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Vor der EuropawahlUnterwegs mit Martin Sonneborn durch Berlin

Lesezeit 5 Minuten
Martin Sonneborn geht in Berlin an Demonstranten vorbei.

Martin Sonneborn ist bekennender Langzeitstudent. Hier interessiert sich der EU-Wahlkämpfer für eine Berliner Hochschul-Demo.

Der Satiriker und EU-Parlamentarier Martin Sonneborn deckt in seiner Rolle als Politiker Korruption und Absurditäten in Europa auf. Wir haben ihn begleitet.

Eigentlich, sagt Martin Sonneborn, als wir in die S-Bahn nach Berlin-Mitte steigen, hätten wir uns auch ein Auto rufen können. Das ärgert uns jetzt beide. Verabredet sind wir für eine Reportage über Sonneborns MEP-Alltag, den als Mitglied des Europäischen Parlaments also. In Berlin darf er in dieser Funktion den Fahrdienst des Bundestags nutzen. Die Audi-Limousine wäre ein schönes Detail gewesen.

In der S-Bahn lässt sich jetzt nur beobachten: Sonneborn wird erkannt. Direkt hinter ihn setzt sich eine Frau mittleren Alters, spitzt die Ohren und entspannt sich erst, als mehrfach das Wort Europa fällt. Er ist es also wirklich! Ganz sicher war sie wohl nicht. Der EU-Parlamentarier trägt weder den schlecht sitzenden C&A-Zweiteiler noch die Karnevalskrawatte mit dem Gummizug, die Markenzeichen seiner Partei.

Sonneborn erfindet diesen Look, als er vor 20 Jahren – damals noch Chefredakteur des Magazins „Titanic“ – die Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative gründet. Kurzform: Die PARTEI. Mit zielführenden Slogans wie „Inhalte überwinden“ gewinnen die Satiriker ab dann Wähler, für die klassische Protestparteien keine Option sind. 2014 zieht der Parteivorsitzende Sonneborn ins Europäische Parlament ein, fünf Jahre später gewinnt die PARTEI sogar zwei Mandate: Nun kommt auch noch Nico Semsrott mit, der inzwischen gar kein Parteifreund mehr ist. Als Sonneborn ein unkorrekter Witz auf die Füße fällt, tritt Semsrott aus.

Die Partei: Sonneborn hofft auf dritte Amtszeit

Am Sonntag wird wieder gewählt und Sonneborn hofft auf eine dritte und letzte Amtszeit. 1,6 Prozent der Stimmen, rechnet er vor, braucht er diesmal. Bei diesem Wert zieht dann auch Sibylle Berg mit ins EU-Parlament ein. Die Schriftstellerin steht auf Listenplatz 2, gefolgt übrigens von der „Gruppe Wagner“, einer Reihe chancenloser Parteimitglieder, die nicht viel mehr verbindet als ihr klangvoller Name.

Auf den letzten Metern nimmt Wahlkämpfer Sonneborn heute noch mal alles mit. Gerade sind wir auf dem Weg zu einem Internet-Sender, von dem er selbst noch nie gehört hat. Immerhin: Jens Spahn und Gregor Gysi waren auch schon hier. Als „Vertreter der extremen Mitte“ passt er gut dazwischen, folgert Sonneborn. Ursprünglich stand auch noch ein Treffen mit einem Hip-Hop-YouTuber an. Das rutscht kurzfristig auf morgen, sodass wir plötzlich sehr viel Zeit zu vertrödeln haben. Zum Beispiel bei einer Demo, die sich gerade um die Ecke Friedrichstraße/Unter den Linden schiebt.

„Revolution statt Zwangsexmatrikulation“ steht auf einem Banner. Das findet Sonneborn schon mal gut. Er selbst war 15 Semester an der Uni und rät zu langen Studienzeiten. Rauszufinden, was man im Leben alles nicht machen will, dauert. So erklärt er es einer jungen Frau, die den Umzug begleitet. Tatsächlich wird gar nicht für das Langzeitstudium demonstriert, sondern gegen Berlins Hochschulgesetz. Nach der Attacke auf einen jüdischen Studenten können die Unis Straftäter jetzt wieder exmatrikulieren. Das Thema ist vermintes Terrain. Sonneborn bleibt unbefangen und diskutiert mit jedem, der ihn anspricht.

