Mixtape, Käseigel, Heiermann: Wir geben Einblicke in das Leben einer Generation anhand von zehn Ojekten, die heute (fast) keiner mehr kennt
Lebensgefühl einer GenerationDiese zehn Dinge gehören zur Welt der „Boomer“
Wie sieht das Lebensgefühl von Generationen aus? Am besten lässt sich das anhand der Objekte nachvollziehen, die ihre Lebenswelt ausgemacht haben. Wie sieht es bei den Boomern aus, jenen Menschen, die von der Mitte der fünfziger bis zur Mitte der sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts zur Welt gekommen sind? Zehn Objekte geben Auskunft.
Fahrrad mit Bananensattel
Er wirkt heute so cool wie ein Fuchsschwanz an der Autoantenne – der Bananensattel. In den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts hingegen ist er Kult. Spießig auf dem Holländer thronen oder schnaufend in die Rennradpedale treten? Bei Jugendlichen gilt beides in jenen fernen Zeiten als denkbar unentspannt.
Zum Bananensattel gehört der Hochlenker, dessen Handgriffen einem an elegant gebogenen Lenkerstangen entgegenschweben. Auf einem so ausgestatteten Rad hängt man mehr als dass man sitzt. Tempo? Ist damit nicht zu erreichen. Aber darum geht es auch nicht. Mit einem solchen Rad kurven Jungen über den Schulhof, um Mädchen zu beeindrucken. Was damals lässig wirkt, nimmt sich heute peinlich aus.
Der Heiermann
Jüngere kennen nicht einmal mehr den Begriff, Boomer hingegen wissen noch, wie er sich anfühlt – der Heiermann. Das Fünf-Mark-Stück ist damals das Schwergewicht im Portemonnaie, groß, nachdrücklich, ein Symbol der Kaufkraft. Kauf Dir was Schönes: Mit diesem Satz schenken Oma oder Opa dem Boomer-Enkel ein Geldstück. Damals ist das eine anständige Gabe.
Denn für fünf Mark gab es eine Menge zu kaufen. Kein Wunder in einer Welt, in der ein Brötchen 15 Pfennige kostet. Auf der einen Seite eine große 5, auf der anderen Seite der Bundesadler: Ein Stück Solidität der alten Bundesrepublik, ungefähr so verlässlich wie Karl-Heinz Köpcke, damals das Gesicht der Tagesschau.
Das Taschenbuch
Die Boomer sind nicht nur eine Generation der Vielen, sie sind auch eine Generation der Vielleser, zumindest im Vergleich zu jenen Generationen, die ihnen nachfolgen. Taschenbücher demokratisieren nach dem Ende des Zweiten Weltkrieg die Literatur und mit ihr das Lesen. rororo: Die Abkürzung für Rowohlts Rotations-Romane elektrisiert ein junges Lesepublikum.
Albert Camus, Ernest Hemingway, das sind die Helden der rororo-Bände, Hermann Hesse wird von Suhrkamp geliefert, Heinrich Böll von dtv. Das Taschenbuch ist irgendwie immer dabei, als handliches Format für die Jacken- oder Manteltasche. Erinnert sich noch jemand an Taschenbücher für 2,80 DM? Heute sind das Schätze.
Der Parka
Er ist so allgegenwärtig wie Cordhose und Rollkragenpullover – der Parka. In einer Zeit, in der Kleidungsstücke Marken und Logos in der Mode noch keine große Rolle spielen, ist der Parka das Kleidungsstück für alle Lebenslagen. Schnell übergeworfen schützt er vor Regen im Herbst, vor Kälte im Winter. Das Futter kann herausgenommen werden. So wandelt sich das meist olivgrüne Stück in eine Art Übergangsmantel.
In der Rückschau erscheint unglaublich, dass Marken wie Boss oder Daniel Hechter damals zum Luxus-Segment gehören. So etwas trug der natürlich als Alter Herr titulierte Vater. Jugendliche waren im Parka wie in einem Einheitslook unterwegs, zu der noch runde Brille und schulterlanges Haar gehörten – natürlich auch bei Jungen. Selige Welt der modischen Ahnungslosigkeit! Erst mit den Poppern findet sie ihr Ende, Anfang der angepassten Achtziger.
Die Kompaktkassette
Es gibt sie mit 60, 90 oder gar 120 Minuten Laufzeit – die Kompaktkassette. Sie liegt in jedem Jugendzimmer herum, wird unter Freunden auf Ehrenwort verliehen, auf Schulhöfen getauscht. Jeder Boomer hört noch das Geräusch, mit dem sie im Kassettenrecorder einrastet und dann per Tastendruck in Gang gesetzt wird.
Die Kassette gehört zur gleichen Medienwelt wie Langspielplatte oder Tonbandgerät. Als mobiles Teil demokratisiert sie den Musikgenuss. Heute unvorstellbar, dass die Kompaktkassette ein Massenartikel war und es sogar Sammelboxen für sie gab. Ärgerlich nur, wenn sich beim Betrieb das innen laufende Magnetband verhaspelt. Der Bandsalat ist ein Alltagsärgernis. Wie beheben? Mit Bleistift oder Büroklammer. Boomer wissen noch, wie das geht.
