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Rassistischer VorfallFalafel und Flecktarnhosen – ein Ortsbesuch in Grevesmühlen

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Der Ploggenseering in Grevesmühlen: Hier soll eine ghanaischstämmige Familie rassistisch beleidigt und körperlich angegangen worden sein.

Der Ploggenseering in Grevesmühlen: Hier soll eine ghanaischstämmige Familie rassistisch beleidigt und körperlich angegangen worden sein.

Die mecklenburgische Kleinstadt ist wegen eines rassistischen Vorfalls gegen Kinder in die Schlagzeilen geraten. Spurensuche in einer Region, in der Rechtsextremismus alltäglich ist – aber auch der Widerstand dagegen.

In Grevesmühlen kann man ganz wunderbar Falafel essen. Das Fladenbrot ist innen mit Hummus bestrichen und gefüllt mit frischem Tabouleh, Minze, den heißen Kichererbsenbällchen und Joghurtsauce mit Tahini. Mazen Kitmitto aus Syrien serviert diese und viele andere Köstlichkeiten seit einigen Jahren in seinem Lokal „Bouza Maz“ in der Wismarschen Straße. Bis dahin war es ein langer Weg, der nach seiner Flucht übers Meer nach Mecklenburg-Vorpommern noch lange nicht zu Ende war. Denn die Bereitschaft, dem Geflüchteten einen Laden zu vermieten, war, vorsichtig gesagt, zunächst nicht besonders groß.

Grevesmühlen und Umgebung sind seit Jahren einer der Hotspots rechtsradikaler Strukturen im Nordosten Deutschlands. Nicht weit entfernt liegt etwa Jamel, ein Dorf, das zielgerichtet von Rechtsextremen übernommen wurde. Der bundesweit bekannte Neonazi Sven Krüger lebt unter anderem dort. Über zehn Jahre unterhielt er auch in Grevesmühlen im Grünen Weg sein sogenanntes „Thinghaus“, einen rechtsextremen Szenetreff.

„Besorgte Bürger“ wurden bei Demos von AfD und Rechtsextremen unterstützt

Nur wenige Kilometer weiter, in Upahl, kam es im vergangenen Jahr zu massiven Protesten gegen eine geplante Flüchtlingsunterkunft. Die „besorgten Bürger“ wurden damals bei ihren Demonstrationen von der AfD unterstützt, der Jungen Alternativen, aber auch von einschlägig bekannten Rechtsextremen aus Jamel.

Und nun die beiden kleinen Mädchen mit ghanaischen Wurzeln. Sie und ihr Vater wurden am vergangenen Freitag am Ploggenseering von einer Gruppe Jugendlicher rassistisch beleidigt und wohl auch körperlich angegangen. Der Übergriff machte bundesweit Schlagzeilen, von der Ministerpräsidentin in Schwerin bis zur Bundesinnenministerin in Berlin zeigte sich die Politik entsetzt. Die Ermittlungen zum genauen Hergang laufen allerdings noch. Die Diskussionen in den Sozialen Medien kochen seitdem hoch, „Lügenpresse“ heißt es, weil die Medien die erste Polizeimeldung zitiert hatten, wonach es einen Tritt ins Gesicht des einen Mädchens gegeben haben soll.

Dieses Detail der Meldung hat die Polizei inzwischen korrigiert (s. Kasten) – dennoch wittern manche nun hinter der gesamten Berichterstattung über den Vorfall eine Verschwörung. Dass es zu rassistischen Beleidigungen seitens der Jugendlichen und auch zu einem Handgemenge gekommen ist, scheint dabei allerdings sicher. Mindestens zwei der mutmaßlichen Täter sollen einschlägig polizeibekannt sein. Videos, die in Sozialen Netzwerken kursieren, zeigen Jugendliche in Flecktarnhosen bei der Auseinandersetzung mit der Familie.

Überhaupt, der Flecktarn: Er ist häufig zu sehen in Grevesmühlen. Männer tragen entsprechende Hosen in der Altstadt beim Bummeln, nahe der Siedlung am Ploggenseering fährt ein Kind auf seinem Fahrrad mit Bundeswehrjacke und Deutschlandfahne vorbei. Die AfD ist hier bei der Europawahl vor anderthalb Wochen mit gut 28 Prozent stärkste Kraft geworden. Bei der Kommunalwahl allerdings hielt die CDU mit deutlichem Vorsprung die Stellung.

