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Interview mit BBB-Chefin van der Plas„Menschen wollen gesehen und gehört werden“

Lesezeit 7 Minuten
In kürzester Zeit enorm populär geworden: Caroline van der Plas

In kürzester Zeit enorm populär geworden: Caroline van der Plas

Anwältin der vergessenen Mitte oder Populistin? Caroline van der Plas und ihre Partei BBB könnten in den Niederlanden bald mitregieren.

Sie ist das personifizierte Gegenteil eines glatten Politprofis: Caroline van der Plas. Die 56-Jährige will die niederländische Politik mit ihrer Bauern-Bürger-Bewegung BBB gründlich umkrempeln. Wenn im Novem- ber gewählt wird, könnte die Protestpartei auf Anhieb Teil der Regierung werden. Wie erklärt sich dieser Erfolg? Und lässt er sich auf Deutschland übertragen?

Frau van der Plas, die BBB ist eine junge politische Partei, der nun viele Beobachter Großes zutrauen bei der anstehenden Wahl im November. Was ist Ihr Ziel?

Ich habe kein spezielles Ziel in dem Sinne, dass wir bei der Wahl 20 oder 30 Sitze im Parlament holen müssen. Aber ich denke, dass wir sicher zwischen 20 und 25 Sitzen bekommen könnten. Das Rennen ist wirklich offen. Wir ziehen viele Wähler an, die mit der Politik der etablierten Parteien unzufrieden sind.

Bislang hat die BBB durch Sie nur einen Sitz im Parlament. 20 oder 25 Sitze könnten ausreichen, um stärkste Partei zu werden. Sie sind Gesicht und Stimme der BBB. Premierministerin wollen Sie aber nicht werden. Warum?

Der wichtigste Grund: Meine Arbeit im Parlament als Volksvertreterin macht mir sehr viel Spaß. Ich kontrolliere die Regierung, kann die Probleme der Menschen einbringen. Volksvertreterin sein ist der wichtigste Job, den es in der Politik gibt.

Oder haben Sie Angst vor Regierungsverantwortung?

Nein! Nochmal: Der Job im Parlament ist viel wichtiger und die Verantwortung viel größer als die eines Premierministers. Das höchste Amt der Niederlande ist Abgeordneter. Wir kontrollieren das Kabinett. Also mal ganz abgesehen davon, dass der Job des Premiers zu mir als Person auch überhaupt nicht passen würde.

Die BBB kam mit dem guten Abschneiden bei den Regionalwahlen im März aufs Radar deutscher Medien. In den Berichten hieß es dann oft, die BBB sei rechtspopulistisch. Trifft es das?

Das ist sehr platt. Daran merkt man, dass sich die Autoren nicht mit dem Programm unserer Partei oder mit unserer Arbeit im Parlament befasst haben. Das ist ein Framing.

Was sind Sie dann?

Wer anruft und fragt, dem würde ich sagen, wir sind sozial-rechts. Das bedeutet: Wir legen großen Wert auf eine gerechte Sozialpolitik: In Sachen Rente, Bildung oder Gesundheit. Wir setzen uns für eine gute Versorgung auch und gerade im ländlichen Raum ein. Da sind wir schon ziemlich links. Wahluntersuchungen haben gezeigt, dass uns Menschen deswegen wählen. Ökonomisch und ökologisch hingegen sind wir eher am rechten Rand: Nehmen wir die Stickstoff-Politik, die die niederländischen Bauern so wütend macht, weil sie Höfe schließen sollen. Da könnte man unsere Politik vielleicht rechts nennen. Ich nenne sie realistisch.

Sie sind bekannt dafür, dass Sie sagen, was Menschen denken. Ist das vielleicht eine Art positiver Populismus, den Sie etablieren?

Das trifft es besser als rechtspopulistisch. Ich stelle den Bürger in den Mittelpunkt. Der wählt mich ja schließlich auch. Deswegen muss ich mich um seine Belange kümmern. Es heißt über mich oft, ich spreche die Sprache des Volkes. Ich würde sagen: Ich rede normal. Offenbar haben die Menschen genau das vermisst. Ich sage: Der Staat ist für den Bürger da, nicht umgekehrt. Viele empfinden das derzeit anders. Die Politik muss vom Bürger aus gedacht werden.

In Deutschland wie in den Niederlanden wird viel über den Stadt-Land-Konflikt diskutiert. Die BBB gilt als Partei fürs „platte Land“, in dem die Mehrheit der Niederländer wohnt. Gegner ist die Metropolregion Randstad mit Amsterdam, Rotterdam, Den Haag...

Die Politik, die aus Den Haag heraus gemacht wird, richtet sich vor allem an Stadtbewohner. Aber was sind die Themen auf dem Land? Der Geldautomat, der abgebaut wird. Die Arztpraxis oder Schule, die schließen. Die Buslinie, die nicht mehr fährt. Die kleine Firma, die kaum über die Runden kommt. Das sind die Probleme der Menschen, um die sich Den Haag aber nicht kümmert. Es gibt da eine große Ungleichheit und die hat Folgen.

Inwiefern?

