AboAbonnieren

Mühsame IntegrationGeflüchtete bekommen oft nur Hilfsjobs in NRW – Trotz teils hoher Qualifikation

Lesezeit 5 Minuten
Messe in einem Jobcenter in Köln. (Archiv)

Messe in einem Jobcenter in Köln. (Archiv)

Die Integration ukrainischer Kriegsflüchtlinge in den Arbeitsmarkt von Nordrhein-Westfalen gestaltet sich schwieriger als erwartet, trotz ihrer teils hohen Qualifikation.

Als nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine vor zweieinhalb Jahren mehr als 200.000 Kriegsflüchtlinge nach Nordrhein-Westfalen strömten, gab es zwischen Niederrhein und Ostwestfalen nicht nur jede Menge Hilfsbereitschaft und Solidarität. Anders als bei den großen Migrationsbewegungen 2015/16 zeigten sich auch die Arbeitsmarktforscher diesmal ungewohnt optimistisch.

Die ukrainischen Flüchtlinge seien auffallend gut qualifiziert, hieß es schnell. Hervorgehoben wurde der hohe Akademikeranteil und der Umstand, dass sich vor allem die gut situierten Städter auf den Weg nach Deutschland gemacht hätten und nicht die Landbevölkerung.

Trotzdem gestaltet sich die Integration von Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine in den nordrhein-westfälischen Arbeitsmarkt bis heute mühsamer als erhofft. Nach neuen Zahlen der NRW-Regionaldirektion der Arbeitsagentur suchen aktuell 57 Prozent der Ukrainer ohne Job eine Stelle auf Helferniveau, für die man keine Ausbildung braucht. Nur 36 Prozent der Arbeitssuchenden stehen sofort oder absehbar für eine qualifizierte Tätigkeit etwa im Baugewerbe zur Verfügung.

Anerkennung beruflicher Abschlüsse bleibt Hürde

Ein möglicher Zielberuf wird von den Arbeitsvermittlern anhand der vorhandenen Zeugnisse, persönlicher Kompetenzen, der Arbeitsmarktchancen und Wünsche der Betroffenen ins Auge gefasst. Die Ausgangslage der Ukrainer sei zwar besser als jene bei Arbeitssuchenden aus den acht häufigsten Asylherkunftsländern wie Syrien und Afghanistan, die zu 72 Prozent nur Helferaufgaben wahrnehmen können. Doch bleibe die Herausforderung, ihre Jobaussichten durch Qualifizierung oder zügige Anerkennung der beruflichen Ausbildung zu verbessern, erklärte ein Sprecher der Arbeitsagentur.

Wegen der auffallend hohen Akademiker-Quote unter den ukrainischen Flüchtlingen von bundesweit 46 Prozent hatte mancher auf eine schnellere Vermittlung auf offene Stellen gehofft. Zurzeit kümmern sich die 53 Jobcenter in NRW allein um knapp 93000 Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine, die ohne Umweg über das Asylleistungssystem direkt von der Arbeitsverwaltung betreut werden.

Deutsche Behörden deutlich langsamer, als das europäische Ausland

Diese sofortige Übernahme ins vergleichsweise hohe Bürgergeld-Regime sollte die Arbeitsmarktintegration beschleunigen. Dahinter steckte die Erkenntnis, dass andere EU-Länder wie Irland oder Portugal gute Erfahrungen mit einem „One-Stop-Verfahren“ gemacht hatten. Oft schon am Flughafen wurden dort Fragen von Unterbringung und Beschäftigung der Ukrainer geklärt. Der deutsche Behördenschimmel reitet da deutlich schwerfälliger.

Der sofortige Bürgergeld-Bezug ist aber längst in die Kritik geraten. Teile von Union und FDP wollen den Ukrainern diese Sozialleistung wieder streichen und verweisen auf die im EU-Vergleich schwache Beschäftigungsquote. Hoffnungen auf eine schnelle Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt hätten sich nicht erfüllt, heißt es.

