI sinnvoll zu nutzen?
Wir wissen, dass viele Schüler mit KI für Klassenarbeiten lernen. Um gehaltvoll in einen Dialog mit dem Programm treten zu können, muss man das richtige Prompten lernen, also lernen, präzise Anweisungen zu formulieren. Das kann man im Unterricht machen, denn daran erkennt man schon, wie gut Schülerinnen und Schüler Inhalte beherrschen. KI kann dann helfen, bestimmte Aufgaben zu erledigen. Aber der Sinn von Schule ist doch letztlich, dass Schülerinnen und Schüler in der Auseinandersetzung mit Inhalten reifen. Das kann man nicht an die KI delegieren.
Welche Vorteile hat KI für Lehrer?
Bei der Didacta gab es viele Anwendungsbeispiele. Aus Kostengründen sind Schulbücher zum Beispiel häufig veraltet, so dass sich Lehrkräfte dann online Lehrmaterial suchen. Nun hat der Schulbuchverlag Cornelsen KI und Schulbuchinhalte so kombiniert, dass Lehrer beispielsweise Arbeitsblätter auf unterschiedlichen Niveaus generieren lassen können.
Schwierig wird es, wenn mit KI fehlerhafte oder komplett erfundene Inhalte produziert werden. Wie können Schulen darauf vorbereiten?
Erziehung ist immer eine herausfordernde Aufgabe. Das gilt auch in Bezug auf den kritisch-konstruktiven Umgang mit KI. Man darf hier nicht dem Glauben verfallen, man müsste weniger wissen. Im Gegenteil: Ich glaube, in Zeiten von KI müssen Schüler und Lehrkräfte noch mehr wissen als zuvor, um KI-Informationen einordnen und prüfen zu können.
Um Software nutzen zu können, braucht es Hardware. Wenn man Schulen besucht, hat man bisweilen das Gefühl, in einem Museum für technische Evolution zu stehen. Da staubt der Fernseher neben dem Smartboard zu, stationäre PCs neben einem Beamer. Wie sinnvoll ist es, Schulen mit neuen Geräten zu fluten, die dann zwei Jahre später keiner mehr nutzt?
Die Beschaffung von Technik war bislang nicht nachhaltig. Das ist einer der Fehler des Digitalpakts eins. Ich plädiere dennoch für einen Digitalpakt zwei und auch für eine überbrückende Finanzierung zwischen diesen beiden Paketen. Künftig braucht es vor allem sinnvolle Leasing-Verträge für die Hardware und auch für Software. Gleichzeitig muss aber auch der IT-Support besser werden. Zudem müssen die Kommunen von Anfang an stärker einbezogen werden. Beim Digitalpakt eins haben Länder und Bund miteinander verhandelt; die Kommunen waren weitgehend außen vor. Die Kommunen sind aber die Schulträger und für die äußere Schulfinanzierung zuständig. Nur eine Anschubfinanzierung für IT-Stellen, die dann dauerhaft von den Kommunen übernommen werden müssen, hilft nicht.
Stichwort äußere Finanzierung: Es gibt Schulen, deren Klassenräume nicht barrierefrei zugänglich sind. An anderen brauchen Rollstuhlfahrer fast die gesamte Stunde, um eine Odyssee zur einzigen behindertengerechten Toilette zurückzulegen. Was ist eigentlich aus der Inklusion geworden?
Ich finde es unerträglich, dass Menschen im Rollstuhl im Jahre 2024 immer noch nicht selbstverständlich alle Wege in einem Schulgebäude zurücklegen können. Folgendes könnte helfen: Schulbau ist Aufgabe der Kommunen, sollte aber eine Bundesaufgabe sein. Ich bin zwar bekennende Föderalistin. Lehrpläne, Rahmenpläne, die Finanzierung der Lehrkräfte sind Sache des Landes. Aber die äußere Ausstattung wie Schulgebäude und Digitalisierung sollten zwecks gleichwertiger Bildungschancen in der finanziellen Zuständigkeit des Bundes liegen. Zudem müssen die Schulbaurichtlinien verändert werden.