Das Land läuft leer, wie wir sagen. Die Menschen ziehen weg, aus den genannten Gründen. Was passiert jetzt? Menschen aus der Randstad, die einigermaßen gut verdienen, ziehen aufs Land. Die Häuserpreise sind für sie oft noch bezahlbar. Deswegen können sich nun wiederum Plattelanders, die eigentlich gerne bleiben wollen, diese Häuser nicht mehr leisten. Wir wollen diesen Teufelskreis durchbrechen. Die Regierung ist zu weit vom täglichen Leben der Bürger weg.

Sie scheinen den Unmut auf dem Land ganz gut zu kanalisieren. Was machen Sie anders?

Menschen wollen gesehen und gehört werden. Das passiert viel zu wenig. Stattdessen erstellt die Politik Modelle oder Tabellen und regiert ausgehend davon. Aber der Mensch lässt sich mit seinen Sorgen und Problemen nicht in eine Tabelle zwängen. Die Regierung ist viel zu technokratisch und bürokratisch geworden.

Nehmen wir an, die BBB regiert: Werden Sie nicht genauso enden?

Warum geht man in die Politik? Um das Leben der Menschen zum Besseren zu verändern. Wenn der Bürger sagt, dass genau das nicht passiert, dann müssen doch die Alarmglocken bei den Parteien schrillen. Wer nicht in Politiksprech verfällt, der gewinnt Vertrauen.

So lässt sich die Radikalisierung in der Politik und der Aufstieg rechtsextremer Kräfte stoppen?

Ja, aber nicht nur auf der rechten, sondern auch auf der linken Seite. Es wird zwar immer über extrem rechts gesprochen, aber auch am linken Rand gibt es radikale Kräfte. Was ist mit den vielen, vielen Menschen dazwischen? Das sind normale Leute. Die wollen arbeiten, nach Feierabend ein Bierchen trinken, ins Kino gehen, in den Urlaub fliegen. Wenn die sich zu Wort melden, heißt es oft, sie seien dumm oder verwirrt. Das sorgt dafür, dass sich die breite Mehrheit aus der Diskussion zurückzieht: „Meine Meinung interessiert ja eh niemanden“. Wenn die breite Mehrheit schweigt, füllen die radikalen Ränder diese Lücke mit Hass. Das macht mir große Sorgen. Ohne Dialog stirbt die Demokratie.

Es gibt noch eine weitere deutsch-niederländische Parallele: In der Tendenz wählen immer weniger Menschen sogenannte Volksparteien. Wird die kommende Wahl deren Zeitalter in den Niederlanden endgültig beenden?

Moment, da kommen neue Volksparteien, so wie die BBB! Die Zeit der traditionell in der Bevölkerung verankerten Volksparteien ist vorbei. Das ist richtig. Sie haben ihre Kernwerte verloren. Die Sozialdemokraten sind ein gutes Beispiel, sie heißen Partij van de Arbeid, wurden früher von Fabrikarbeitern gewählt. Die Partei hat sich für bessere Arbeitszeiten, Urlaubsanspruch und gerechtere Löhne eingesetzt. Machen die Sozialdemokraten noch Politik für Arbeiter? Nein. Heute sind sie eine Elitepartei. Früher wählten die Menschen mit wenig Geld eher links. Und wer viel Geld hatte, der wählte rechts. Das hat sich heute komplett umgedreht. Weil die Zahl der Menschen mit weniger Geld zunimmt, werden rechte Parteien erfolgreicher.

Würden Sie mit Rechtspopulist Geert Wilders eine Koalition nach der Wahl bilden?

Ich habe immer gesagt: Wir schließen im Voraus niemanden aus. Ich halte es nicht für sinnvoll, den Wählern vor der Wahl zu sagen: „Mit dem oder dem wollen wir nicht zusammenarbeiten“. Das entwertet doch die Wahl! Nach der Wahl muss man auf Basis der Entscheidung des Wählers als Parteien miteinander sprechen und verhandeln. Wir sprechen mit jeder Partei. Aber natürlich kann bei einer Verhandlung herauskommen, dass eine Koalition nicht möglich ist. So muss der Ablauf sein. Nicht andersherum.

Wo ist denn der Unterschied zwischen der BBB und Wilders?

Vor allem bei den Standpunkten zum Thema Islam und Migration. Da haben wir bei weitem nicht so radikale Forderungen wie Wilders. Der will die Grenzen schließen und niemanden mehr rein lassen. Und Muslime will er auch nicht in den Niederlanden haben. Wir sind zwar der Meinung, dass nicht einfach jeder in die Niederlande kommen sollte, aber unser Ansatz ist da deutlich konstruktiver.

Für Sie gehört der Islam zu den Niederlanden?

Das ist Unsinn. Jeder, der in den Niederlanden wohnt, hier zum guten Zusammenleben beiträgt und Steuern bezahlt, ist Teil der Niederlande. Da ist mir herzlich egal, ob jemand Muslim, Christ oder was auch immer ist. Im Grundgesetz ist die Religionsfreiheit verankert. Jeder soll glauben, was er will. Wir sind doch nicht mehr im Mittelalter.