Sonneborn ist Satiriker, kein Zyniker

Einer Journalistin schenkt er einen unverhofften O-Ton für ihren Demo-Bericht. Und als die Linksjugend Sonneborn für eine Friedenskundgebung gewinnen will, greift der PARTEI-Vorsitzende nach dem Flyer der Konkurrenz. Ab und an bitten Passanten auch einfach nur um Selfies. Sonneborn beteuert jedes Mal: Es handelt sich um bezahlte Claqueure, die ihn gut aussehen lassen sollen. (Bestechungssumme: je fünf Euro.)

Sonneborn ist Satiriker. Ein Zyniker ist er nicht. Wo er auftritt, verbreitet er fröhliche Stimmung. Als die Demo auf einer Kreuzung zum Stehen kommt, hält er einem Polizisten seinen Diplomatenpass unter die Nase. Ob er die Versammlung auflösen und die Straße räumen lassen könne, fragt er. Der Polizist verneint höflich. Sonneborn freut sich trotzdem. Er meint es gut mit unserem Text und steuert nach Kräften Anekdoten bei. Beim TV-Sender stellt er mich als seinen Anwalt vor.

Austesten, womit man durchkommt: Das gehört zu Sonneborns Kernaufgaben. Vor ein paar Jahren hat die PARTEI einmal echte Geldscheine verkauft. Mit dem Trick trieb sie die „selbsterwirtschafteten Einnahmen“ in die Höhe, und an die war damals die staatliche Parteienfinanzierung geknüpft. Die AfD hatte ihr Vermögen auf dieselbe Weise mit Goldverkäufen aufgebessert. Aber erst nach der PARTEI-Aktion wurde die Lücke im Parteiengesetz geschlossen. Damit hatte Sonneborn die These seiner eigenen Magisterarbeit widerlegt, wonach Satire nichts bewirkt. Inzwischen wechselt er locker zwischen Rolle und realer Person und lässt sich auf Gespräche über Absichten und Methode seiner Witze ein. Er ist halt schon zwei Jahrzehnte lang beides zugleich: Teil des Politikbetriebs und dessen Parodie.

Sonneborns Ziele: Korruption und Kuriosa aufdecken

Was sich ändert, ist die Gewichtung beider Pole. In seiner ersten Wahlperiode hält Sonneborn sich programmatisch raus. Bei Abstimmungen im EU-Parlament votiert er immer im Wechsel mit Ja oder Nein, selbst wenn es Protest hagelt. Sein Amt setzt er vor allem ein, um eine an Europa eher desinteressierte Öffentlichkeit auf Korruption und Kuriosa zu stoßen. Sonneborns Berichte aus Brüssel erscheinen erst in der „Titanic“ und dann als 400-Seiten-Bände. Ein bisschen lesen sie sich wie das Schwarzbuch des Steuerzahlers, nur deprimierender (wegen der Dimension des Systemversagens). Und auch lustiger (wegen Sonneborn).

Inzwischen, erzählt er, stimmt er anders ab. Jetzt orientiert er sich an „ein paar guten Kollegen im Parlament“ und geht dann meist mit den Linken und Grünen. Ein Grund dafür sind knappere Mehrheiten. Auf einmal könnte es auf seine Stimme ankommen. Auch sonst sieht er die Lage ernster. „Bei der Parteigründung vor 20 Jahren lebten wir in einer gefestigten Demokratie. Das sehe ich heute anders“, sagt Sonneborn. „2004 hatten wir das volle Vertrauen, dass uns nichts passieren kann und dass auch dem Rechtsstaat nichts passiert. Mittlerweile sehe ich überall in Europa Grundrechtseinschränkungen, mangelnde Pressefreiheit, Überwachung.“ Hat er mal darüber nachgedacht, seinen Schwur zu brechen und wirklich Politik zu machen – mit all den Kompromissen, die das Regieren mit sich bringt? „Die Partei hat eine Handvoll sehr guter Leute an der Spitze, aber für eine Machtübernahme würde es nicht reichen“, antwortet er.