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Interview

Tag der Pressefreiheit
Hat der Journalismus noch eine Zukunft, Herr Buschow?

Lesezeit 7 Minuten
EinMensch gibt einenText in den Text-Roboter ChatGPT ein.

Ein Mensch gibt einen Text in ChatGPT ein. Auch im Journalismus spielt KI eine größer werdende Rolle

Nicht nur autoritäre Regime setzen den Journalismus unter Druck, sondern auch die technische Entwicklung. KI-Tools können vieles erledigen, was bislang Medienprofis machten. Christopher Buschow ist trotzdem überzeugt, dass der Beruf noch zu retten ist.

Herr Buschow, Sie bilden als Professor Medienmacher im digitalen Journalismus weiter. Kann man mit dem Job in zehn und 20 Jahren wirklich noch gutes Geld verdienen?

Natürlich gehen wir davon aus, dass Journalismus eine Zukunft hat. Sie muss nur gestaltet werden. Wir setzen alles daran, unsere Studierenden genau dazu zu befähigen.

Dann müssen aber wieder mehr Menschen für Journalismus bezahlen, oder?

Tatsächlich war die Bereitschaft, allein für den Journalismus zu bezahlen, nie besonders stark ausgeprägt. Zeitungen waren und sind ein Bündelprodukt aus Rätseln, Traueranzeigen, Terminen und ja, auch journalistischen Artikeln – aber eben nicht nur. Und die Zeitung als haptisches Produkt, das auf dem Frühstückstisch, dem Kneipentresen oder in der Arztpraxis liegt, mit dem ich zum Nachbarn gehen kann, um einen Kommunikationsanlass zu haben. All das hat den ideellen und materiellen Wert der Zeitung ausgemacht.

Zeitungen steckten auch mal voller Werbeanzeigen…

Werbeeinnahmen werden den Journalismus nicht retten. Werbekunden gehen dorthin, wo die Aufmerksamkeit für ihre Produkte am besten organisiert wird. Facebook und Google schaffen das dank ihrer gewaltigen Daten-Reservoirs und des zielgenaue Targetings viel besser als Verlage.

Woher soll das Geld dann kommen?

Es gibt nach wie vor vielversprechende Möglichkeiten, als Verlag mit Journalismus Geld zu verdienen. Deep Journalism zum Beispiel, also fachjournalistische Nischenangebote für äußerst zahlungskräftige Kundengruppen. Ein weiteres Beispiel: Journalistische Angebote mehrerer Verlage über eine gemeinsame Plattform zugänglich machen, also eine Art Spotify für Nachrichten. Eine andere Option wären Bündel-Angebote von nationalen und regionalen Titeln oder Bündel von Inhalten mit zusätzlichen nicht-journalistischen Bestandteilen.

Es geht um Marktzugänge?

Genau, es geht immer um die Frage: Wo finde ich die Menschen, die bereit sind, zumindest für einige meiner journalistischen Angebote zu bezahlen? Ein triviales Beispiel: Jedes Jahr fahren Millionen Menschen für ihren Urlaub an die deutschen Ostsee- und Nordseeküste. Sie könnte man mit nützlichen Informationen ansprechen, etwa durch Kooperation regionaler Titel vor Ort und aus den Herkunftsgebieten. Das wird bislang kaum gemacht. Ich bin zuversichtlich, dass das Potenzial, zahlungswillige Leser zu gewinnen, größer ist, als bislang am Markt realisiert.

Sollten Verlage versuchen, ihre Inhalte auf Plattformen wie Facebook, TikTok und Co. zu platzieren?

Die Frage des Plattform-Engagements ist sehr knifflig geworden, denn die Landschaft der Ausspiel-Kanäle ist exponentiell gewachsen und verändert sich in rasantem Tempo weiter. Verlage müssen sich verdammt anstrengen, zu erkennen, auf welches Pferd sie setzen sollten und auf welches nicht. Hinzu kommt, dass auf vielen Plattformen für Medien schlicht kein Geld zu verdienen ist, etwa bei TikTok. Da kann es dann nur darum gehen, Aufmerksamkeit für Inhalte – insbesondere bei jüngeren Nutzern – zu schaffen. Journalistische Inhalte, das muss man sich klar vor Augen führen, haben das Nachsehen gegenüber Influencern und anderen Content Creators. Was auf solchen Plattformen funktioniert, steht noch dazu häufig in starkem Gegensatz zu seriösem Journalismus, der nicht polarisiert, der um Distanz und Objektivität bemüht ist und nicht den Autor ins Rampenlicht rückt.

Was ist mit Versuchen, verlagseigene Apps zu entwickeln, also in Konkurrenz zu Facebook oder Instagram zu treten?

Das ist eine spannende Frage. Der Versuch, die bestehenden Plattformen nachzuahmen, wäre ein Himmelfahrtskommando. Die Tech-Konzerne haben das Hundert- oder Tausendfache an Kapital, Daten, Expertise und Personal. Wozu ich aber definitiv rate, ist die Entwicklung von Apps, die für die Nutzer einen echten Mehrwert bieten, die etwas anderes leisten als die marktdominanten Anwendungen. Genau hier liegt eine große Chance für regional verortete Verlage.

Was müsste so eine Anwendung leisten?

Attraktiv wäre eine App, die die Menschen in ihrem Alltag begleitet, wie ein Freund, Helfer und Navigator. So eine App muss mir morgens in fünf Minuten die für mich relevantesten Nachrichten präsentieren, mich an Staus vorbeischleusen, mir sagen, was am Wochenende in meiner Stadt und in der Umgebung passiert. Mit der App sollten Nutzer Support bei der Auswahl von Kitas, Schulen und Altenheimen, von Ärzten, Sportvereinen und Restaurants bekommen. Kurzum: Eine verlässliche Orientierungshilfe im lokalen Alltag, die den Abonnenten einen deutlichen Informationsvorsprung verschafft. Das können und wollen weder TikTok noch Facebook oder X jemals werden.

