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Interview mit DGB-Chefin„Die AfD ist eine arbeitnehmerfeindliche Bewegung“

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Yasmin Fahimi, Vorsitzende des Deutscher Gewerkschaftsbund

Yasmin Fahimi, Vorsitzende des Deutscher Gewerkschaftsbund

Die Politik der Ampel sei kein Konjunkturprogramm für Populisten, sagt Yasmin Fahimi. Was also begünstigt deren Aufstieg? Thomas Ludwig sprach mit der Chefin des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB).

Frau Fahimi, angesichts der Umfragewerte wirkt die Politik der Ampel wie ein Konjunkturprogramm für die AfD. Teilen Sie diesen Eindruck?

Ganz und gar nicht, eine solche Analyse greift viel zu kurz. Man kann der Bundesregierung ja keine Untätigkeit vorwerfen. Sie hat uns 2022 vor den potentiell schlimmen Folgen einer Energiekrise geschützt. Sie hat Entlastungspakete auf den Weg gebracht. Sie hat viele Regierungsversprechen eingehalten und damit für eine Reihe von Verbesserungen gesorgt: bei der Erwerbsminderung, beim Wohngeld, mit einem höheren Grundfreibetrag bei der Steuer, höheren Kinderzuschlägen oder durch verbesserte Pflegekostenzuschläge.

Aber?

Die Regierung steht sich selbst auf den Füßen, wenn sie politische Maßnahmen klar ankündigt, dann aber wieder relativiert. Warum die Bürger beispielsweise noch immer nicht mit dem versprochenen, längst überfälligen Klimageld von den wieder steigenden Energiekosten entlastet werden, ist mir nicht verständlich – insbesondere, wenn die Strompreisbremse nicht mehr verlängert wird, wie von uns gefordert. So etwas sorgt für Verunsicherung und Ärger bei den Menschen. Die AfD lebt davon, ja. Und sie peitscht den Frust gegenüber der Demokratie ganz allgemein dann noch richtig an. Das besorgt mich sehr. Für uns bleibt die AfD eine antidemokratische, arbeitnehmerfeindliche und gewerkschaftsfeindliche Bewegung.

Das müssen Sie bitte erklären.

Wir wissen beispielsweise, dass sich die AfD immer schon gegen faire Mindestlöhne ausgesprochen hat und sich einer stärkeren Tarifbindung entgegenstellt. Die Partei will grundsätzlich weniger Staat und mehr Markt. Das läuft am Ende darauf hinaus, Arbeitnehmerrechte zu destabilisieren und den Sozialstaat abzubauen. Das ist arbeitnehmerfeindlich.

Trotz anhaltend hoher Umfragewerte für die AfD fordern Unionspolitiker Neuwahlen. Ist das nicht ein Spiel mit dem Feuer?

Das Gerede von Neuwahlen ist purer Populismus. Es ist die Aufgabe der Opposition, die Regierung zu kritisieren, ja. Aber auch konstruktiv mitzuwirken, wenn es um übergeordnete Belange des Landes geht. Und die sind in dieser Zeit von Krisen, Krieg und Investitionsstau nach wie vor groß. Ich habe keinen Zweifel daran, dass die Ampel-Koalition bis zum Ende der Legislatur Bestand hat. Aber sie ist gut beraten, nicht nur ihre Kommunikation zu verbessern, sondern sich auch strategisch besser zu fokussieren. Vielleicht wird sie so zur „Fortschrittskoalition“, die sie sein wollte.

Was erwarten Sie von der Ampel-Koalition für dieses Jahr?

Ich erwarte, dass die Bundesregierung dafür Sorge trägt, dass wir stabile Löhne behalten und sie durch entsprechende Tarifverträge absichern können. Deshalb muss die Bundesregierung endlich das Tariftreuegesetz beschließen, damit öffentliche Aufträge und Gelder nur noch an Unternehmen fließen, die faire Löhne nach Tarif bezahlen. Die anhaltende Tarifflucht führt durch fehlende Steuereinnahmen, fehlende Sozialabgaben und fehlende Kaufkraft zu volkswirtschaftlichen Schäden in Höhe von 130 Milliarden Euro pro Jahr! Zudem müssen wir unsere Wirtschaft stärken. Wir brauchen eine Dämpfung der Energiepreise. Und wir haben einen riesigen Investitionsstau, der aufgelöst werden muss. Ansonsten wird es nicht gelingen, die vor uns liegenden Jahrhundertaufgaben zu meistern.

Wie soll das finanziert werden?

Das wird nicht allein über den Regelhaushalt gelingen. Der Schuldenbremse fehlt eine goldene Regel, die unterscheidet zwischen laufenden Ausgaben und notwendigen Bestandsinvestitionen einerseits und außergewöhnlichen Investitionen mit Blick auf die Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft andererseits. Wir brauchen also eine Reform der Schuldenbremse. Wenn es dafür keine politische Mehrheit gibt, braucht es zumindest ein Sondervermögen im Grundgesetz, also eine Sonder-Nettokreditaufnahme, zu der sich Regierung und Opposition zusammenraufen sollten. Ohne zusätzliche Investitionen wird die Transformation nicht ohne Schaden gelingen; dann verspielen wir die Zukunft künftiger Generationen.

Sehen Sie eine Schieflage der Sozialpartnerschaft?

Absolut, nur noch jeder zweite Beschäftigte ist durch Tarifverträge geschützt. Nach der Sozialpartnerschaft rufen die Arbeitgeber gern, wenn es Krisen gibt und es gilt, der Wirtschaft unter die Arme zu greifen. Sozialpartnerschaft ist aber keine Einbahnstraße. Am Ende geht es um die gerechte Verteilung eines gemeinsam erwirtschafteten Wohlstands. Darauf basierte stets der wirtschaftliche Erfolg Deutschlands. Nicht zuletzt wegen einer erfolgreichen Sozialpartnerschaft in der Vergangenheit haben wir im internationalen Vergleich auch weniger Streiktage als beispielsweise Italien, Frankreich oder Spanien. Eine funktionierende Sozialpartnerschaft hilft also dabei, natürliche Interessenkonflikte zwischen Arbeitgebern und Beschäftigten durch Mitbestimmung und Tarifverträge zu befrieden.

Sehen Sie ein neues Selbstbewusstsein bei Beschäftigten und Gewerkschaften?

Das vergangene Jahr hat gezeigt, dass wieder mehr Beschäftigte bereit sind, ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Das wird, glaube ich, auch für 2024 gelten. Es stehen Tarifverhandlungen in verschiedenen Branchen für insgesamt rund 12 Millionen Beschäftigte an. Und durch Umfragen wissen wir, dass es für Gewerkschaften einen Vertrauensgewinn gibt, anders als bei anderen Organisationen, die in der Krise Vertrauen verlieren. Das schlägt sich auch in den Mitgliederzahlen einiger DGB-Gewerkschaften nieder. Die aktuelle Bilanz veröffentlichen wir in ein paar Wochen. Was wir schon wissen: Die Bereitschaft der Beschäftigten, für ihre Interessen zu kämpfen, ist in den vergangenen Krisenjahren gestiegen.