In der EU werden jedes Jahr Milliarden von Tieren unter qualvollen Bedingungen transportiert. Ein schockierender Fall in Kapstadt zeigt, dass unappetitliche Zustände keine Ausnahme sind.
Qual oder notwendiges Übel?EU will Regeln gegen grausame Tiertransporte verschärfen
Wenn Menschen etwas „nicht mehr riechen können“, dann liegt wirklich etwas im Argen. So war es jüngst in Kapstadt. Ein Frachtschiff mit 19.000 Rindern an Bord stank dort zum Himmel – so sehr, dass sich die Bürger in der süfafrikanischen Touristenmetropole gestört fühlten.
Zweieinhalb Wochen waren die Tiere beim Zwischenstopp bereits an Bord, auf dem Weg von Brasilien in den Irak. Tief standen die Rinder in Gülle und Kot. Der Gestank sei unvorstellbar gewesen, sagte ein Veterinär nach dem Besuch des Schiffes. Ein trauriger Einzelfall?
Tatsächlich ist das Vorkommnis wohl nur die Spitze eines unappetitlichen Eisbergs. Allein in der EU werden jährlich rund 1,6 Milliarden Tiere – einschließlich Geflügel – von A nach B gefahren, in die Union ein- und ausgeführt. Oft unter denkbar widerlichen Bedingungen, wie Tierschützer nicht müde werden zu betonen.
Unternehmen nutzen Schlupflöcher aus
„Auch deutsche Tiere werden regelmäßig auf Schiffen transportiert – beispielsweise übers Mittelmeer Richtung Nordafrika“, sagt Nadine Miesterek von der internationalen Tierwohlstiftung „Vier Pfoten“. Für die Tiere sei das in der Regel ein Albtraum. Laut der Organisation werden sie oft gewaltsam ein- und ausgeladen, immer wieder brechen Knochen. Viele Tiere stürben unterwegs an Erschöpfung. Tote Tiere würden über Bord geworfen.
Auch Tiertransporte in Lkw stehen immer wieder in der Kritik. So hat das EU-Parlament 2021 gravierende Mängel und Verstöße gegen geltende Vorschriften festgestellt, was lange Beförderungszeiten, den Transport junger oder trächtiger Tiere sowie die Ausfuhr betrifft. Der Europäische Rechnungshof warnt vor dem Risiko, Transportunternehmen nutzten die in den unterschiedlichen nationalen Sanktionssystemen bestehenden Schlupflöcher.
Die EU-Kommission hat kürzlich Vorschläge unterbreitet, die die Transporte für Rind und Schwein, Schaf, Ziege und Geflügel erträglicher machen sollen. Demnach will man die Transportzeiten verkürzen. Und auf Langstrecken müssen die Tiere zum Ruhen, Füttern und Tränken abgeladen werden. Angepasst an die jeweilige Art, soll es mehr Platz für einzelne Tiere geben.
Laut aktuellen Bestimmungen hat zum Beispiel ein 100 Kilogramm schweres Schwein nicht mal einen halben Quadratmeter Platz. Und Rinder dürfen bis zu 29 Stunden am Stück transportiert werden – inklusive einer Stunde Pause.
Strengere Regeln bei großer Hitze
Bei extremen Temperaturen sollen künftig strengere Bedingungen gelten, darunter die Beschränkung des Transports auf die Nacht, wenn die Temperaturen 30 Grad übersteigen. Zudem müssen bei unter null Grad Fahrzeuge abgedeckt und die Luftzirkulation im Lkw kontrolliert werden, um die Tiere während der Fahrt vor dem Auskühlen zu schützen. Fallen die Temperaturen unter minus fünf Grad, soll die Transportdauer zusammen mit den genannten Maßnahmen neun Stunden nicht überschreiten. Digitale Instrumente wie zum Beispiel die Echtzeit-Ortung von Fahrzeugen und eine zentrale Datenbank sollen die Durchsetzung der Vorschriften erleichtern.
Brüssel will außerdem die Vorschriften zur Ausfuhr lebender Tiere aus der Union zumindest verschärfen, einschließlich besserer Kontrollen in Drittländern, damit sie den in der EU geltenden Standards entsprechen. Ob und wann es zu einer Reform des europäischen Tierschutzgesetzes in der von der Kommission vorgeschlagenen Ausgestaltung kommt, ist fraglich. Die EU-Staaten und das Parlament haben noch ein Wort mitzureden. Und Widerstand gibt es durchaus.
So sieht der Bundesverband Rind und Schwein das Vorhaben der EU-Kommission skeptisch. Weil der Standard bei Tiertransporten in Deutschland auf einem sehr hohen Niveau sei, unterstütze man zwar eine Vereinheitlichung der Rahmenbedingungen auf europäischer Ebene grundsätzlich. Einzelne der geplanten Maßnahmen sehe man jedoch kritisch.
So stellten zum Beispiel die neuen Anforderungen an den Platzbedarf im Laderaum für die Tiere keine Verbesserung dar. „Im Gegenteil: Durch die großen Freiflächen fehlt ihnen die Anlehnungsmöglichkeiten und das Ausbalancieren während der Fahrt wird erschwert“, teilte Verbandsgeschäftsführerin Nora Hammer unserer Redaktion auf Anfrage mit. „Zudem müssten zukünftig doppelt so viele Transporter eingesetzt werden wie bisher, was angesichts der fortschreitenden Klimakrise unter dem Gesichtspunkt der Treibhausgasemissionen keinesfalls zielführend sein kann“. Auch könnten innerhalb der maximal zugelassenen Transportzeiten nicht alle EU-Mitgliedsstaaten erreicht werden; dies drohe den innergemeinschaftlichen Handel massiv zu beeinträchtigen.
Weil sich viele der geplanten Vorgaben nicht mit der aktuellen deutschen Transportverordnung deckten kämen „auf tierhaltende Betriebe und Speditionen folglich größere Umstrukturierungen und Investitionen“ zu. Hammers Warnung: „Die Folge wird eine Produktionsverlagerung in Nicht-EU-Staaten sein, in denen nicht die gleichen hohen Ansprüche an Tierschutz und Tierwohl gestellt werden wie in Deutschland.“