Was hat das mit Journalismus zu tun?

Über all die notwendigen Informationen sollte eine Zeitungsredaktion verfügen – oder sie leicht beschaffen können. Die Journalisten wissen, was die Menschen in ihrer Stadt umtreibt. Eine Verlags-App, die es schafft, die Bedürfnisse der Menschen vor Ort besser zu adressieren, kann sich einen festen Platz in der Medien-Routine der Leute erwerben. Sie kann zu dem werden, was die Zeitung morgens im Briefkasten und die Tagesschau abends um 20 Uhr mal gewesen sind, aber heute nicht mehr sind: Mediale Angebote, die Halt geben und den Tag mitstrukturieren.

Kann Künstliche Intelligenz da helfen?

Umgekehrt: Ohne KI-Einsatz kann das nicht klappen. Die App muss ja ganz spezifische und unterschiedliche Formate liefern, und das auch noch äußerst flexibel. Von der Push-Nachricht über Staus und Streiks über maßgeschneiderte News-Updates etwa im Audio-Format bis zu kuratierten Artikel-Sammlungen und Newsletter, die zum Beispiel am Wochenende auch die überregionalen journalistischen Highlights aus der Zeitung empfehlen. Und ja: bei der Aussteuerung von Inhalten in verschiedenen Formaten und Darreichungsformen kann KI enorm helfen.

Bleibt es beim Smartphone, oder laufen wir in zehn Jahren alle mit KI-Brille rum?

Sprachassistenten wie Alexa haben sich jedenfalls nicht durchgesetzt. Die VR-Brille von Apple ist derzeit zu teuer, klobig und unpraktisch. Meine Prognose: Auch in zehn Jahren ist das Smartphone weiterhin das wichtigste Gerät für Medien- und Nachrichtenkonsum. Bis dahin ist es auch nicht durch Brain-Computer-Interfaces ersetzt worden, die uns in die Lage versetzen, etwas ausschließlich mit unseren Gedanken zu steuern. Die Entwicklungen sind allerdings so dynamisch, dass ich jedem Verlag dringend dazu raten möchte, sie genau zu beobachten, um im Zweifel schnell reagieren zu können. Und das unbedingt eng verzahnt mit der Redaktion, damit nicht von Tech-Nerds irgendetwas Tolles entwickelt wird, was aber in der Praxis nichts taugt.

Wird es in zehn Jahren noch geschriebene Artikel geben, oder werden Texte komplett von Audios und Videos verdrängt?

Die Mediennutzung der jungen Generation wird insgesamt sehr stark durch Bewegtbildinhalte geprägt. Daher erwarte ich, dass die Zeit, die mit reinem Text verbracht wird, abnimmt. Es mag für manche Journalisten bitter klingen: Das Zeitalter der Edelfedern geht zu Ende.

Wer schreibt die Texte?

Es besteht schon heute die Möglichkeit, Texte von generativer Künstlicher Intelligenz erzeugen zu lassen, die natürlich weiterhin gegengeprüft werden müssen. Im Moment sind KI-Texte noch zu wenig verlässlich. Schon bald aber werden intelligente Wissensmanagement-Systeme verfügbar sein, die aus dem, was ein Journalist herausgefunden hat, Texte, Audios und Videos generieren, Grafiken erstellen und vieles mehr. Die Entwicklung ist atemraubend. ChatGPT-5 wurde bislang nicht veröffentlicht. Manche spekulieren, es liege daran, dass die neue Version bereits zu gut ist. Für Journalisten bleiben wichtige Schlüsselaufgaben: Recherchieren, Interviews führen, mit allen Seiten sprechen, Sinneseindrücke vor Ort und Emotionen einsammeln, Fact Checking...

Wie bitte soll KI aus dem Stoff, den der Reporter in Kopf, Block und Handy hat, eine fesselnde Story machen?

Ich bin überzeugt: Die Art und Weise, wie wir Wissen organisieren, wird sich durch künstliche Intelligenz stark verändern. Eine beispielhafte Zukunftsvision: Statt eine Reportage selbst aufzuschreiben, kann der Journalist Wissenshäppchen in die KI werfen: Interview-Mitschnitte, Fotos, Videos, eigene, eingesprochene Eindrücke oder Schlussfolgerungen etc. Diese multimedialen Wissenshäppchen können in einem virtuellen Raum arrangiert werden, ihre Beziehungen untereinander werden ersichtlich. Die Software kann Widersprüche aufzeigen, passende Studien verlinken, Artikel aus dem eigenen Archiv dazu holen. Es entsteht eine Art visuelle Landkarte. Anschließend können daraus ganz verschiedene, auf die User-Gewohnheiten zugeschnittene Darreichungsformen – in Text, Audio, Video – erzeugt werden.

Ein Wissenshäppchen-Arrangement ist noch lange keine Erzählung, die eine bestimmte Wahrheit transportiert…

Stimmt. Das Narrativ sollte keinesfalls die KI machen. Der Job des Journalisten bleibt es, eine Strukturierung, eine Richtung vorzugeben. Die KI sollte journalistisches Arbeiten unterstützen, aber nicht ersetzen. Der Journalist muss immer Regisseur bleiben und dafür sorgen, dass die Wahrheit nicht zur Beliebigkeit wird. Wenn die KI selbst entscheiden würde, wem je nach Vorliebe welche Fakten präsentiert werden, geht der Gesellschaft die geteilte Öffentlichkeit verloren. Das wäre der direkte Weg in die post-faktische Gesellschaft, die sich niemand wünschen kann.