Die heftigen Proteste in Spanien halten an – eine Generalamnestie für Separatisten erzürnt das Volk.
Gegenwind für Pedro SánchezIn Spanien entlädt sich der Zorn der Straße
Spaniens alter und voraussichtlich neuer Premier, der Sozialdemokrat Pedro Sánchez, steht vor bewegten Zeiten. Seine angestrebte Mitte-links-Regierung ist noch nicht im Amt, aber sie hat jetzt schon mit heftigem Gegenwind zu kämpfen. Weil Sánchez sich die parlamentarische Unterstützung der katalanischen Separatisten mit einer Generalamnestie für deren Unabhängigkeitsaktivisten erkaufte, feuert die konservative Opposition aus allen Rohren: Sie spricht von „Verrat“, „Staatsstreich“ sowie „Wahlbetrug“ und schickt ihre Anhänger auf die Barrikaden.
Seit fast zwei Wochen kommt es zu Straßenschlachten in Madrid, bei denen Rechtsradikale mit Faschistengrüßen und Gewalt für hässliche Bilder sorgen. Jeden Abend ziehen Tausende zum Hauptquartier von Sánchez’ Sozialistischer Arbeiterpartei. „Pedro Sánchez ist ein Hurensohn“, skandieren sie. Oder: „Sánchez ins Gefängnis.“ Es beginnt stets friedlich, bis vermummte Jugendliche, die sich mit erhobenem rechtem Arm als Neonazis zu erkennen geben, Steine auf Polizisten und Journalisten werfen.
Hunderttausende in Madrid auf der Straße
Den vorläufigen Höhepunkt der Massenproteste erlebte das Land am Sonntagmittag, als Hunderttausende in Madrid und 50 weiteren Städten auf die Straße gingen. Zu den Kundgebungen aufgerufen hatten die konservative Volkspartei und ihr Verbündeter, die rechtsnationale Partei Vox. Volksparteichef Alberto Núñez Feijóo nannte den Amnestiepakt zwischen Sánchez und Separatisten „eine Schande“. „Nein zur Straflosigkeit“, forderte Feijóo.
Seine Konservativen hatten im Juli die Parlamentswahl knapp gewonnen. Doch anschließend scheiterten sie mit dem Versuch, zusammen mit der europaskeptischen Rechtspartei Vox eine Regierung zu bilden. Das war die Chance für Sozialdemokrat Sánchez. Er schaffte es, im Parlament eine absolute Mehrheit hinter sich zu scharen – vor allem mithilfe der separatistischen Parteien aus dem Baskenland und Katalonien.
Den Ausschlag für Sánchez’ Mehrheit geben die sieben Stimmen der katalanischen Unabhängigkeitspartei Junts per Catalunya („Zusammen für Katalonien“), in der der 2017 nach Brüssel geflüchtete Separatistenchef Carles Puigdemont die Fäden zieht. Als Gegenleistung stimmte Sánchez einer Amnestie für all jene Separatisten zu, die durch ihre Unabhängigkeitsaktivitäten in den letzten Jahren mit dem Gesetz in Konflikt kamen. Neben Puigdemont selbst werden Hunderte Aktivisten vom Straferlass profitieren – dies empört das konservative Lager.
Auch Olaf Scholz erlebt die Proteste
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bekam die Wut der Straße ebenfalls zu spüren. Er war am Wochenende zum Kongress der sozialdemokratischen Parteien Europas nach Malaga gereist, wo er mit Sánchez zusammentraf. Der Spanier ist Vorsitzender der Sozialistischen Internationalen, dem Weltverband der sozialdemokratischen Familie. Das Kongressgebäude wurde stundenlang von Demonstranten belagert, die gegen die „illegale Amnestie“ protestierten und riefen: „Spanien verkauft man nicht – man verteidigt es.“
Die Protestwelle wird vermutlich noch weitergehen und sich vor das spanische Abgeordnetenhaus verlagern. Am Donnerstag wird das Parlament über Sánchez’ neue Regierung abstimmen. Wenn alles nach Plan läuft, kann der Sozialdemokrat mit einer überraschenden absoluten Mehrheit von 179 Ja-Stimmen rechnen. Das sind acht Stimmen mehr als die konservative Opposition aus Volkspartei und Vox haben.
Für den 51 Jahre alten Sánchez, der in Spanien seit fünf Jahren regiert, ist dies ein weiterer Erfolg, der zu seinem Ruf beiträgt, auch in schwierigen Situationen einen Ausweg zu finden. Er war schon mehrmals politisch abgeschrieben und schaffte jedesmal die Wende: Erst holte er im Wahlduell mit Feijóo auf. Dann schaffte er es, aus Sozialdemokraten und dem Linksbündnis Sumar eine neue Minderheitsregierung zu formen. Jetzt aber steht Sánchez vor seiner wohl schwersten Aufgabe: Es muss ihm gelingen, Spaniens gespaltene Gesellschaft zusammenzuführen.