Nach dem rassistischen Vorfall am Freitagabend hatten sich rund 200 Bürger zu einer Demonstration auf dem Marktplatz zusammengefunden. Es gibt ein Bündnis „Grevesmühlen für alle“, in dem sich auch die Pastorin Fabienne Fronek engagiert. Die 34-Jährige stammt aus dem gut 60 Kilometer entfernten Hagenow und ist nach ihrem Studium in ihre mecklenburgische Heimat zurückgekehrt – zusammen mit ihrem schwarzen Freund. „Er ist Amerikaner“, sagt sie, „und hat sein ganzes Leben lang immer wieder Rassismus erlebt.“

Nach dem Fußballspiel nimmt man nicht denselben Zug wie gewaltbereite Fans

Dass man sich hier in bestimmten Gegenden abends unsicher fühlt, nach einem Fußballspiel mit gewaltbereiten Fans nicht denselben Regionalexpress nimmt, dass man bei Behörden teilweise anders behandelt und in der Öffentlichkeit manchmal komisch angesehen wird, wenn man nicht weiß ist – das alles kennen sie und ihr Freund auch aus anderen Gegenden in Deutschland zur Genüge. Es sind die vielen kleinen, alltäglichen Rassismen – etwa wenn jemand davon ausgeht, ihr Freund verstehe die Sprache nicht, nur weil er schwarz ist.

Grevesmühlen, sagt die junge Pastorin, sei „eigentlich ziemlich mecklenburgisch“. Was das ist? „Bodenständig, erstmal abwarten, erstmal gucken“, erklärt Fabienne Fronek und lacht. Und erzählt, dass man sich hier tatsächlich sehr wohlfühlen kann. Daneben aber gebe es auch das andere Mecklenburg, das intolerante, rechtsextreme. „Es gibt hier in der Region organisierte Strukturen, die meiner Meinung nach auch gewaltbereit sind.“ Dem will sie etwas entgegensetzen: „Wenn die organisiert sind, müssen wir es auch sein. Deswegen ist die Vernetzung so wichtig. Man muss wissen, wen man anrufen kann.“

Und das passiere auch, versichert die 34-Jährige: Sie selbst habe nach dem rassistischen Vorfall vom Freitag viele Anrufe bekommen. „Die Leute fragen dann, ob eine Demo geplant ist, und wollen auch selbst Gesicht zeigen gegen Hass und Gewalt.“ Für diesen Donnerstag ist eine Menschenkette am Ploggenseering geplant. Damit wollen die Menschen vor Ort signalisieren, dass sie der angegriffenen Familie Schutz geben wollen. Dort, an der Kindertagesstätte, die direkt an der Plattenbausiedlung liegt, wird schon am Dienstag ein großes Transparent entrollt. „Gegen Gewalt“ steht darauf, und: „Zusammenhalt“.

Darauf setzt auch Pastorin Fabienne Fronek. Die Frage, warum sie nach ihrem Studium wieder zurückgekehrt ist in diese schwierige Region, beantwortet sie schlicht: „Ich will Mecklenburg nicht aufgeben.“ Am „Bouza Maz“ an der Wismarschen Straße gehen da gerade zwei junge Männer vorbei. In Flecktarnhose und mit Lonsdale-Pulli – der Lieblingsmarke der Neonazis.


Achtjährige unverletzt – Schwesig: Trotzdem nicht harmlos

Nach dem Angriff auf die ghanaisch-deutsche Familie ermittelt die Polizei wegen gefährlicher Körperverletzung und Beleidigung. Auch der Verdacht der Volksverhetzung steht im Raum. Auslöser des Vorfalls war den Ermittlungen zufolge ein elfjähriger Junge, der einem rollerfahrenden achtjährigen Mädchen ein Bein gestellt haben soll. Als der Vater eine Gruppe Jugendlicher am Ort des Geschehens habe zur Rede stellen wollen, sei ein verbaler und teils auch körperlich ausgetragener Streit entbrannt, so die Sprecherin des Polizeipräsidiums in Rostock. Es werde nun gegen eine einstellige Zahl Tatverdächtiger ermittelt. Entgegen der ersten Meldung erlitt das Mädchen nach Polizeiangaben keine körperlichen Verletzungen. Allerdings sei der Vater leicht verletzt worden. Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) warnte trotzdem vor einer Verharmlosung des Übergriffs: „Jede Mutter und jeder Vater weiß, dass der Schock tief sitzt.“ Aus der Opposition kam indes Kritik am Umgang mit dem Vorfall. AfD-Landtagsfraktionschef Nikolaus Kramer erklärte: „Der in den vergangenen Tagen vermittelte Eindruck, ein Teenie-Nazi-Mob zöge durch Grevesmühlen, hält einer näheren Prüfung nicht stand.“ (dpa)