Der Chef der NRW-Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit, Roland Schüßler, hat dagegen dieser Tage eine andere Rechnung aufgemacht. Tatsächlich käme man aktuell bei den Ukrainern nur zu einer Beschäftigungsquote von 25 Prozent, doch verfolge man bewusst einen Weg der langfristigen Integration mit Spracherwerb und Weiterqualifizierung. Andere EU-Staaten setzen Ukrainer auch unterhalb ihres Ausbildungsniveaus ein oder stellen mit einer „Arbeit first“-Strategie den Spracherwerb hintenan. „Aber wenn wir in ein paar Jahren noch einmal nachschauen, bin ich überzeugt, war unser Weg der nachhaltigere“, so Schüßler jüngst in der „Rheinischen Post“.

Neuorganisation: Schneller Prüfung von Vorqualifikationen

Dieser Ansatz hat sich offenbar bereits nach der Flüchtlingskrise 2015 bewährt. Wer Deutsch lernt und sich zur anerkannten Fachkraft weiterbildet, bleibt zwar zunächst länger „Kunde“ der Arbeitsverwaltung, steht aber womöglich hinterher fester auf eigenen Beinen. Dahinter steht zudem die traurige Erkenntnis, dass einfache Tätigkeiten im Reinigungsgewerbe oder im Lagereiwesen vergleichsweise leicht zu besetzen sind, der Nachwuchs für Facharbeiterstellen jedoch immer schwieriger zu finden ist. Schon heute gibt es in NRW ein krasses Missverhältnis zwischen Unternehmern, die dringend Mitarbeiter suchen, und ungelernten Arbeitslosen, die dafür nicht in Frage kommen. Rund 120000 der 150000 offenen Stellen in NRW richten sich schließlich an Fachkräfte.

Landesregierung und Arbeitsverwaltung hatten zu Jahresbeginn eine Neuorganisation der Job-Vermittlung von Flüchtlingen angekündigt. So soll deren Vorqualifikation schneller überprüft und eine berufsbegleitende Integration angestrebt werden. Tatsächlich konnten im ersten Halbjahr auch spürbar mehr Menschen in den ersten Arbeitsmarkt oder eine Ausbildung vermittelt werden – wenngleich auf bescheidenem Niveau.

Trotz mehr Vermittlungen: Situation bleibt schwierig

Gern übersehen wird in der aufgeregten Flüchtlingsdebatte das Gesamtbild: Seit dem Kriegsausbruch im Februar 2022 hat die Zahl der Beschäftigten mit ukrainischer Staatsangehörigkeit in NRW immerhin um knapp 35.000 zugenommen – darunter sind mehr als 25.000 in sozialversicherungspflichtigen Jobs. Ukrainische Männer im ersten Arbeitsmarkt sind vor allem auf dem Bau (21 Prozent) oder im verarbeitenden Gewerbe tätig (15 Prozent), Frauen vor allem in Heimen und im Sozialbereich (12 Prozent).

Doch das Geschäft für die Arbeitsvermittler bleibt zweifellos schwierig. 65 Prozent der Arbeitssuchenden aus der Ukraine sind Frauen, die oftmals mit kleinen Kindern nach NRW gekommen sind. Ohne Betreuungsplätze für den Nachwuchs ist es für sie kompliziert, Sprachkurse und Fortbildungen schnell hinter sich zu bringen. Eines aber versicherte eine Soziologin der Bundesagentur neulich: An der Motivation fehle es nicht. Mehr als 90 Prozent der Geflüchteten aus der Ukraine wollten auch tatsächlich hier arbeiten.


Netzwerk zur Integration Geflüchteter wächst

Die Zahl der Mitglieder im Netzwerk „Unternehmen integrieren Flüchtlinge“ ist weiter gewachsen. Wie die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) mitteilte, ist ein Floristikbetrieb aus Salzwedel in Sachsen-Anhalt die 4000. Firma im 2016 von DIHK und Bundeswirtschaftsministerium gegründeten Zusammenschluss. Er ist eigenen Angaben zufolge das größte Netzwerk in Deutschland, das sich für die Ausbildung und Beschäftigung von Geflüchteten engagiert. „Leider dauern die Verfahren bei der Einstellung von Geflüchteten oft zu lange und sie sind zu bürokratisch“, sagte der Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, Sven Giegold (Grüne). Die Ampel-Regierung habe vor, die Regeln „grundlegend zu vereinfachen“. (dpa)