Der Käse-Igel
Bitte nicht lachen, aber er findet sich wirklich in einem Buch mit dem feuilletonistischen Titel „Kulturgeschichte der deutschen Küche“: der Käse-Igel. Er gehört zur Jugend der Boomer wie das Glas mit Salzstangen und der Fernsehabend mit Hans Rosenthals „Dalli Dalli“ oder Wim Thoelke mit Wum und Wendelin. Im Käse-Igel findet bundesdeutsche Wohnzimmergemütlichkeit ihre auch geometrisch vollendete Form. Käsewürfel, mit Weintrauben oder Mandarinenscheibchen auf Holzspieße gesteckt und dann auf einer Melone oder Grapefruit angeordnet – so adrett sind Gaumenfreuden jener Zeit anzuschauen. Kalorien spielen noch nicht so die große Rolle. Und außerdem gibt es Trimm-Dich-Pfade – für alle, die das schlechte Gewissen plagt, nachdem sie dem Käse-Igel allzu eifrig zugesprochen haben.
Die Pril-Blume
Sie ist das fröhliche Signet der Siebziger und zugleich bester Beleg dafür, wie der Kapitalismus aus jedem Protestsymbol ein Markenzeichen für ein Konsumprodukt macht. Im Zeichen von Flower-Power treten die Hippies ihren Siegeszug mit globaler Liebesbotschaft an. 1972 macht der Henkel-Konzert aus dem Hippie-Symbol ein genial einfaches Markenzeichen. Das Image von Geschirrspülmittel soll jünger werden. Prompt gibt es die Pril-Blume als Aufkleber auf Spülmittelflaschen.
Millionen Hausfrauen kleben sie auf Küchenkacheln. So wird zumindest optisch ansprechender, was als Rollenmodell der Ehefrau zugewiesen ist – ein Dasein im Zeichen von Heim und Herd. Trotzdem: Die Pril-Blume erinnert an optimistische Jahre. Bundeskanzler Willy Brandt will mehr Demokratie wagen, im Fernsehen läuft der „Bastian“ über einen sympathischen Aussteiger und München erlebt fröhliche Olympische Spiele – bis die Schüsse palästinensischer Terroristen durch das olympische Dorf peitschen.
Die Telefonzelle
Früher allgegenwärtig, heute bestenfalls noch ein Nostalgiesymbol: Die Telefonzelle gehört zum Straßenbild wie der Wienerwald-Grill zu jeder etwas größeren bundesdeutschen Innenstadt. Wer sich auskennt, der weiß auch, wo eine Telefonzelle steht. Sie gehört zur Grundausstattung eines Lebens vor Handy und Internet. Jeder Boomer weiß, was man damals auf jeden Fall im Portemonnaie hat: Zwei Groschen, denn mit denen kann in einer Telefonzelle telefoniert werden.
Zur Telefonzelle gehört der Hörer am Kabel ebenso wie das Telefonbuch, aus dem immer genau jene Seiten herausgerissen sind, auf denen die dringend gesuchte Telefonnummer verzeichnet ist. In der Telefonzelle kann man auch im Regen Schutz finden oder knutschen. Die Realität war meist unromantischer. Dauert das noch lange? Mit barscher Frage wird zur Kürze gemahnt, wer telefoniert. Denn zur Telefonzelle gehört die Schlange der Wartenden – vor ihrer Tür.
Das weiße Album
Es ist schneeweiß. Der Schriftzug The Beatles ist als Blindprägung erst auf den zweiten Blick zu erkennen. Kaum ein Jahr nach dem poppigen Cover von Stg. Pepper mit dem berühmtesten Gruppenfoto der Popgeschichte erscheint 1968 das Album aller Alben, das Weiße. Welches ist das wichtigste Album der Popgeschichte? Bitte sehr, der Streit ist eröffnet.
Jeder hat seinen Favoriten. Aber das Weiße Album markiert eine Ausnahmeposition. Seine Magie überträgt sich unmittelbar. Gleich nach seinem Erscheinen ist es ausverkauft, avanciert zum begehrten Sammlerstück. Dieses Album verleiht man nicht. Die Gefahr, es nicht mehr zurückzubekommen, ist so hoch wie bei keiner anderen LP. Das weiß jeder Boomer. Und hört. „Back in the USSR“. Oder „Blackbird“. „While my Guitar gently Weeps“: Das Weiße Album ist Kult. Einer der Herzen rührt. In der Erinnerung. Und heute noch.
Ahoi-Brause und Tri Top
Jeder kennt noch die Ahoi-Brause. Aber wer weiß noch, was Tri Top ist? Viele Boomer kennen ihn noch, diesen Sirup, aus dem sich mit Wasser Getränke in allerlei Fruchtgeschmäckern mixen lassen. In den Siebzigern findet sich Tri Top in vielen Kühlschränken. Das Pulver der Ahoi-Brause wird oft direkt aus der flachen Hand geschleckt, Tri Top mit Eiswürfeln genossen. Die Tatsache, dass der Schraubverschluss der Sirup-Flasche oft völlig verklebt war, hätte zu denken geben müssen.
Das Getränk steht für eine Generation, die viel Zucker in den Nahrungsmitteln sozialisiert, ja konditioniert worden ist. Ahoi-Brause gibt es immer noch. Tri Top kommt Anfang der 1980er Jahre aus der Mode. Ob diese konischen Flaschen noch in irgendwelchen Supermärkten stehen? Aus den Augen, aus dem Sinn: Für nichts gilt das so sehr wie für das einstige Modegetränk.