Seit Jahren gibt es besorgniserregende Berichte über teils sehr gefährliche Attacken. Doch Forscher meinen, nun den Grund zu kennen.
Forscher legen Bericht vorRätsel um Orca-Angriffe scheint gelöst
Seit vier Jahren sorgen rätselhafte Attacken von Schwertwalen auf Segelboote vor der südspanischen Atlantikküste für Aufsehen. Die Meerestiere rammten seit 2020 rund 700 Boote und demolierten deren Ruderanlagen. Fünf Segelschiffe wurden so schwer beschädigt, dass sie sanken. Bisher blieb es bei Sachschäden, es gab keine Todesopfer. Doch viele Skipper wagen sich in der am meisten betroffenen Atlantikregion zwischen Gibraltar und dem spanischen Cádiz nicht mehr aufs offene Meer.
Nun hat eine internationale Expertenkommission eine kuriose Erklärung dafür gefunden, warum es die Orcas auf die Segler abgesehen haben: Die Säugetiere langweilen sich, da sie angesichts eines reichlichen Nahrungsangebots weniger Zeit mit der täglichen Futtersuche verbringen müssen. Die tonnenschweren und bis zu sechs Meter langen Meeresbewohner, die größten Vertreter der Delfin-Familie, vertreiben sich deswegen ihre freie Zeit damit, mit den Schiffen zu spielen, glauben die Forscher.
In dem Bericht, der nun von der Internationalen Walkommission (IWC) veröffentlicht wurde, heißt es: Dieses Verhalten habe sich möglicherweise entwickelt, weil die Tiere erstmals seit Generationen keine Probleme haben, sich zu ernähren.
Das liege daran, dass ihre Lieblingsspeise, der Blauflossenthunfisch, aufgrund von Fischereiverboten wieder in großer Zahl im Meer schwimme. „Dieser ganzjährige Überfluss bedeutet, dass es für die Wale offenbar nicht mehr notwendig ist, jedem Fisch nachzujagen.“ In früheren Jahrzehnten, als dieser wegen Überfischung im Mittelmeer und Atlantik vom Aussterben bedroht war, mussten die Orcas viel Zeit mit der Beutesuche verbringen. Doch nun ist ihr Tisch sozusagen gedeckt, der Jagdaufwand stark geschrumpft. Mit der Folge, dass sie Muße für eine andere Beschäftigung haben – fürs Spielen.
Man weiß, dass die lernfreudigen Schwerwale sich gern mit erlegten Beutetieren, Quallen, Algen oder auch Luftblasen vergnügen. Aber warum mit Segelschiffen und vor allem mit deren Ruderanlagen? Der angesehene Meeresbiologe Alex Zerbini, Leiter der IWC-Expertengruppe, vermutet, es könnte alles mit einem Zufall begonnen haben: Etwa mit einem neugierigen Jungtier, das von den Blasen im Kielwasser eines Segelschiffs angezogen wurde. „Vielleicht berührte dieses Tier das Ruder und fand, dass es Spaß machte, damit zu spielen“, erklärte Zerbini gegenüber der Washington Post. „Nach dem Spielen begann es, das Verhalten in der Gruppe zu verbreiten.“
Das passt zu der Beobachtung, dass es stets Jungtiere der iberischen Orca-Gruppe sind, die sich den Booten nähern. Nach Meinung der Wissenschaftler tun sie dies nicht, um die Menschen in Gefahr zu bringen oder deren Boote zu zerstören. Zerbini: „Wenn sie mit dem Ruder spielen, wissen sie nicht, dass sie das Ruder beschädigen und dass eine Beschädigung die Menschen betrifft.“
Die Experten betonen, dass es sich seitens der Orcas, die wegen ihrer Jagdmethoden auch Killerwale genannt werden, nicht um ein aggressives Verhalten gegenüber Menschen handelt. Die Vorfälle seien keine Angriffe, sondern „Interaktionen“. In der Tat kommen Killerwale, die im offenen Meer Menschen töten, nur in Science-Fiction-Romanen wie etwa Frank Schätzings Bestseller „Der Schwarm“ oder in Horrorfilmen vor.
Bei dem Verhalten der vom Aussterben bedrohten iberischen Orcas, eine Schwertwal-Gruppe von 35 bis 40 Tieren, könne es sich um eine vorübergehende „Modeerscheinung“ handeln, erklären die Wissenschaftler. So ähnlich wie jenes kuriose Spiel, bei dem Orcas vor Jahrzehnten im Nordostpazifik getötete Lachse als eine Art Trophäe auf dem Kopf balancierten. Auch dieser Verhaltenszug sei nach einer gewissen Zeit wieder verschwunden.
Zahl der Begegnungen ist rückläufig
Solange die iberischen Orcas nicht die Schiffe in Ruhe lassen, sollten die Segler vor der spanischen Atlantikküste einige Ratschläge der Forscher beherzigen. Dazu gehört, in der Risikozone in seichteren Gewässern zu segeln, denn Schwertwale bevorzugen größere Tiefen. Zudem im Fall einer Orca-Sichtung nicht anzuhalten, weil die Tiere meist nach einigen Kilometern die Verfolgung aufgeben. Und im Notfall die schützende Küste anzusteuern.
Diese Empfehlungen zeigen Wirkung: Die Begegnungen sind weniger geworden. Auch die Markierung von Schwertwalen mit Satellitensendern und täglich aktualisierte Risikokarten für die Segler trugen dazu bei, die Gefahr zu verringern. Zudem werden Abschreckungsmethoden getestet. Dazu gehört, dass vom Boot aus beschwerte Leinen ins Wasser gelassen werden, was die Tiere nicht mögen.
Rabiatere Abwehrmethoden, wie das Beschießen der Orcas sind übrigens verboten. „Wir wollen nicht, dass noch mehr Boote sinken, und wir wollen keine Menschen in Not sehen“, sagt der Vorsitzende der IWC-Expertengruppe, Alex Zerbini. „Aber wir wollen auch nicht, dass den Tieren Leid zugefügt wird. Wir müssen bedenken, dass dies ihr Lebensraum ist und wir ihnen im Weg stehen.“