Eigentlich waren sich die EU-Institutionen einig. Doch nun sorgt eine drohende Blockade der FDP in Brüssel für Unmut.
Unmut in BrüsselWorum es beim Streit um Lieferkettengesetz in der EU geht
In Brüssel erleben sie gerade ein Déjà-vu, und das hat ausgerechnet mit einem Phänomen zu tun, das im EU-Jargon unter dem unseligen Begriff „German Vote“ bekannt ist. Damit wird bezeichnet, wenn sich Deutschland bei Abstimmungen im Kreis der 27 Mitgliedstaaten enthält, weil sich die Koalitionspartner nicht einigen können. Bei der Enthaltung im Rat handelt es sich um ein freundliches Nein, wenn man so will.
Nun droht nach dem Drama um das Verbrenner-Aus im vergangenen Jahr ein weiteres wichtiges EU-Projekt zu kippen, weil die FDP auf die letzten Meter interveniert – und blockiert. Es geht um das EU-Lieferkettengesetz, das europäische Unternehmen verpflichten soll, in aller Welt die Einhaltung von Sozial- und Umweltstandards durchzusetzen, also auch bei den Zulieferern.
Konkret heißt das: Firmen mit mehr als 500 Mitarbeitern und 150 Millionen Euro Jahresumsatz sollen künftig Informationen über entsprechende Risiken in Sachen Naturschutz und Menschenrechtsverletzungen in ihren Lieferketten sammeln, auswerten und Gegenmaßnahmen ergreifen. Wurden Wälder und andere Ökosysteme beispielsweise im großen Stil abgeholzt, um Platz zu schaffen für den Anbau von Soja oder Kakao? Wer gegen die Regeln verstößt, muss mit Bußgeldern oder gar Klagen rechnen.
Einigung auf Entwurf bereits im Dezember
Eigentlich hatten sich die drei Institutionen, also das Gremium der 27 Mitgliedstaaten, die EU-Kommission sowie das Europaparlament, bereits im Dezember auf den Entwurf der Richtlinie geeinigt. Eigentlich. Im Normalfall ist alles, was nach diesem politischen Kompromiss im sogenannten Trilog-Verfahren folgt, mehr oder minder Formsache.
Doch normal scheint schon länger nichts mehr in Berlin. Denn sollte es dabei bleiben, dass die FDP gegen das Gesetz rebelliert, müsste sich die deutsche Regierung beim Schlussvotum am Freitag in der kommenden Woche enthalten. Damit wäre die Mehrheit im europäischen Ministerrat gefährdet – und das Projekt gescheitert?
Dass die Bundesregierung einen grundsätzlich ausverhandelten Plan zum Lieferkettengesetz so spät im Prozedere infrage stellt, empfinden die Vertreter vieler anderer EU-Länder als bedenklichen Präzedenzfall, der die europäische Kompromisskultur ruinieren könnte. Der Ärger ist entsprechend groß. Denn es passiert nicht zum ersten Mal. Bereits 2023 sorgte die Last-Minute-Intervention der FDP beim Thema Verkaufsverbot für Neuwagen mit Verbrennermotoren ab 2035 für Frust und Unmut, auch wenn die Liberalen entgegen ihrer Behauptungen nur minimale Änderungen durchsetzen konnten.
Ruf der Deutschen auf dem Spiel?
„Wenn der größte Mitgliedstaat nicht berechenbar ist, ist das wenig hilfreich“, klagte nun ein Insider in Brüssel. Die Bundesregierung verspiele die Glaubwürdigkeit der gesamten Bundesregierung in der EU, hieß es vonseiten einiger EU-Beamter. Was nämlich ist ein Deal mit den Deutschen noch wert?
Die Verhandlungen über die Richtlinie laufen seit rund zwei Jahren, Berlin hatte dem Verhandlungsmandat Ende 2022 zugestimmt, auch wenn Bedenken schon länger geäußert wurden. Nur, der politische Kompromiss sei „insgesamt zu unklar, zu bürokratisch und nachteilig für die Wirtschaft“, monierte der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). „Das Europäische Lieferkettengesetz droht ein Papiertiger zu werden, der vor allem Bürokratie schafft und zum Rückzug europäischer Unternehmen führt, statt effektiv Menschenrechte zu stärken“, kritisierte die FDP-Europaabgeordnete Svenja Hahn gestern gegenüber unserer Redaktion. Die Richtlinie drohe „unverhältnismäßig weit über das deutsche Lieferkettengesetz hinauszugehen“. Noch laufen die Gespräche in Berlin zwischen SPD, Grünen und FDP. Umso lauter sind nicht nur die Gegner, sondern auch die Befürworter der Richtlinie. „Viele deutsche und europäische Unternehmen befürworten das deutsche Lieferkettengesetz und fordern explizit und öffentlich ein strengeres EU-Gesetz“, sagte die Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Yasmin Fahimi. Es sei „ein Gebot der Stunde, Lieferketten resilienter zu machen und einen regelbasierten Handel voranzubringen“. Die Initiative Lieferkettengesetz, zu der sich Umwelt- und Entwicklungsorganisationen zusammengeschlossen haben, wütet. Deren Sprecherin Johanna Kusch sprach von einem „Zick-Zack-Kurs“ der Liberalen. „Der Bundeskanzler sollte dieses Wahlkampfmanöver der FDP zurückweisen.“